AfD vor Europawahlkampf Ein Ziel ohne Weg
Die AfD will in Magdeburg ein Europawahlprogramm beschließen. Inhaltlich ist die Partei im Anti-EU-Kurs geeint. Und doch scheint sie ausgerechnet in der Frage eines Austritt den Konflikt zu scheuen.
"Irre", "wahnsinnig", "totalitär" - wenn es um Kritik an der Europäischen Union geht, dann kannten Rednerinnen und Redner auf dem AfD-Parteitag in Magdeburg bislang keine Zurückhaltung. Ein eigenes Wahlprogramm hat die AfD allerdings nicht. Noch nicht.
Die Partei will dieses voraussichtlich am Wochenende beschließen. Bis dahin soll die Aufstellung der Liste abgeschlossen sein. Denn bei einer ersten Runde vergangenes Wochenende wurden erst 15 von 30 Plätzen gewählt.
"Dexit" plötzlich verschwunden
Für Irritationen sorgte im Vorfeld, dass zuerst über die Kandidaten abgestimmt wird, dann über das Programm. Schließlich müssen Erstere sich verpflichten, Letzteres "ohne jegliche Einschränkungen" anzuerkennen.
Dabei ist ausgerechnet eine zentrale Frage noch nicht geklärt: Wie es die AfD mit einem "Dexit", also einem EU-Austritt hält. 2021 hatte man sich nach heftiger Debatte ins Bundestagswahlprogramm geschrieben: "Wir halten einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft für notwendig."
Im Entwurf der Programmkommission für Magdeburg findet sich dieser Satz allerdings nicht. Stattdessen steht dort, die Geduld mit der EU sei "erschöpft". Man strebe eine "geordnete Auflösung" an. Die Kommission will das aber wieder streichen. Es handle sich um ein "redaktionelles Versehen" ohne entsprechende Beschlusslage, so ein neuer Antrag.
In Magdeburg fiel bislang auf, wie unterschiedlich Parteivertreter über die Zukunft der EU sprechen. Parteichefin Alice Weidel sagte den tagesthemen, sie persönlich sei für einen "Rückbau von Kompetenzen" der EU. Der Thüringer Landeschef Björn Höcke wiederum wurde gegenüber dem Sender Phoenix deutlicher: Die EU müsse "sterben, damit das wahre Europa leben kann".
Höcke und andere Spitzen wollen Leitlinien umschreiben
Höcke unterstützt gemeinsam mit anderen Spitzenpolitikern aus großen Landesverbänden eine alternative Präambel. Der Text soll die "Entschlossenheit" der Partei besser ausdrücken.
Zur EU heißt es darin, die AfD erkenne diese "als gescheitert und als nicht reformierbar" an. An ihre Stelle soll ein Staatenbund treten. Wie man allerdings zu diesem Bund kommt und ob Deutschland zunächst austreten müsste, lässt auch dieser Antrag offen. Angesichts der prominenten Unterstützer droht dennoch eine Machtprobe bei der Abstimmung.
Einer der Mitzeichner, der Vorsitzende der Sachsen-AfD, Jörg Urban, sieht die Diskussion gelassen. "Wir wissen, wo wir hinwollen", sagt Urban. Es herrsche zu 99 Prozent Einigkeit über das Ziel: Der neue Staatenbund solle "die Souveränität der Nationen respektieren und sich auf seine Kernaufgaben beschränken". Auch in anderen AfD-Teilen spricht man von einem "Europa der Vaterländer".
Strittig sei lediglich, wie der Weg dahin kommuniziert werden soll, sagt Urban. Da wisse jeder Landesverband am besten, wie er seine Wähler ansprechen könne. Andere in der Partei sagen, offene Formulierungen ermöglichen es allen Lagern, sich hinter dem Programm zu vereinen.
Urban hatte am ersten Parteitagswochenende für eine Überraschung gesorgt, als er eine Kandidatin für Listenplatz drei vorschlug, nachdem bereits Höcke einen eigenen Kandidaten für diesen Platz vorgeschlagen hatte. Die Volte wirkte wie ein Bruch im ehemaligen "Flügel"-Lager, dem beide angehören. Laut Urban habe das keinerlei Auswirkungen auf die Programmdiskussion. Er sagt: "Zwischen Sachsen und Thüringen gibt es keine inhaltlichen Differenzen."
Offenbar soll auch ein offener Streit um die Präambel auf der Bühne vermieden werden. Hinter den Kulissen arbeiten beide Seiten an einer gemeinsamen Fassung, wie es aus dem Kreis der Programmkommission heißt. Das Ziel: ein Kompromiss-Antrag, bevor die Debatte beginnt.
Mal mehr, mal weniger Europa
Schon jetzt zeigen sich zwischen Programmentwurf, Änderungsanträgen und den Reden der erfolgreichen Listenkandidaten große inhaltliche Schnittmengen.
So sollen die Außengrenzen Europas hermetisch abgeriegelt werden. Die Staaten sollen sogenannte Remigrationsprogramme aufbauen, um Asylbewerber abzuschieben, sobald in ihren Heimatländern kein oder nur noch teilweise Krieg herrscht.
Die Russland-Sanktionen sollen beendet werden. Man will sich von den USA militärisch emanzipieren, die Bundeswehr und europäische Waffenproduktion vergrößern und ein europäisches "System kollektiver Sicherheit" (Programmkommission) schaffen.
Auf anderen Feldern, der Klima-, Gesundheits-, Bildungs- und Finanzpolitik etwa, soll der EU-Einfluss zurückgedrängt werden. Der Euro gilt als gescheitert, die D-Mark als Alternative. Ein "Raus aus dem Euro" findet sich allerdings nicht im Antragsbuch. Parteichef Tino Chrupalla kann sich auch vorstellen, beim Euro zu bleiben, wie er in der ARD-Sendung "Bericht vom Parteitag" vergangenen Samstag sagte.
Was die AfD aber in jedem Fall erhalten will, ist ein gemeinsamer Binnenmarkt, allerdings mit mehr Freiheiten als bislang für Deutschland. Einige Delegierte bezweifeln allerdings, dass die Partei das vollends durchdacht hat. Die unterschiedlichen Vorgaben seien "widersprüchlich", so ein Antrag.
Dieselbe Gruppe fordert zudem die Streichung des Begriffs "globalistische Eliten" aus dem Programmentwurf. Der Begriff wird in der Rechtsextremismusforschung oft als antisemitisches Chiffre aufgefasst. Die Antragsteller sehen ein anderes Problem: Der Begriff sei "zwar inhaltlich richtig", schreiben sie, "aber außerhalb des AfD-affinen Milieus" eher unbekannt.
AfD will "Festung Europa"
Ein anderer Begriff ist hingegen gänzlich unumstritten. Gleich mehrere erfolgreiche Kandidaten forderten eine "Festung Europa", ebenso Parteichefin Weidel.
Lange war der Begriff ein Synonym für Kritik an der schrittweisen Verschärfung der EU-Asylpolitik. Er wurde allerdings in den 1990er- und 2000er-Jahren auch von der NPD benutzt. Seit der Migrationskrise propagiert ihn vor allem die rechtsextreme "Identitäre Bewegung". Björn Höcke, Kopf des völkischen Lagers in der AfD, machte ihn sich früh zu eigen.
Bislang kamen die AfD-Programme auf EU- und Bundesebene ohne aus. Im neuen Programmentwurf ist die "Festung Europa" hingegen ein zentrales Schlagwort.
Einer, der auf solche Entwicklungen jahrelang von außen hingewirkt hat, blieb dem Parteitag bislang fern. Der Publizist Götz Kubitschek vom rechtsextremen Institut für Staatspolitik machte Anfang der Woche öffentlich, dass der AfD-Parteivorstand seinen Buchverlag "eingeladen" habe, in Magdeburg auszustellen. In dem Verlag hat der AfD-Spitzenkandidat für Europa, Maximilian Krah, ein Buch veröffentlicht, im Institut sind regelmäßig AfD-Politiker zu Gast. Die Partei bestätigte den Vorgang auf Anfrage.
Kubitschek hielt einen Stand vor Ort offenbar für nicht nötig. Man habe sich dagegen entschieden, schreibt er in einem Blogbeitrag. "Denn unsere Arbeit war längst getan."