Autokorsos in Großstädten Erdogans Anhänger feiern - Özdemir kritisiert
Autokorsos, Aufmärsche und Demonstrationen: Auch hierzulande haben die Erdogan-Anhänger seinen Wahlsieg gefeiert. Bundesagrarminister Özdemir kritisierte das Stimmverhalten der Deutschtürken scharf.
Mit Autokorsos und Aufmärschen haben auch in Deutschland viele Menschen den Sieg von Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan bei der Präsidentenwahl in der Türkei gefeiert. Am Sonntagabend fuhren in mehreren Städten hupende und mit Türkei-Fahnen geschmückte Autos durch die Straßen. Die Feiern blieben laut Polizei überwiegend friedlich.
In Dortmund und Mannheim allerdings kam es zu Auseinandersetzungen. In Dortmund gerieten Erdogan-Unterstützer mit der Polizei aneinander. Es habe am Sonntagabend Strafanzeigen, Ordnungswidrigkeiten, Verwarngelder und 82 Platzverweise gegeben, teilte die Polizei mit. Ein Teilnehmer eines Autokorsos habe einen Polizisten angegriffen, woraufhin der Beamte seinen Schlagstock eingesetzt habe. Außerdem stellten Einsatzkräfte bei den Feiernden illegale Pyrotechnik sicher. Mehrere Straßen und Plätze in der Innenstadt seien zeitweise durch Autokorsos und feiernde Menschen blockiert gewesen.
In Mannheim wurden Polizisten mit Gegenständen beworfen, Teilnehmer der Autokorsos gerieten mit Fußgängern aneinander. Verletzt wurde aber niemand.
In Duisburg waren nach Angaben der Polizei mehrere Hundert Autos und mehrere Hundert Menschen zu Fuß unterwegs. Bis auf vereinzeltes Zünden von Pyrotechnik blieb es laut einem Polizeisprecher friedlich.
Autokorsos gab es auch in Hamburg, vor dem türkischen Konsulat in der Nähe des Dammtor-Bahnhofs bildeten sich lange Schlangen hupender Wagen. Auf der Wiese vor dem Konsulat feierten allein etwa 1000 fahnenschwenkende Anhänger Erdogans ihren Präsidenten.
Weitere Feiern und Korsos mit Hunderten Menschen wurden aus Berlin, Frankfurt und München gemeldet. In Essen gab es laut der Polizei eine kleinere Demonstration vor dem dortigen Generalkonsulat.
50 Prozent Wahlbeteiligung - zwei Drittel für Erdogan
An der Stichwahl beteiligte sich rund die Hälfte der rund 1,5 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland. Beim Stand von rund 95 Prozent der ausgezählten Wahlurnen aus Deutschland kam Erdogan bei ihnen laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu auf 67,4 Prozent der Stimmen. Erdogan schnitt bei den Wählerinnen und Wählern in Deutschland somit erneut deutlich besser ab als insgesamt.
Özdemir: "Darüber wird zu reden sein!"
Bundesagrarminister Cem Özdemir kritisierte das Wahlverhalten von Türken in Deutschland scharf. Die Anhängerinnen und Anhänger Erdogans feierten, "ohne für die Folgen ihrer Wahl einstehen zu müssen", schrieb der Grünen-Politiker auf Twitter. Das aber müssten viele Menschen in der Türkei durch Armut und Unfreiheit. "Sie sind zurecht wütend. Darüber wird zu reden sein!" Özdemir selbst ist türkischer Herkunft, hat aber eigenen Angaben zufolge keinen türkischen Pass.
Özdemir schrieb weiter, die Autokorsos in Deutschland seien keine Feiern harmloser Anhänger eines etwas autoritären Politikers. "Sie sind eine nicht zu überhörende Absage an unsere pluralistische Demokratie und Zeugnis unseres Scheiterns unter ihnen. Übersehen geht nicht mehr." Es tue ihm um die vielen, vor allem jungen und gut ausgebildeten Menschen in der Türkei leid, die jede Hoffnung verlören. Er fürchte, dass Ultranationalismus und Fundamentalismus sich nun noch stärker durch neue Imame aus Ankara hierzulande verbreiten würden.
Sofuoglu: "Die deutsche Politik hat sehr viel versäumt"
Gökay Sofuoglu, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, sagte, es sei ein hoch emotionalisierter Wahlkampf von beiden Seiten gewesen. "Und man weiß: Wenn es um Emotionen geht, kann eigentlich niemand gegen Erdogan gewinnen." Es gelte es zu analysieren, warum Türkeistämmige in Deutschland vermehrt Erdogan wählten, sagte auch Sofuoglu.
Die Kritik von Özdemir wies er zurück. "Je mehr Bashing gegenüber den Wählerinnen und Wähler betrieben wird, desto mehr und entschlossener gehen die Menschen auch zur Wahl", sagte er. "Man könnte gerade auch die Menschen, die so politisiert sind, so aktiv in der Politik sind, auch mal für die deutsche Politik gewinnen." Da habe die deutsche Politik sehr viel versäumt.
Viele Gründe für gutes Ergebnis
Dass Erdogan bei den Wahlberechtigten in Deutschland so gut ankommt, hat laut Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien in Essen vielfältige Gründe: Zum einen kommen viele Menschen, die im Zuge der Arbeitsmigration in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts nach Deutschland kamen, aus dem anatolischen Kernland. Die dortigen konservativ-religiöse Lebensstile seien an die nächsten Generationen weitergegeben worden, sagte Ulusoy.
Gerade bei der jüngeren Generation, die eigentlich komplett in Deutschland sozialisiert worden sei, gebe es zudem mitunter eine Trotzhaltung. Es seien teils verletzende Erfahrungen gemacht worden, dass Türke oder Moslem zu sein in Deutschland keine große Wertigkeit hätten, sagte Ulusoy: "Und dann kommt ein Präsident, der ihnen das Gefühl gibt, diese Wertigkeit anzuerkennen, ihre Zugehörigkeit zur Türkei zu betonen und nicht zuletzt auch ihre Emotionen, ihre Herzen anzusprechen. Und das gelingt Erdogan sehr, sehr gut."
Zudem verfüge Erdogan über eine schlagkräftige Organisationsstruktur in Deutschland, sagte er. In vielen Haushalten dominieren zudem türkische Medien - von denen ein Großteil von der Regierung kontrolliert wird.