Alp in einer Gruppe.

Türkische Wähler in Deutschland Generation Erdogan

Stand: 11.05.2023 11:14 Uhr

Viele junge Deutsch-Türken kennen nur einen türkischen Präsidenten: Recep Tayyip Erdogan. Für wen haben sie sich bei dieser Wahl entschieden und warum?

Ein Eiswagen vor dem türkischen Konsulat in Düsseldorf: Hier steht der 21-jährige Alp in der Schlange, zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester. Der Friseur-Azubi aus Wuppertal hat für die bevorstehende Wahl in der Türkei seine Stimme abgegeben, er besitzt die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit.

Alp hat in seinen 21 Lebensjahren nur einen türkischen Präsidenten erlebt: Recep Tayyip Erdogan. Er meint, der mache seinen Job insgesamt gut: "Wirtschaftlich gesehen, politisch, auch außenpolitisch."  

Alp

Der 21-jährige Alp ist überzeugt von Präsident Erdogan.

"Er hat alle Versprechen gehalten"

Auch im Friseursalon in der Ruhrgebietsstadt Waltrop ist Erdogan Thema. Cihat Sengül, 20 Jahre alt, vom Deutsch-Türkischen Freundeskreis Waltrop lässt sich die Haare schneiden, während der gleichaltrige Friseur seine Gedanken zum türkischen Noch-Präsidenten teilt: "Ich finde Erdogan macht manche Sachen gut, indem er nicht komplett der westlichen Welt hinterherrennt. Es gibt Gut und Böse auf beiden Seiten. Er hat alle seine Versprechen gehalten, die er 2011 gegeben hat. Und das hat mich überzeugt", sagt der Friseur.

Cihat Sengül ist in Deutschland geboren, er studiert Politikwissenschaften, ist SPD-Mitglied. Sein Großvater kam als sogenannter Gastarbeiter nach Deutschland. Sengül findet es wichtig, Erdogan-Wähler nicht abzustempeln, sondern sich mit ihren Lebensrealitäten und Erfahrungen auseinanderzusetzen. "Alles andere wäre wie eine Dynamitbombe für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt", sagt er.  

Erdogan bei deutsch-türkischen Wählern erfolgreich

Viele Deutsch-Türken, auch die, die hier geboren und gut integriert sind, hätten Diskriminierung erlebt. "Und dann ist da so ein Mann in der Türkei, der ihnen zuruft: Ja, ihr seid auch mein Volk, ich nehme auch eure Bedürfnisse wahr", beobachtet Sengül. 

Auch die Politikwissenschaftlerin Inci Öykü Yener-Roderburg stellt fest, dass Erdogan vor allem auf der emotionalen Ebene überzeugt. Dass er bei vergangenen Wahlen unter Deutsch-Türken bessere Wahlergebnisse erzielte als in der Türkei, hat aus ihrer Sicht aber noch einen anderen Grund: "Die AKP-nahen Organisationen in Deutschland schaffen es viel besser als die Opposition, ihre Wählergruppen zu mobilisieren."

Sehr gut organisiert

Yener-Roderburg hat während der Türkei-Wahl eine Woche als Wahlbeobachterin im Konsulat Essen verbracht und unzählige Mini- und Doppeldecker-Busse beobachtet, die im Minutentakt Wählerinnen und Wähler von umliegenden Städten ins Wahlbüro gebracht hätten.

"Die AKP-nahen Diaspora-Organisationen wie die Moscheen-Gemeinde DITIP sind sehr gut organisiert", sagt sie. "Es braucht gar keine Auftritte von türkischen Politikern in Deutschland, denn die Menschen wissen ohnehin schon, wen sie wählen. Man muss sie nur dazu motivieren, auch von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen."

Höhere Wahlbeteiligung als vor fünf Jahren

Wahlforscherin Yener-Roderburg geht davon aus, dass die Beiligung unter Deutsch-Türken bei dieser Präsidentschaftswahl höher ist als vor fünf Jahren. Damals hatten knapp 50 Prozent (49,7 Prozent) ihre Stimme abgegeben.

Und während sich Erdogan und sein Herausforderer Kemal Kilicdaroglu in der Türkei ein Kopf an Kopf-Rennen liefern, deute alles darauf hin, dass Erdogan unter Wählerinnen und Wählern in Deutschland wieder vorne liege. Das bedeute aber nicht, dass die Mehrheit der in Deutschland lebenden Türken pro Erdogan sei, so Yener-Roderburg. Denn ein großer Teil mache von seinem Wahlrecht gar keinen Gebrauch.

"Demokratische Werte schützen"

Zu diesen Menschen zählte bislang auch Kaan Biyikal aus Köln. Auch der 25-Jährige kann sich aktiv nur an ein türkisches Staatsoberhaupt erinnern: Erdogan. An der Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren nahm er nicht teil, weil er fand, dass ihm das als in Deutschland lebende Person nicht zusteht.

Kaan

Kaan Biyikal kann sich nur an Erdogan als Präsident erinnern.

In diesem Jahr hat er sich anders entschieden. Er wolle mit seiner Stimme dazu beizutragen, dass Erdogan abgewählt wird: "Ich möchte die demokratischen Werte schützen, die im Moment angeschlagen sind. Beim Erdbeben hat man gesehen, dass zu wenig fürs Volk getan wurde. Ich liebe mein Land, ich liebe meine Herkunft, aber ich denke, nach 21 Jahren muss sich etwas ändern."

Sendehinweis: Die WDR-Doku "Generation Erdogan - vor der Wahl" aus der Reihe "Die Story" läuft am 10. Mai 2023, 22.15 Uhr im WDR Fernsehen. Die Beiträge der Reihe sind auch in der ARD-Mediathek abrufbar.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das WDR-Fernsehen am 10. Mai 2023 um 22:15 Uhr in der Dokumentation "Generation Erdogan - vor der Wahl".