Feiernde Erdogan-Anhänger
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Erdogans Wahlsieg Gewaltige Aufgaben - immer tiefere Gräben

Stand: 29.05.2023 01:21 Uhr

Erdogan hat die Wahl in der Türkei demokratisch gewonnen. Nun liegen politische Mammutaufgaben vor ihm. Ob es ihm gelingen wird, die tiefen gesellschaftlichen Gräben zuzuschütten, ist jedoch fraglich.

Ein Kommentar von Uwe Lueb, ARD Istanbul

Recep Tayyip Erdogan ist kein Sultan. Anders als der ist Erdogan demokratisch legitimiert. Zumindest gibt es bislang keine Vorwürfe des Wahlbetrugs in der Stichwahl. Ansonsten hat Erdogan durchaus etwas von einem Sultan: Er erklärt sich zum Sieger, als es noch kein offizielles Ergebnis gibt. Er äußert sich hämisch über seinen Gegner, Kemal Kilicdaroglu, von der Opposition. Die pro-kurdische HDP, für Erdogan politischer Arm der Terrorgruppe PKK, nennt er vor jubelnden Anhängern LGBT-freundlich, als mache die HDP das terrorverdächtiger.

Zwei Tage vor der Stichwahl sagt er, die Menschen könnten die Eroberung Konstantinopels vor 570 Jahren, einen Tag nach der Stichwahl, gleich mit seinem Sieg zusammen feiern. Statt wie früher vor der Zentrale seiner Partei, der AKP, lässt er sich nun direkt vor dem Präsidentenpalast feiern und attackiert dort, als wäre der Wahlkampf nicht vorbei, noch einmal Kilicdaroglu.

Teure Walkampfgeschenke

Die wenigsten dürften Erdogan gewählt haben, weil sie ihn für den Mann der Zukunft halten. Und auch der wirtschaftliche Zustand des Landes, die besonders hohe Jugendarbeitslosigkeit von rund 20 Prozent oder die massive Kritik am Krisenmanagement nach dem Erdbeben waren vermutlich keine Gründe für seinen Erfolg. Wahlgeschenke wie kostenloses Gas pünktlich zur Wahl und staatlich verordnete Lohnsteigerungen schon eher.

Zudem versteht Erdogan es seit jeher, einen von vielen wahrgenommenen kollektiven Minderwertigkeitskomplex für sich zu nutzen. Er gibt dem Ausland Schuld an eigenen Problemen und verheißt eine Türkei auf Augenhöhe mit den Mächtigeren der Welt, Russland und den USA. Nicht zuletzt hat Erdogan die Wahl gewonnen wegen einer überwiegend regierungshörigen Medienlandschaft, die seinen Wahlkampf unterstützt und den Kilicdaroglus mehr oder weniger ignoriert hat.

Die schwierigsten Aufgaben kommen noch

Vor Erdogan liegen nun Mammutaufgaben. Er muss der Wirtschaft des Landes zu neuem Schwung verhelfen und den Verfall der eigenen Währung stoppen. Er muss die Folgen des Erdbebens bewältigen im Sinne der Millionen Menschen, die leiden, traumatisiert sind und ihr Zuhause verloren haben. Er muss eine Lösung finden, wie es mit den Millionen einst aus Syrien in die Türkei Geflüchteten weitergeht.

Zu sehr brennt das vielen unter den Nägeln - nicht erst, seit Kilicdaroglu das Thema in den Mittelpunkt seines Wahlkampfes gerückt hat. Und gesellschaftlich sind die Gräben in diesem Wahlkampf tiefer geworden. Dass Erdogan sie auch nur annäherungsweise zuschütten kann, ist nicht zu erwarten. Unklar ist, ob er das überhaupt wollte, oder ob es ihm am Ende wie einem Sultan vor allem um eines geht: um Macht.

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Uwe Lueb, ARD Istanbul, tagesschau, 29.05.2023 05:58 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 29. Mai 2023 um 07:00 Uhr.