Deutsch-türkische Beziehungen Neustart ohne Erdogan?
Auch die deutsche Politik schaut mit Spannung auf die Abstimmung in der Türkei. Von einer Schicksalswahl ist die Rede, einige Politiker hoffen auf einen Neustart der deutsch-türkischen Beziehungen ohne Erdogan.
Schicksalswahl - das Wort hört Gökay Sofuoglu, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, zurzeit häufig. "Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Viele Menschen hier denken, dass ihre Stimme das Wahlergebnis in der Türkei entscheiden wird." Beobachter erwarten am Sonntag ein knappes Ergebnis. Die Stimmen der Türkinnen und Türken im Ausland könnten also eine wichtige Rolle spielen.
2018 erhielt der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdogan (AKP) in Deutschland mit rund 65 Prozent der Stimmen deutlich mehr Zustimmung als in der Türkei. Allerdings beteiligt sich der Großteil der türkischstämmigen Menschen in Deutschland damals wie heute gar nicht bei Wahlen in der Türkei.
Erdogans Anhängerschaft
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler weiß, dass Erdogan eine große Anhängerschaft in Deutschland hat. Auch, weil viele Deutsch-Türken sich hierzulande immer noch nicht anerkannt fühlten. Gerade jungen Menschen habe er das Gefühl vermittelt, dass sie sich wegen ihrer türkischen Abstammung nicht mehr verstecken müssen, meint die im Ruhrgebiet aufgewachsene Deutschtürkin.
Ganz anders bewertet Güler die Stimmung in der Türkei. Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und fehlende Meinungsfreiheit - die türkische Jugend lebe nicht so komfortabel wie die türkischstämmige Jugend in Deutschland. "Gewinnt Erdogan, werden wir eine sehr unzufriedene Jugend haben. Das heißt, es wird eine Riesenbewegung der jungen Menschen geben - entweder in Aufständen oder in dem Sinne, dass die das Land verlassen."
"Gotteshäuser sind keine Wahlkampfzentralen"
Es steht also viel auf dem Spiel, glaubt auch Cem Özdemir. Umso mehr ärgert den Grünen-Politiker und Minister, dass in Nürnberg mit Genehmigung der Stadtverwaltung zeitweise Erdogan-Plakate aufgehängt worden seien. Öffentlicher Wahlkampf türkischer Politiker und Politikerinnen ist in Deutschland untersagt. Informelle Veranstaltungen fänden aber in den Moscheen statt. "Gotteshäuser sind keine Wahlkampfzentralen weder der AKP noch der ultranationalistischen MHP", kritisiert Özdemir im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio.
Für den ersten türkischstämmigen Bundesminister Deutschlands steht fest: Diese Wahl entscheidet über den künftigen Weg der Türkei. Und zwar, "ob der Weg Richtung Europa führt, Richtung Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte. Oder ob die Türkei sich in einen Block mit Russland, China einreiht."
Hoffnung ruht auf Kilicdaroglu
Weder Güler noch Özdemir können bei der Wahl in der Türkei selbst abstimmen, da sie keinen türkischen Pass haben. Auch eine Wahlempfehlung geben sie öffentlich nicht ab. Im Gespräch wird aber klar: Bei einem Sieg von Erdogans Herausforderer Kemal Kilicdaroglu erhoffen sie sich auch einen Neustart der deutsch-türkischen Beziehungen.
Aufbruch nach Europa, ein Neustart der deutsch-türkischen Handelsbeziehungen, Visaerleichterungen für Türken, die nach Deutschland reisen wollen: Für den SPD-Bundestagsabgeordnete Macit Karaahmetoglu öffnen sich viele neue Perspektiven, sollte Kilicdaroglu nächster Präsident werden. Wichtig wäre sofort ein starkes Zeichen aus Deutschland. "Zum Beispiel, dass Olaf Scholz in den ersten 100 Tagen in die Türkei reist, um der neuen Regierung den Rücken zu stärken."
Allerdings drohen dem deutsch-türkischen Verhältnis auch Probleme: So will Kilicdaroglu mit dem syrischen Diktator Bashar al-Assad verhandeln, um syrische Geflüchtete zurück in ihre Heimat schicken zu können.
Für den grünen Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe, Max Lucks, ist das eine rote Linie. "Egal, wer in der Türkei an der Macht ist, Deutschland wird eine Normalisierung von Assad, als einen der brutalsten und grausamsten Diktatoren der Welt, nicht mitgehen und nicht unterstützen."