Reaktionen auf EU-Asylkompromiss "Ein Durchbruch, aber kein großer Wurf"
Der europäische Asylkompromiss spaltet die Grünen: Während sich die Parteijugend "entsetzt und wütend" zeigt, verkauft Co-Chef Nouripour die Einigung als Durchbruch - bei dem jedoch sehr vieles nicht erreicht worden sei.
Am Tag nach dem EU-Kompromiss zur Asylpolitik ist die Stimmung bei der Grünen Jugend schlecht: "Wir sind entsetzt und wütend über diese Entscheidung, die da getroffen wurde." Für Timon Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend, ist es klar, dass SPD-Innenministerin Nancy Faeser nicht hätte zustimmen dürfen.
"Ich finde das extrem, dass Deutschland jetzt einen Kompromiss mitgetragen hat, der ein klarer Widerspruch zur Kinderrechtskonvention ist", so Dzienus. Die Ampel habe versprochen, das Leid an den europäischen Außengrenzen zu beenden. "Jetzt gibt es mehr Leid, mehr Chaos und mehr Gewalt."
Hauptstreitpunkt sind die Asylzentren
Entsetzen nicht nur bei der Grünen Jugend - für die Grünen insgesamt geht der EU-Kompromiss, so wörtlich, "ans Eingemachte", das räumt auch die grüne Außenministerin Annalena Baerbock ein. Hauptstreitpunkt ist die Verschärfung der Asylpolitik durch sogenannte Asylzentren an den europäischen Außengrenzen. Dort sollen Menschen mit geringer Bleibeperspektive überprüft werden - also Personen aus Ländern, aus denen Antragsteller in weniger als einem Fünftel aller Fälle anerkannt werden.
Die Grünen wollten das nicht, wenigstens sollten Familien und Kinder - gleich aus welchen Ländern - davon ausgenommen werden. Das soll nun aber nur für unbegleitete Kinder gelten.
Grüne ringen lautstark mit sich selbst
"Gestern war ein tragischer Tag für die Schutzsuchenden", findet der grüne Abgeordnete Kassem Taher Saleh, dessen Familie mit ihm aus dem Irak floh. "Die Lösung ist meiner Meinung nach unmenschlich", mein Saleh. "Wir kommen dazu, dass wir haftähnliche Lager an den europäischen Außengrenzen haben." Das sei nicht im Sinne einer bündnisgrünen Wertepolitik.
Die Grünen ringen heftig und lautstark mit sich selbst. Neben den Kritikern gibt es auch diejenigen, die lieber den Kompromiss als die jetzigen Verhältnisse haben. Mit Schrecken erinnern sie an katastrophale Bedingungen etwa im griechischen Flüchtlingslager Moria vor drei Jahren. Zu den vorsichtigen Befürwortern gehört Grünen-Co-Chef Omid Nouripour: "Es ist ein Durchbruch, aber kein großer Wurf", so der Politiker. Seiner Meinung nach sei sehr vieles nicht erreicht worden: "Die Frage der Verteilung, eine zentrale Frage für die Staaten, die am meisten aufnehmen, ist nicht verbindlich verankert, worden, auch wenn es dort Fortschritte gibt."
Innenministerin betont europäische Solidarität
Die SPD - allen voran Innenministerin Nancy Faeser als Verhandlungsführerin - betont lieber die Vorzüge, etwa mehr europäische Solidarität. Denn: Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, sollen zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden. Lange scheint es her, dass die Sozialdemokraten den damaligen CSU-Innenminister Seehofer für seine Pläne zu Asylzentren kritisiert haben.
Entsetzen heute bei vielen Lobbyverbänden: von Pro Asyl über Caritas und Diakonie bis hin zu Ärzte ohne Grenzen. Ja, es gab manch bittere Pille zu schlucken, räumt Regierungssprecher Steffen Hebestreit ein. Aber: "Wir sind zuversichtlich, dass sich das im Trilog mit dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission noch bewerkstelligen lässt, dass womöglich da noch eine Veränderung, eine Verbesserung errungen wird."
Städte- und Gemeindebund bleibt skeptisch
Die Kommunen in Deutschland seien an der Grenze ihrer Belastbarkeit, unterstreicht erneut Gerd Landsberg vom Städte- und Gemeindebund. Aus seiner Sicht wird sich das auch durch die aktuellen Pläne so bald nicht ändern: "Im Moment hilft der Kompromiss gar nichts. Das EU-Parlament muss noch zustimmen. Und dann dauert es Jahre."
Deshalb, so Landsberg, könne man ehrlicherweise nur von einer Zukunftsperspektive sprechen.