Migrationspolitik Scholz spricht mit EU-Partnern über Grenzpläne
Man sei "vorab in keinster Weise informiert" worden über die Grenzpläne, heißt es aus Warschau - nun hat Kanzler Scholz mit Polens Regierungschef Tusk über die Asylpolitik gesprochen. Auch Gespräche mit anderen EU-Regierungschefs sind geplant.
Bundeskanzler Olaf Scholz will in den kommenden Tagen mit mehreren europäischen Regierungschefs über die Asylpolitik beraten. Der Kanzler werde "demnächst" einzeln mit den Staats- und Regierungschefs der europäischen Nachbarstaaten sprechen, um die deutschen Pläne zu erklären, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Auch ein Gespräch mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sei geplant.
Wie Hebestreit später erklärte, gab es bereits ein Telefonat des Kanzlers mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk. Scholz habe dabei die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Maßnahmen erläutert. Thema seien auch "weitere Überlegungen zur Reduzierung irregulärer Migration, die sich im Rahmen der europäischen Rechtsordnung bewegen", gewesen. Beide hätten darin überein gestimmt, "dass die Herausforderungen irregulärer Migration und Schleuseraktivitäten nur gemeinsam bewältigt werden können und eine enge Zusammenarbeit der europäischen Partner unerlässlich" sei.
Übereinstimmung gab es demnach auch darin, den Schutz der europäischen Außengrenzen zu stärken - "insbesondere auch angesichts der zynischen Instrumentalisierung von Migranten durch Belarus". Scholz und Tusk vereinbarten demnach, "ihren engen Austausch" zu diesen Themen fortzusetzen.
Innenministerium spricht von "Irritationen"
In den vergangenen Tagen hatte es besonders aus Polen und Österreich Kritik an den deutschen Plänen für ein anderes Vorgehen an den Außengrenzen gegeben. In der Regierung wird dies vor allem auf die weiterreichenden Forderungen der oppositionellen Union nach generellen Zurückweisungen von Migranten zurückgeführt, die aber gar nicht umgesetzt würden.
"Es hat Irritationen gegeben", sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Das Ministerium teilte weiter mit, dass Innenministerin Nancy Faeser am 17. September im Rahmen des "Berliner Prozesses" Regierungsvertreter aus Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Österreich, Polen, Slowenien und Großbritannien sowie der Westbalkan-Staaten eingeladen habe. Auch Vertreter der EU und internationaler Organisationen würden an dem Treffen teilnehmen. "In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt des Treffens auf Fragen der irregulären Migration, des Menschenhandels, der Schleusungskriminalität sowie der Organisierten Kriminalität", so das Ministerium.
"Unübliche Art, mit seinen Nachbarn umzugehen"
Aus Polen hatte es bereits in den vergangenen Tagen Kritik gegeben. Dabei geht es aber nicht in erster Linie um die Frage von Zurückweisungen, sondern auch um die Grenzkontrollen, die Faeser Anfang der Woche auf alle deutschen Grenzen ausweiten ließ.
Polen sieht darin eine Belastung für die Beziehungen der beiden Länder. "Man hatte uns vorab in keinster Weise informiert", sagte der polnische Vizeaußenminister Wladyslaw Teofil Bartoszewski nun dem Magazin Stern. "Wir erfuhren davon, als die deutsche Innenministerin die Entscheidung öffentlich machte."
Bartoszewski kritisierte dies als "etwas unübliche Art, mit seinen Nachbarn umzugehen". Er ergänzte: "Man kann seine Nachbarn nicht mit derartigen Entscheidungen überraschen. So geht man nicht mit Partnern um." Die Einführung der Grenzkontrollen sei das "Ende des Geistes von Schengen", sagte er mit Blick auf den europäischen Raum, in dem üblicherweise freier Personen- und Warenverkehr gewährleistet ist. Schon am Dienstag hatte Polens Regierungschef Tusk das deutsche Vorgehen als "inakzeptabel" bezeichnet. Auch aus Österreich hatte es Kritik gegeben.
Bundesregierung: "Keine Belastung"
Die Bundesregierung sieht derweil kein angespanntes Verhältnis zu Polen. "Ich kann da keine Belastung feststellen", sagte Regierungssprecher Hebestreit. Die Diskussionen zur Migrationspolitik, die hierzulande geführt würden, werde Deutschland auch mit seinen europäischen Nachbarländern führen. "Wir arbeiten sehr eng mit der neuen polnischen Regierung zusammen", betonte auch ein Sprecher des Auswärtigen Amts.
Die Grenzkontrollen an allen deutschen Landgrenzen sollen am Montag beginnen und zunächst sechs Monate dauern. An den Grenzen zu Polen wird allerdings bereits seit Oktober letzten Jahres kontrolliert - "eng abgestimmt" mit Polen, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte. Für das Land ändere sich deshalb "gar nichts". Die Ausdehnung ab Montag beziehe sich auf die westlichen und nördlichen Grenzen Deutschlands.
Niederlande wollen Notstand ausrufen
Die Niederlande haben unterdessen eigenen Pläne: Um die Einreise von Asylsuchenden stark zu begrenzen, will das Land einen Notstand ausrufen. Die radikal-rechte Asylministerin Marjolein Faber kündigte an, Teile des Asylgesetzes "sehr schnell" außer Kraft zu setzen. Die Niederlande würden die "strengsten" Asyl- und Einwanderungsregeln in Europa bekommen, erklärte sie.
Zudem will das Land auch schärfere Grenzkontrollen einführen. Die Asylministerin plant die Einschränkung des Familiennachzugs, mehr Abschiebungen von straffälligen und abgewiesenen Asylbewerbern sowie eine Verringerung der Möglichkeiten, Gerichtsentscheidungen anzufechten. Die Regierung will bei der EU-Kommission zudem einen Antrag stellen, um von der europäischen Asyl- und Migrationspolitik abweichen zu dürfen.
Es sei Zeit für einen drastischen Kurswechsel, sagte Faber. "Wir ergreifen Maßnahmen, um die Niederlande für Asylsuchende so unattraktiv wie möglich zu machen." Die Verschärfung des Asylrechts ist einer der Schwerpunkte der neuen rechten Regierung in Den Haag, an der erstmals auch die radikal-rechte Partei für die Freiheit (PVV) des Rechtspopulisten Geert Wilders beteiligt ist.
Steinmeier mahnt Ampel-Koalition
Nach dem vorläufigen Scheitern der Migrationsgespräche zwischen Regierung und Union schaltete sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die Debatte ein. Er sieht die Ampel-Koalition in der Pflicht, Änderungen in der Migrations- und Asylpolitik voranzutreiben. "Wenn das gemeinsame Bemühen gescheitert sein sollte, dann muss eben aus dem, was vereinbarungsfähig ist, in der Koalition etwas gemacht werden", sagte er im Gespräch mit dem ARD-Morgenmagazin.
Der Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Deutschland, Stefan Keßler, warnt indes davor, Terrorismus und Straftaten mit Migration zu vermischen. Dies sei "ein hoch gefährliches Problem der Debatte", sagte er dem Portal kirche-und-leben.de. Es stehe außer Frage, dass die öffentliche Sicherheit nach Taten wie in Solingen und Mannheim bewahrt werden müsse. Die Taten hätten aber mit Flucht nichts zu tun. "Das waren Straftäter. Flucht und Zuwanderung sind nicht der Grund der Tat."
Der Ordensmann warnte davor, Menschen, die Schutz vor Verfolgung, Krieg und Gewalt suchten, pauschal mit Straftätern in einen Topf zu werfen. Insofern sei die Debatte um Aufnahme von Schutzsuchenden nicht mehr an der Sache orientiert, sondern werde "nur noch aus populistisch-parteipolitischen Motiven" geführt.
Ein Auslöser der aktuellen Debatte über die Migrationspolitik war das Messerattentat von Solingen, das mutmaßlich von einem Islamisten aus Syrien verübt wurde.