Reaktionen auf deutsche Pläne Klare Worte aus Wien und Warschau
Innenministerin Faeser ordnet Kontrollen an den Bundesgrenzen an und löst damit bei der EU Sorgen um den freien Personen- und Warenverkehr aus. Besonders deutliche Worte kommen aus Österreich und Polen.
Um die irreguläre Migration einzudämmen, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Montag vorübergehend die Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen ausgeweitet. Solange die EU ihre Außengrenzen nicht schützen könne, müsse Deutschland seine Grenzen kontrollieren, argumentiert die Bundesregierung.
Nach dem Schengener Grenzkodex sind Kontrollen nur als Ausnahme erlaubt: Sie müssen zeitlich streng begrenzt sein und bei der EU-Kommission angemeldet werden. Das ist auch bereits geschehen, wie Kommissionssprecherin Anitta Hipper bestätigt: Faeser habe die EU über die Kontrollen benachrichtigt.
"Nach dem Schengener Grenzkodex können die Mitgliedstaaten solche Kontrollen ansetzen, wenn eine ernsthafte Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit vorliegt", erklärt Hipper. Die Kommission stehe im Kontakt mit den deutschen Behörden, wie auch mit den anderen Mitgliedstaaten, die ihre Binnengrenzen kontrollieren.
Schaden für die Wirtschaft und die Grenzgemeinden
In der EU-Kommission versucht man das Thema nicht allzu hoch zu hängen. Auch die Ankündigung aus Berlin, die Kontrollen an den deutschen Grenzen deutlich länger als die zulässigen sechs Monate beizubehalten, will man nicht kommentieren.
Doch die Sorge um den freien Personen- und Warenverkehr im Schengenraum ist bei vielen sehr groß, sagt die niederländische EU-Abgeordnete Raquel García Hermida-Van der Walle. Natürlich sei der erste Reflex der Deutschen nach dem Attentat in Solingen, verübt von einem ausreisepflichtigen, aber nicht abgeschobenen Asylbewerber, vollkommen nachvollziehbar: "Aber solch ein politisches Signal macht weder Europa noch Deutschland sicherer."
Vielmehr schade es der Wirtschaft und Tausenden Menschen, die in Grenzgemeinden leben. "Eine unserer wichtigsten Freiheiten wird aufs Spiel gesetzt, um ein politisches Signal zu senden." Die Abgeordnete schlägt vor, stattdessen mehr in den Schutz der Außengrenzen und in die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten zu investieren.
Gemeinsame deutsch-österreichische Patrouillen?
So empfiehlt auch die EU-Kommission in einem Bericht zu Alternativen für die Grenzkontrollen im Falle Deutschlands beispielsweise, dass deutsche und österreichische Polizeibeamte gemeinsam patrouillieren und Personen stoppen, bevor sie die Grenze nach Deutschland überqueren. In diesem Fall müsste dann Österreich prüfen, welches Land für den Antrag zuständig ist.
Ausgeschlossen sei in jedem Fall, dass Österreich Personen zurücknimmt, die in Deutschland abgewiesen wurden, sagt der österreichische Innenminister Gerhard Karner deutlich.
Scharfe Kritik kommt zudem vom polnischen Premier Donald Tusk. Das Vorgehen Berlins sei inakzeptabel. Das Schengen-Abkommen werde damit praktisch ausgesetzt.
Kommt der Dominoeffekt?
Tatsächlich könnten die Grenzkontrollen dazu führen, dass auch die umliegenden Länder - in einer Art Dominoeffekt - dem deutschen Beispiel folgen, weil kaum eine EU-Regierung bereit ist, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Da hänge vieles mit vielem zusammen, sagt Österreichs Innenminister Karner.
So wie er glauben deshalb viele EU-Politiker, dass es nun vor allem darum gehen müsse, die gerade beschlossene Reform des europäischen Asylrechts umzusetzen. "Wir müssen die raschen Verfahren an den Außengrenzen und die Zusammenarbeit mit den Drittstaaten, was die Kernpunkte dieses Pakts sind, auch mit Leben erfüllen", betont der Österreicher. Man müsse wirklich weiterkommen, um Missbrauch zu unterbinden.
Lücken in der Fingerabdruck-Datenbank
Den Asylantrag eines Menschen, der bereits in einem anderen EU-Land registriert wurde oder diesen Antrag auch in einem sicheren Drittstaat hätte stellen können, abzulehnen, ist nicht generell rechtswidrig, wie auch die EU-Kommission zu verstehen gibt. Allerdings sei auch dafür ein formelles Verfahren und die Zustimmung des betroffenen Mitgliedsstaates nötig. Für dieses Prozedere hat das jeweilige Land sechs Monate Zeit.
Dazu kommt, dass die mit der Asylreform geplante Datenbank Eurodac, in der die Fingerabdrücke aller Asylantragsteller festgehalten werden, bisher nur unvollständig funktioniert. So waren 2022 von den 217.774 Erstantragstellern in Deutschland drei Viertel noch in keinem anderen EU-Land registriert worden.