Ampel kritisiert Gesprächsabbruch Rausgehen der Union "stand schon vorher fest"
Die Bundesregierung will mit einem härteren Vorgehen beim Thema Migration der Union entgegenkommen. Diese lehnt die Pläne der Ampel aber ab. Nun machen sich beide gegenseitig für das Scheitern verantwortlich.
Die Ampel-Regierung und die Union haben bei ihrem zweiten Migrationstreffen im Bundesinnenministerium keinen gemeinsamen Nenner gefunden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schlug bei dem Gespräch, an dem auch Ländervertreter teilnahmen, ein Modell vor, wonach das sogenannte Dublin-Verfahren beschleunigt werden soll.
Laut den Plänen der Ampel soll bereits an der Grenze geprüft werden, ob ein anderer EU-Staat für einen Asylbewerber zuständig ist. In diesem Fall sollen Migranten dann festgesetzt und schnell dorthin zurückgeschickt werden. Die Bundesländer sollten in Grenznähe Haftkapazitäten schaffen, um ein Untertauchen der Personen zu vermeiden.
Die Pläne will die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP nach Angaben der Ministerin nun auch ohne die Union verfolgen. "Wenn wir das jetzt als gutes System etablieren wollen, braucht es mehr Personal, damit die Bundespolizei das auch dauerhaft stemmen kann", räumte Faeser ein. Für die konkrete Umsetzung der geplanten Beschleunigung sei eine Zusammenarbeit mit den betroffenen Bundesländern notwendig, so die Ministerin. Bei einigen Ländern habe sie hierzu auch bereits Interesse festgestellt.
Union erklärt Gespräche für gescheitert
Zuvor hatte die Union die Gespräche mit der Bundesregierung in Berlin abgebrochen. Noch vor einer angekündigten Pressekonferenz der Ampel waren Vertreter der Oppositionspartei ihrerseits vor die Presse getreten. CDU/CSU und die Bundesregierung seien bei den Beratungen "nicht zu einem gemeinsamen Ergebnis gekommen", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei.
Die Regierungsparteien hätten "keinen Vorschlag unterbreitet, der tatsächlich zu Zurückweisungen an der Grenze über das bisher übliche Maß hinaus führt". Die Pläne zielten stattdessen nur auf beschleunigte Verfahren in Deutschland. Der hessische Innenminister Roman Poseck sagte, man brauche "eine wirkliche Trendwende in der Migrationspolitik". Dazu sei die Ampel nicht bereit. "Wir halten dieses Gesprächsformat nicht für zielführend, das hat das heutige Gespräch gezeigt."
Merz: Vermisse Führung von Scholz
Auch Unionsfraktionschef Friedrich Merz erklärte die Gespräche in einer späteren Stellungnahme für gescheitert. Die Koalition sehe sich offensichtlich nicht zu umfassenden Zurückweisungen an den deutschen Staatsgrenzen in der Lage, sagte der CDU-Vorsitzende. "Damit ist der Versuch gescheitert, einen gemeinsamen Weg zu gehen." Er vermisse in dieser Frage Führung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Die Union hatte eine Notlage ausrufen wollen unter Berufung auf Artikel 72 des EU-Vertrags, um von normalen europäischen Verfahren abweichen zu können. Nach Einschätzung der Ampel-Koalition fehlt dafür die rechtliche Grundlage.
Scholz wirft Merz "Provinzbühnenschauspielerei" vor
Vom Bundeskanzler war wiederum ähnliche Kritik an Merz zu hören. Wegen des Abbruchs der Migrationsgespräche warf Scholz dem CDU-Chef Verantwortungs- und Führungslosigkeit vor. "Das Rausgehen aus dieser Runde, das stand schon vorher fest. Und das ist blamabel für diejenigen, die das zu verantworten haben", sagte der Kanzler in einer Ansprache beim Sommerfest des konservativen Seeheimer Kreises der SPD in Berlin."
"Führung sieht anders aus. Charakter, Ehrlichkeit und Festigkeit sind für dieses Land gefragt. Und nicht solche kleinen Taschenspielertricks und Provinzbühnenschauspielerei", so Scholz. Führung bedeute, dass man nicht davonlaufe. "Und Führung bedeutet, dass man Kompromisse machen kann. Aber das muss man dann auch wollen."
Die Bundesregierung werde nun das, was sie vorgeschlagen habe, auf den Weg bringen, sagte der Kanzler weiter. "Wir haben eine massive Kehrtwende im effektiven Umgang mit irregulärer Migration in Deutschland eingeleitet. Und das war richtig." Das sehe man etwa an der gesunkenen Zahl der irregulär Eingereisten und der massiv gestiegenen Zahl von Rückführungen.
Ampel-Politiker sehen Verantwortungslosigkeit bei der Union
Auch andere führende Ampel-Politiker warfen der Union Verantwortungslosigkeit vor. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kritisierte während der Presseerklärung nach dem Treffen in Berlin, die Unionsvertreter seien "aufgestanden, obwohl wir viele Themen noch gar nicht besprochen haben".
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) betonte, die Regierung sei zu weiteren Gesprächen bereit. Man könne von ihr aber nicht verlangen, dass sie Vorschläge auf den Tisch lege, die nicht rechtskonform seien.
Das jetzt vorgelegte Modell der Bundesregierung funktioniere jedenfalls. So sei das Festhalten der Menschen im grenznahen Raum effektiver als ein Zurückschieben über die grüne Grenze, wo damit zu rechnen sei, dass die Zurückgeschobenen an anderer Stelle dann einen weiteren Einreiseversuch unternehmen würden. Es gehe jetzt um Lösungen, die "an Recht und Gesetz gebunden" seien.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte angesichts des Vorgehens der Union: "Es ist vollkommen unverständlich, dass die Union die Verhandlungen verlassen hat. Schließlich wurde ihr angeboten, dass ihre Vorschläge zur Zurückweisung von Asylbewerbern eins zu eins umgesetzt werden". Es gebe "keinen objektiven Grund, die Gespräche zu beenden", sagte Djir-Sarai. Die FDP sei weiterhin bereit, das von der CDU geforderte Modell umzusetzen - trotz rechtlicher Bedenken.
Auch Grünen-Co-Vorsitzender Omid Nouripour betonte in den tagesthemen die Offenheit für eine gemeinsame Lösung. "Die Tür bleibt offen, wenn die Vorschläge der Union, rechtens sind, wirksam und machbar", so Nouripour. Wenn die Union zur Ernsthaftigkeit zurück fände, "können wir weiterreden".
FDP-Chef Christian Lindner schlug ein Spitzentreffen der Ampelkoalition mit Merz vor. "Die Absage der Union an den Asylgipfel darf nicht das letzte Wort sein", schrieb der Bundesfinanzminister auf der Plattform X. Merz sollte mit dem Kanzler, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und ihm selbst persönlich verhandeln. "Wir werden gemeinsam das Problem lösen", fügte Lindner hinzu. Deutschland brauche Kontrolle und Konsequenz bei der Migration.
Forderung nach weniger Polarisierung
Angesichts der anhaltenden Asyldebatte rief der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, zu weniger Polarisierung und mehr Zusammenhalt auf. In den aktuellen Diskussionen dürfe sich die Gesellschaft nicht gegeneinander aufwiegeln lassen, forderte Bätzing beim Michaelsempfang der katholischen Kirche in Berlin, zu dem Vertreter aus Kirche, Politik, Gesellschaft sowie Wirtschaft anwesend waren - darunter auch Kanzler Scholz.
Mit Blick auf die Rufe nach Verschärfungen bei der Asylgesetzgebung fügte Bätzing hinzu, Kirche müsse aus dem christlichen Menschenbild heraus Position beziehen. Dazu gehöre zum Beispiel, die Not der Schutzsuchenden zu sehen und für einen rechtsstaatlichen und menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten einzutreten.
Integrationsbeauftragte warnt vor "Überbietungswettbewerb"
Vor der zweiten Gesprächsrunde zwischen den Vertretern der Bundesregierung, der Länder und der Union hatte auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, vor einem "Überbietungswettbewerb" von "populistischen Parolen" gewarnt. Dieser mache ihr "große Sorge, insbesondere wenn es darum geht, Menschen unter Generalverdacht zu stellen oder ganze Menschengruppen in eine Schublade zu stecken", sagte Alabali-Radovan im WDR .
Anlass der Gespräche über eine Verschärfung der Migrationspolitik ist der mutmaßlich von einem syrischen Geflüchteten begangene Messeranschlag von Solingen im August.
Alabali-Radovan sagte dazu, es gebe ein Problem "mit islamistischem Extremismus, deshalb muss es jetzt auch natürlich um die Bekämpfung von islamistischem Extremismus gehen". Dabei gehe es um Sicherheitsfragen und Prävention. "Man kann aber nicht immer alles unter den Deckmantel Migration stecken", sagte die SPD-Politikerin. Der islamistische Extremismus sei "ein gesondertes Thema für sich".