Migration und Grenzkontrollen Wie Deutschlands Nachbarn reagieren
Deutschland verschärft den Kurs gegen Migration: Grenzkontrollen werden ausgeweitet, Zurückweisungen heiß diskutiert. Aus den Nachbarländern kommt ein sehr geteiltes Echo. Ein Überblick.
Lob aus den Niederlanden
Die rechtsgerichtete Regierung in den Niederlanden lobt den aus ihrer Sicht überraschenden aber vernünftigen Vorstoß von Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Asylministerin Marjolein Faber, die Geert Wilders' rechtspopulistischer "Partei für die Freiheit" (PVV) angehört, erklärte allerdings nur sehr allgemein, dass die Migration begrenzt werden müsse, ohne näher darauf einzugehen, wie sie auf den Vorstoß praktisch reagieren will.
Wilders hatte in den sozialen Medien verkündet, was Deutschland mache, sei eine "gute Idee". Wilders selbst hatte im Wahlkampf angekündigt, an den Grenzen zu kontrollieren und Migranten, die etwa aus Deutschland kommen, zurückzuweisen.
Nicht ohne Grund ist aber auch in den Niederlanden eine gewisse Zurückhaltung spürbar: Der Regierung sitzen die Wirtschaftsverbände im Nacken. Sie warnen davor, zehntausende Grenzpendler und Studenten mit unter Umständen langen Wartezeiten zu verprellen, und sie rechnen vor, dass allein zwischen Deutschland und den Niederlanden täglich rund 100.000 Lkw unterwegs sind. Jede Stunde Wartezeit an den Grenzen koste 100 Euro pro Lkw, so der Logistikverband TLN, der bereits vor vor unterbrochenen Lieferketten warnte.
Von Andreas Meyer-Feist, ARD Brüssel.
Schroffe Reaktion aus Österreich
In Österreich ist die Regierung nicht gut auf die deutsche Migrationsdebatte zu sprechen. Es ist Wahlkampf, und die in Teilen rechtsextreme FPÖ führt die Umfragen an. Schon am Montag hatte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) umgehend klargestellt, dass sein Land keine Asylsuchenden aufnehmen würde, die Deutschland an seinen Grenzen über die bisherige Praxis hinaus zurückweise. Das wäre der Fall, wenn Deutschland die Notfallklausel bemüht und Bundes- über Europarecht stellen würde.
Nun hat Österreichs Kanzler Karl Nehammer angekündigt, für diesen Fall das gleiche zu tun. In einer Wahlsendung erklärte der ÖVP-Politiker, es könne nicht sein, dass der Druck einfach "auf Österreich abgeladen wird". "Sollte Deutschland beginnen, hier durch eigenwillige Rechtsinterpretationen eine Unsicherheitslage zu schaffen, werden wir dagegen aufstehen und unsere Grenzen ganz klar schützen." Einer der renommiertesten Europarechtler Österreichs, Walter Obwexer, gibt Nehammer Recht: Österreich wäre zu dem Schritt "wohl faktisch gezwungen". Für diesen Fall geht er von einem Dominoeffekt aus.
Österreich fährt seit der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz einen härteren Migrationskurs als Deutschland. Das Jahr 2023 bezeichnete Innenminister Karner als "Jahr der Abschiebungen": Knapp 13.000 Menschen wurden da aus Österreich abgeschoben, so viele wie noch nie. Im etwa zehn Mal so großen Deutschland gab es 2023 rund 16.400 Abschiebungen.
Von Silke Hahne, ARD Wien.
Polen fordert Unterstützung bei Sicherung der EU-Außengrenze
In Polen stoßen die Ankündigungen aus Deutschland auf scharfe Kritik. Dass jetzt die Grenzen strenger kontrolliert und möglicherweise Geflüchtete direkt zurückgewiesen werden, sei Folge einer innerdeutschen Debatte und "eine Reaktion auf die Fehler der deutschen Politik vor vielen Jahren, nicht der polnischen", erklärte Polens Premierminister Donald Tusk.
Der Plan von Bundesinnenministerin Nancy Faeser hebe de facto das Schengensystem auf. Das sei inakzeptabel, so Tusk. Polen brauche Unterstützung bei der Sicherung der EU-Außengrenze und keine Belehrungen. Tusk kündigte an, sich mit anderen Nachbarländern Deutschlands auszutauschen und eine Lösung auf europäischer Ebene zu suchen - wo man "über Streitfragen reden kann, ohne einander zu überraschen".
Die harte Migrationspolitik in Polen gehört zu den wenigen Konstanten, die sich auch mit dem Regierungswechsel von der nationalkonservativen PiS-Partei zur liberalen Koalition um Tusk nicht verändert haben.
Kurz nach Tusks Auftritt am Dienstag wurde bekannt, dass die seit Juni bestehende Sperrzone an der Ostgrenze um weitere 90 Tage verlängert wird. Nach wie vor finden an der Grenze zu Belarus regelmäßig nach europäischem Recht illegale Pushbacks statt, bei denen Geflüchtete trotz Asylwunsch aus Polen zurückgedrängt werden.
Von Martin Adam, ARD Warschau.
Italien reagiert zurückhaltend
In Italien stößt die deutsche Ankündigung, an weiteren Grenzen Kontrollen aufzunehmen, auf ein zurückhaltendes Echo. Deutschland habe eine "legitime Entscheidung" getroffen, die Italien respektiere, erklärte das Innenministerium in Rom. Weitere Kommentare wolle die italienische Regierung nicht geben, "aus Respekt", wie das Ministerium mitteilt. Beim Treffen der Innenminister der G7-Staaten Anfang Oktober werde aber sicher auch dieses Thema besprochen werden.
Italien hatte selbst im vergangenen Oktober an der Grenze zum EU-Nachbarstaat Slowenien die Kontrollen wieder aufgenommen. Als Grund wurden Gefahren für die innere Sicherheit genannt. Im Juni gab Italien eine Verlängerung der Kontrollen bis mindestens Mitte Dezember 2024 bekannt.
Die beträchtliche Zahl von Migranten, die vor allem übers Mittelmeer ankommen, ist in Italien ein politisches Dauerthema. Die Parteien der rechtsgerichteten Regierung hatten vor der Wahl vor zwei Jahren angekündigt, sie wollten dafür sorgen, dass deutlich weniger Menschen nach Italien gelangen.
Viele Migranten versuchen aus Italien weiter in andere Länder Europas zu reisen, wie etwa Deutschland. Italien duldet nach Einschätzung von Fachleuten vielfach solche Weiterreisen, auch wenn es bei Asylanträgen eigentlich für die Durchführung der jeweiligen Asylverfahren zuständig wäre. Als neuen Weg in der Asylpolitik hat Italien eine Einrichtung in Albanien errichtet. Dort soll von italienischen Behördenmitarbeitern über Asylanträge entschieden werden: Nach Regeln der EU, aber außerhalb der EU-Grenzen.
Von Nikolaus Nützel, ARD Rom.
Systematische Grenzkontrollen in Frankreich
Politische Reaktionen auf die deutschen Pläne gibt es in Frankreich bisher nicht. Französische Medien greifen das Thema eher nachrichtlich auf. Das Investigativ-Portal Médiapart spricht allerdings von einer Kehrtwende in der deutschen Migrationspolitik - und wirft Deutschland vor, sich mit den Grenzkontrollen abzuschotten.
Dabei ist das Thema in Frankreich selbst nicht neu. Nach den Terroranschlägen 2015 hatte das Land die Grenzkontrollen wieder eingeführt - und im Grunde seither aufrecht erhalten. Die Regierung rechtfertigt sie mit der erhöhten Terrorgefahr und einer möglichen Gefahr für die innere Sicherheit des Landes. Organisationen wie die Französische Menschenrechtsliga kritisieren, dass die Grenzkontrollen weniger dem Schutz vor Terror dienten, sondern der generellen Migrationsabwehr.
Eine öffentliche Debatte gab es zuletzt über die Lage an der französisch-italienischen Grenze. Die Polizei kontrolliert dort an den offiziellen Grenzübergängen streng. Am Grenzbahnhof Menton gibt es Patrouillen in allen Zügen, die aus dem italienischen Ventimiglia kommen. Laut der zuständigen Präfektur wurden zwischen Januar und Mitte Oktober 2023 rund 35.000 Menschen festgenommen, die versucht hatten, irregulär nach Frankreich einzureisen.
Erwachsene ohne gültige Visa oder Aufenthaltstitel, die außerdem keinen Asylantrag stellen, werden direkt nach Italien zurückgeschickt. Diese Praxis verstößt aber teilweise gegen EU-Recht - so hatte es der Europäische Gerichtshof im vergangenen Jahr entschieden. Daraufhin hatte auch das höchste französische Verwaltungsgericht angeordnet, dass sich die Praxis der Behörden ändern müsse. Laut Beobachtern ist das bisher aber kaum der Fall.
Von Carolin Dylla, ARD Paris.
Dänemarks harter Migrationskurs
Dänemark steht Grenzkontrollen grundsätzlich offen gegenüber und hat sie auch selbst seit 2015 aus verschiedenen Gründen immer wieder durchgeführt. Lykke Friis, Direktorin des dänischen Thinktanks Europa, sieht in den nun angekündigten Kontrollen an der deutsch-dänischen Grenze aber auch Nachteile.
In Bezug auf die Beziehung zwischen Dänen und Deutschen seien diese ein "Stein im Schuh", weil es für Dänen nun schwieriger sei, nach Deutschland zu kommen, sagte sie dem Fernsehsender TV2.
Dänemark fährt selbst eine harte Linie in der Migrationspolitik mit dem erklärten Ziel: "Null spontane Asylsuchende." Seit vielen Jahren verschärft das Land die Bedingungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber immer weiter, kürzt Leistungen, erschwert den Familiennachzug und versucht unter anderem mit einer scharfen Rhetorik, abzuschrecken.
Von Julia Wäschenbach, ARD Stockholm.