Gewalt in Deutschland Mörderischer Rassismus
Heute vor 20 Jahren verletzten Neonazis einen Mann aus Mosambik so schwer, dass er wenig später starb. Neben Alberto Adriano sind Hunderte weitere Menschen aus rassistischen Motiven attackiert oder getötet worden.
Eines der ersten Todesopfer rassistischer Gewalt nach der Wiedervereinigung war Amadeu Antonio Kiowa. Der aus Angola stammende Vertragsarbeiter wurde im November 1990 in Eberswalde von einer Gruppe Neonazis zusammengeschlagen, einer der Angreifer sprang ihm auf den Kopf. Elf Tage später verstarb Kiowa an den Folgen des Überfalls, zwei Männer aus Mosambik überlebten schwer verletzt.
In den 1990er-Jahre gab es eine Welle von rassistischer Gewalt in Deutschland: Angreifer töteten Menschen, darunter schlafende Kinder, durch Brandanschläge - wie in Mölln, Solingen und Lübeck. Zudem gab es zahlreiche Attacken auf offener Straße: In Berlin beispielsweise erstach ein rechtsextremer Deutscher 1992 den Vietnamesen Tu Van Nguyen vor einem Supermarkt in Marzahn.
Bei dem Brandanschlag 1993 in Solingen starben fünf Menschen, darunter drei Kinder.
NSU-Terror
Im Juni 2000 ermordeten Neonazis in Dessau Alberto Adriano, im September dieses Jahres erschoss der NSU sein erstes Opfer: Enver Simsek. Es folgten neun weitere Menschen, die von der rechtsextremen Terrorgruppe aus rassistischen Motiven ermordet wurden. Dazu kamen Sprengstoffanschläge, bei denen zahlreiche Personen verletzt wurden.
Zu einer rassistischen Gewalttat kam es 2009 in einem Gericht in Dresden, als ein Deutscher die Ägypterin Marwa El-Sherbini während einer Strafverhandlung am Landgericht durch Messerstiche ermordete und ihren Mann schwer verletzte. Der Täter hatte die Frau zuvor auf einem Spielplatz als "Islamistin", "Schlampe" und "Terroristin" bezeichnet.
Neue Tätertypen
Seit 2015 gibt es weltweit eine neue Welle der rassistischen Gewalt, die durch neue Tätertypen geprägt ist. Radikalisierte Einzeltäter schlagen zwar allein zu, sehen sich aber als Teil eines internationalen "Rassenkriegs". Sie orientieren sich oft an dem Anschlag auf Utöya 2011, bei dem der Norweger Anders Breivik insgesamt 77 Menschen ermordete - die meisten davon Jugendliche.
Im Juli 2016, am fünften Jahrestag von Utöya, erschoss ein rechtsradikaler Täter neun Menschen am und im Olympia-Einkaufszentrum in München. Über das Motiv wurde lange gestritten, Experten wiesen auf den rassistischen Hintergrund hin, offiziell galt der Anschlag zunächst aber als nicht politisch motiviert. Später wurde das rassistische Motiv doch offiziell anerkannt.
Verschwörungslegenden als Motiv
Im Oktober 2019 wollte ein Täter eine Synagoge in Halle stürmen und dort Juden an deren höchsten Feiertag erschießen. Das Motiv dahinter war antisemitisch und rassistisch: Stephan B. glaubte, jüdische Strippenzieher seien für Masseneinwanderung und einen "Volksaustausch" verantwortlich. Ähnliche Verschwörungslegenden waren auch das Motiv für rassistische Attacken in Neuseeland (Christchurch, mehr als 50 Todesopfer) und den USA (unter anderem in El Paso). Rassistische Attentäter haben so ein Referenzsystem geschaffen: Sie beziehen sich aufeinander und teilen Verschwörungsideologien, die sich sowohl gegen Politiker, Juden, Muslime und Flüchtlinge anwenden lassen.
Im Februar 2020 erschoss ein Mann neun Menschen in einer Bar in Hanau. Er wählte eine Shishabar und die Opfer aus rassistischen Gründen als Ziel aus. Obwohl es sich bei dem Täter um keinen Rechtsradikalen gehandelt habe, gehen die Behörden dennoch von einer rassistischen und rechtsextremen Tat aus.
Gesamtzahl unklar
Wie viele Menschen insgesamt aus rassistischen Motiven in Deutschland getötet wurden, ist nicht eindeutig geklärt. Nichtstaatliche Organisationen und Medien gehen von mehr als 200 Todesopfern rechtsextremer Gewalt aus - darunter sind aber auch Fälle, bei denen politische Gegner, Polizisten oder Obdachlose von Rechtsradikalen getötet wurden.
"Die Zeit" und der "Tagesspiegel" dokumentierten zwischen 1990 und 2018 mindestens 169 Todesopfer rechter Gewalt, bei etwa der Hälfte sei Rassismus ein Motiv gewesen. Die Bundesregierung geht von deutlich weniger Opfern aus, korrigierte die Zahl aber mehrfach nach oben.
Zu den Angriffen mit Todesfolge kommen noch viele rassistische Attacken: Im Juli 2019 schoss beispielsweise ein Deutscher in Hessen auf einen Mann aus Eritrea - aus rassistischen Gründen. Der 55-Jährige hatte zuvor in seiner Stammkneipe angekündigt, einen Flüchtling töten zu wollen. Das Opfer überlebte schwer verletzt.
Beratungsstellen dokumentieren zudem zahlreiche rassistische Vorfälle, die von der Öffentlichkeit zumeist kaum wahrgenommen werden.