Elitenkritik und Minderheitenbashing Das Erfolgsrezept der Populisten
Ob Trump oder Johnson, Bolsonaro oder Orban - Populisten sitzen in vielen Ländern an den Hebeln der Macht. Welche Erfolgsrezepte sie haben, erklärt Kommunikationsexperte Haller im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Obwohl sich die Affäre um US-Präsident Donald Trump immer mehr zuspitzt und es womöglich sogar ein Amtsenthebungsverfahren geben wird, kann ihm das offenbar nichts anhaben. Warum?
André Haller: Trump benutzt schon seit dem Vorwahlkampf ein typisch populistisches Kommunikationsmuster. Populistische Kommunikation hat immer drei Elemente: Zum einen der Appell an das Volk als homogene Einheit, das sogenannte heartland. Zweitens eine sehr starke Elitenkritik. Eliten werden immer als korrupt dargestellt, als selbstsüchtig, als egoistisch. Und drittens eine Exklusion von sozialen Gruppen, beispielsweise Migranten.
Bei Trump funktioniert das auch deshalb, weil er quasi als politischer Außenseiter gestartet ist. Eigentlich als Unternehmer, aber er konnte sich inszenieren, als einer, der für das Volk steht, nicht zur politischen Elite gehört und in diesem Sinne unbefleckt ist. Er spricht damit besonders seine Stammwähler an, also die politisch Frustrierten, die den Wechsel wollten und die alten Politikerdynastien weg haben wollten. Und zusätzlich stilisiert er sich in diesem Kampf gegen den Sumpf in Washington noch als Opfer. Auch das ist ein Schlüsselelement.
André Haller besetzt die Professur für Marketing & Kommunikationsmanagement und Digital Marketing an der FH Kufstein Tirol. Er forscht zu strategischer und politischer Kommunikation und organisiert einen zweijährlich stattfindenden internationalen Kongress zur Skandalforschung.
"Angriffe auf Trump nützen ihm noch"
tagesschau.de: Das heißt, die Angriffe auf ihn, auch die Diskussion um das Impeachment-Verfahren, dürften ihm sogar noch nützen?
Haller: Ja, absolut. Erstens hat das Impeachment-Verfahren wenig Chancen auf Erfolg und zweitens würde es eine Art Krisensituation in Amerika auslösen, vor allem auch im Trump-Lager. In solchen Situationen setzt eine Art Gruppenzusammenhalt ein, oder sogar eine Gruppenradikalisierung. Die Anhänger stehen dann also erst recht hinter ihrem Anführer, weil sie gleichzeitig das große Ganze und die Gruppe verteidigen wollen gegen die so definierten Eliten, die sonst womöglich wieder an die Macht kommen könnten.
"Den Demokraten fehlt überzeugender Kandidat"
tagesschau.de: Ist man machtlos gegen solche Strategien und Wirkungsmuster?
Haller: Es ist in der Tat schwierig. Was sicherlich hilft, ist eine sachliche und unaufgeregte Aufarbeitung von möglichen Skandalen. Und das ist gerade das Problem in den USA: Unaufgeregte Politik gibt es da quasi nicht und es geraten zudem ja auch die Konkurrenten Trumps in die Kritik, beispielsweise Joe Biden wegen seiner möglichen Verbindungen zu mächtigen Personen im In- und Ausland.
Es gibt kein Patentrezept, aber wenn ich Wahlkampfberater in den USA wäre, würde ich den Gegenkandidaten raten, eine ähnliche Mobilisierung auf die Beine zu stellen. Barack Obama ist das seinerzeit sehr gut gelungen, indem Zielgruppen richtig identifiziert und diese gezielt angesprochen wurden.
In den USA geht es ja auch nicht darum, eingefleischte Trump- oder Biden-Anhänger zu überzeugen, sondern Wechselwähler zu identifizieren und die eigenen Stammwähler zu mobilisieren. Bei den Demokraten fehlt es für diese Mobilisierung derzeit aber noch an einem wirklich überzeugenden Kandidaten oder einer Kandidatin.
"Johnsons Provokationen funktionieren"
tagesschau.de: Auch Boris Johnson in Großbritannien punktet mit populistischen Strategien: Was ist sein spezielles Erfolgsrezept?
Haller: Das ist ganz ähnlich. Die EU-Gegner sahen das Brexit-Referendum als Ausdruck des ultimativen Volkswillens. Und jetzt ist das Ganze in Gefahr, beziehungsweise es zögert sich immer weiter hinaus. Das führt auch dazu, dass die Unterstützer dieses Referendums sich in ihrer Meinung bestärkt sehen, dass da irgendwas nicht richtig läuft.
Und Johnson hat ebenfalls eine gute Ausgangslage, weil er als Londoner Bürgermeister zwar schon in der politischen Elite war, aber nicht in landesweit wichtigen Ämtern, in denen er auch Fehler hätte machen können. Hinzu kommen sein durchaus spezielles Auftreten und die bewussten Provokationen. Bei bestimmten Wählergruppen funktioniert das sehr gut.
"Sex-Skandale und Gelddelikte bringen Politiker zu Fall"
tagesschau.de: Was muss passieren, dass die eigene Anhängerschaft sich von einem populistischen Führer abwendet?
Haller: Das kommt immer auf die kulturellen und politischen Rahmenbedingungen an. Gerade in den USA waren es zum Beispiel lange Zeit Sex-Skandale, die einen Politiker zu Fall bringen konnten, weil die der puritanischen Tradition widersprachen. Auch das hat sich mit Trump aber gewandelt.
Im deutsch- und im angloamerikanischsprachigen Raum sind es häufig Gelddelikte wie Steuerhinterziehung, Betrug, Korruption. Wenn einer sich durch Privilegien Vorteile verschafft, wird das im Populismus wichtige Element "ich bin einer von euch" durchbrochen.
Das hat man auch bei Strache in Österreich gesehen. Das Ibiza-Video war das eine. Aber die Debatte über Spesenkonten und Mietzuschüsse von mehreren tausend Euro im Monat war für viele FPÖ-Wähler, die mehrheitlich aus der Arbeiterschaft kommen, dann wohl doch zu viel.
"Auf Provokationen gar nicht erst einsteigen"
tagesschau.de: Es scheint in Europa und weltweit mit Putin, Erdogan, Orban oder Bolsonaro immer mehr populistische Politiker und autoritäre Regime zu geben. Warum hat dieser Politikertypus gerade Konjunktur?
Haller: Ich würde dem widersprechen. Ich glaube nicht, dass das Phänomen Konjunktur hat, ich glaube eher, wir richten seit einiger Zeit unseren Blick besonders darauf. Und zwar vor allem, seit die AfD in Deutschland stark geworden ist, dem Brexit-Referendum und der Trump-Wahl 2016.
Historisch betrachtet, wechseln sich bestimmte Richtungen im Zeitverlauf immer ab. Das ist vielleicht ein schwacher Trost für diejenigen, die unter einem autoritären Regime leiden. Dennoch glaube ich, dass wir in Europa und auch in den USA noch intakte Demokratien haben, wo das System von "checks und balances" noch greift, und ich sehe das, solange die große Mehrheit der Bevölkerung das lebt, auch nicht wirklich in Gefahr.
Es ist vor allem wichtig, sich dem Phänomen mit Ruhe und Bedacht zu nähern. Denn, wenn man allzu harsche Kritik und permanentes Bashing betreibt - gerade aus dem Ausland - spielt man Populisten in die Hände, weil sie sich in die Opferrolle begeben. Bei vielen Provokationen sollte man gar nicht erst einsteigen, weil sie häufig bewusst darauf abzielen, Aufmerksamkeit in den Medien zu bekommen.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.