Wahl in Brasilien "Trump der Tropen" greift nach der Macht
Vor der Präsidentschaftswahl in Brasilien liegt der rechtsextreme Bolsonaro in den Umfragen vorn. Der Anhänger der Militärdiktatur will Brasilianer bewaffnen und mehr Regenwald für Agrarflächen abholzen.
Pastor Luciano Barbosa reckt die Fäuste hoch und schreit: "Gott möge seine Hand über diese Wahl halten." Die Gläubigen im Saal wiederholen seine Worte und bewegen sich mit geschlossenen Augen zum Takt der voll aufgedrehten Musik.
Mittwochabend in der "Assambleia de Deus" - einer charismatischen evangelikalen Freikirche am Rand von Rio de Janeiro. Die Mehrheit hier will am Sonntag für Jair Bolsonaro stimmen, den ultrarechten Favoriten der Präsidentschaftswahlen. Er führt die Umfragen klar an.
Kirche unterstützt Rechtsaußen-Kandidaten
Die evangelikale Kirche ist in Brasilien längst ein Machtfaktor geworden. Im größten katholischen Land der Welt bekennen sich 27 Prozent der Menschen zu dem Glauben. Bolsonaro punktet hier mit seiner erzkonservativen Agenda. So tritt der ehemalige Fallschirmjäger - selbst bereits drei Mal verheiratet - für familiäre Werte ein und ist strikt gegen Abtreibungen und die Homo-Ehe.
Fast wie zum Protest küssen sich José und Daniel im Zentrum von Rio de Janeiro sekundenlang. Das Paar lebt bislang offen schwul. Das könnte bald schon vorbei sein. Denn sie entsprechen dem Feindbild Bolsonaros. Deshalb rufen sie "Ele não!" - "Er nicht!" - zusammen mit Zehntausenden Demonstranten, die gegen Bolsonaro mobil machen. "Wir verstehen nicht, wieso viele Menschen Bolsonaro wählen, obwohl er nichts für sie tun wird."
Protestwähler als Potenzial
Bolsonaros Wähler eint vor allem eins: Frust. Der selbst ernannte Politik-Außenseiter profitiert vom Wunsch vieler Bürger nach einer "harten Hand". Denn die Sicherheitslage in Rio ist außer Kontrolle geraten. Dazu kommt der Korruptionsskandal Lava Jato. Dabei flossen Schmiergelder von Konzernen an Politiker aller Parteien. Bolsonaro - selbst jahrzehntelang Parlamentsabgeordneter - hat sich geschickt als Saubermann inszeniert und scheint nun davon zu profitieren.
Bolsonaro drückt sich vor TV-Duell
Der einzige, der Bolsonaro noch schlagen kann, tritt nachts um zwei Uhr müde vor das Mikrofon. Fernando Haddad von der Arbeiterpartei hat gerade die letzte TV-Debatte hinter sich gebracht. Er wirkt zerknirscht, denn Bolsonaro ist zu dem Schlagabtausch nicht erschienen. Nach einer Messerattacke im Wahlkampf ließ sich Bolsonaro aus medizinischen Gründen entschuldigen.
Gleichzeitig erlaubte es seine Fitness, dem Kanal "Record TV" ein Interview zu geben - einem Sender der evangelikalen Kirche. "Bolsonaro drückt sich davor, Farbe zu bekennen", flucht Haddad. "Hinter seinen aggressiven Worten steckt null Inhalt."
Kandidat verherrlicht Vergewaltigung und Folter
Bolsonaro verherrlicht Brasiliens Militärdiktatur von 1964 bis 1985 und lobt deren Folterer. Einer Parlamentarierin rief er zu, sie sei es "nicht wert, vergewaltigt zu werden". Von US-Präsident Trump kopierte er den Slogan "Brasilien zuerst". Sein rüpelhaftes Auftreten schadet ihm bislang kaum. Im Gegenteil: Immer mehr Gruppen setzen auf den "Trump der Tropen" - vor wenigen Tagen auch die einflussreiche Agrarlobby Brasiliens.
Agrarkonzerne für Bolsonaros neoliberale Agenda
Das Kalkül ist einfach: Den hochprofitabel arbeitenden Agrarunternehmern hatte Bolsonaro versprochen, jegliche Restriktionen zu streichen und die gentechnikintensive Landwirtschaft mit massivem Pestizideinsatz weiter auszubauen. Das dürfte nur auf Kosten der Regenwälder gehen, deren Kahlschlag bereits in diesem Jahr massiv zugenommen hat. Bolsonaro will zudem "keinen Zentimeter für Schutzgebiete der Indigenen bereitstellen", wie er zuletzt drohte.
Bolsonaros Versprechungen fallen bei vielen Brasilianern auf fruchtbaren Boden.
Die Aufgaben für den nächsten Präsidenten Brasiliens sind immens: Die Staatsausgaben sind hoch und eine Rentenreform überfällig. Bolsonaro setzt dabei auf neoliberale Reformen. Er will deregulieren und wohlhabende Brasilianer steuerlich entlasten.
Richtungsweisende Wahl
Mit Fernando Haddad ist eine Rückkehr zu einer staatlich gelenkten Wirtschaft zu erwarten. Er will arme Brasilianer entlasten und in Bildung investieren. Anders als sein parteiinterner Mentor, Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, könnte Haddad damit punkten, dass sein Name bislang nicht im Zusammenhang mit den Korruptionsskandalen genannt wurde.
Sollte Bolsonaro das Rennen machen, wird dies Rechtspopulisten in ganz Lateinamerika stärken. Gewinnt Linkskandidat Fernando Haddad, befürchten viele, dass das Militär eingreifen könnte. Eine Rückkehr zur Militärdiktatur nach 33 Jahren - keine unrealistische Aussicht.