Argentinien Brüchiger Burgfrieden im Präsidentenpalast
In einem halben Jahr wählt Argentinien einen neuen Präsidenten. Ob Amtsinhaber Fernandez wieder antritt, ist offen. Das hängt mit seiner schwachen Bilanz zusammen - und mit ungeklärten Ambitionen seiner Vizepräsidentin.
Als mit der Wiedereröffnung des Kongresses nach der Urlaubsaison das politische Jahr in Argentinien eingeläutet wird, steht Präsident Alberto Fernandez im blauen Anzug mit hellblauer Krawatte vor den Abgeordneten und formt die Finger zum Victory-Zeichen. Neben ihm lacht Vize-Präsidentin Cristina Kirchner.
Die scheinbare Eintracht zwischen den beiden, das wissen die Menschen in Argentinien, ist derzeit nicht selbstverständlich. Daher warten alle Zuhörenden gespannt darauf, was Fernandez zu den jüngsten Korruptionsurteilen gegen Kirchner sagen würde. Und viel mehr noch: Was würde er über seine eigene Zukunft preisgeben?
Kein Amtsbonus
Im Oktober stehen Wahlen an und dabei sieht es für den linken Amtsinhaber Fernandez alles andere als gut aus. Seine Umfragewerte sind miserabel, auch weil er es seit 2019 nicht geschafft hat, die Wirtschaft anzukurbeln und die Inflation in den Griff zu kriegen. Sie lag 2022 bei rund 100 Prozent.
Dazu kommt, dass er sich in der Corona-Pandemie nicht als Macher profilieren konnte. Stattdessen hatte er im Präsidentenpalast den Geburtstag seiner Frau mit einer Gruppe Freunden gefeiert, während sich alle Argentinier in strenger häuslicher Isolierung befanden. Die Folge: 25.000 Euro Geldstrafe.
Sprachlich tappte Fernandez immer wieder in Fettnäpfchen. Zum Beispiel als er bei einer Pressekonferenz erklärte, Argentinier kämen aus Europa und Brasilianer aus dem Urwald. Die diplomatische Verstimmtheit im wichtigen nördlichen Nachbarland folgte auf dem Fuße.
Demonstrative Unterstützung
Weil Fernandez sein politisches Kapital in Argentinien weitgehend verspielt hat, waren Beobachter gespannt, wie er sich zu seiner - ebenfalls politisch angeschlagenen - Vize-Präsidentin Kirchner verhalten würde.
Bei der Kongress-Eröffnung äußerte sich Fernandez zum Korruptionsurteil gegen Kirchner, die im Dezember zu sechs Jahren Haft wegen Betrugs verurteilt wurde, weil sie bei öffentlichen Ausschreibungen im Süden des Landes Geld in die eigene Tasche gelenkt haben soll. Derzeit genießt sie als Vizepräsidentin Immunität.
Zur Überraschung vieler Parlamentarier stellte sich Fernandez klar hinter Kirchner. Die Verfahren gegen sie seien eine Farce und Kirchner "Opfer einer Verfolgung" durch eine parteiische Justiz. Mit dieser Hilfe für seine Stellvertreterin lässt Fernandez die zahlreichen Streitigkeiten innerhalb seines Linksbündnisses vorerst in den Hintergrund treten.
Kirchner im Wartestand?
Eine Chance zur Wiederwahl hat er ohnehin nur, wenn Kirchner wieder hinter ihm steht - so wie bereits vor vier Jahren - und ihre vielen Anhänger auf der Straße mobilisiert. Von denen hoffen viele jedoch auf eine eigene Kandidatur ihrer Anführerin.
Als der brasilianische Präsident Lula da Silva im vergangenen Jahr die Wahl gegen seinen Amtsvorgänger Jair Bolsonaro gewann, gehörten prominente "Kirchneristas" am Wahlabend zu den ersten Gratulanten und setzten dem verdutzten Lula kurzerhand eine Kappe auf den Kopf. Darauf der Schriftzug "Cristina 2023". Ein Hinweis auf eine eigene Präsidentschaftskampagne Kirchners?
Herausforderung für die Linke
Das Rennen ist so unüberschaubar wie selten zuvor. Kandidaten der konservativen Opposition gelten derzeit als am chancenreichsten. Sollte Argentiniens Linke die Wahl verlieren, könnte das der Anfang eines neuen politischen Trends in Südamerika sein.
Denn derzeit regieren auf dem Kontinent vor allem linke Parteienbündnisse. Die jüngsten Wahlsiege von Gustavo Petro in Kolumbien, Gabriel Boric in Chile sowie Lula da Silva in Brasilien waren auch der sozialen Unzufriedenheit nach den schwierigen Corona-Jahren geschuldet.
Jetzt sind viele dieser Regierungen vollauf damit beschäftigt, interne Konflikte zu bewältigen. Während Chiles Präsident Boric den stockenden Verfassungsprozess abschließen will, verhandelt Kolumbiens Petro mit der Guerilla ELN über ein Ende des bewaffneten Kampfes. Lula sieht sich neben dem Thema Umweltschutz mit Millionen unzufriedenen Bolsonaro-Wählern konfrontiert.
Ausweg aus Finanzdilemma gesucht
Nun könnte in Argentinien das erste der regierenden Linksbündnisse abgewählt werden. Fernandez sucht seit seinem Amtsantritt 2019 nach Wegen, die Verschuldung seines Landes zu reduzieren - oder zumindest die Rückzahlung des milliardenschweren IWF-Kredits aufzuschieben. Um den hatte seinerzeit sein Vorgänger, der konservative Mauricio Macri, den Internationalen Währunsfonds gebeten, um eine finanzielle Schieflage am Rio de la Plata zu verhindern.
Doch es gibt seit Jahren Streit zwischen Fernandez und Kirchner, wo das Geld für die Rückzahlung herkommen soll. Ein Ausweg aus dem Finanzdilemma ist nicht in Sicht. Bereits vor der Pandemie krankte Argentiniens Wirtschaft an einer hohen Zahl öffentlich Beschäftigter, zu hohen Ausgaben und zu niedrigen Einnahmen des Staates. Dieses strukturelle Problem wurde bislang nicht gelöst.
Der Druck des IWF wird stärker
Zwar wird der Druck von Seiten des IWF stärker, Änderungen anzupacken - beispielsweise bei den Subventionen bei Strom und dem öffentlichen Transport. Doch Fernandez' Linksregierung müsste bei härteren Einschnitten befürchten, dass die sozialen Spannungen zunehmen und Massendemonstrationen, organisiert von den traditionell starken Gewerkschaften, das Land lahmlegen.
Ob der angeschlagene Fernandez im Oktober wieder antritt, ließ er bei seinem Auftritt vor dem Kongress offen. Ohne die Unterstützung Kirchners geht es wohl nicht. Doch die hegt womöglich eigene Pläne für eine Kandidatur. Bislang herrscht also eine Art Burgfrieden bei den regierenden Linken. Doch die politischen Spannungen könnten bald schon zu Tage treten.