EU-Migrationspolitik Mehr Geld für Grenzschutz statt Quote
Die EU-Kommission will die Ausgaben für Migration verdreifachen und damit vor allem den Grenzschutz - auch durch Frontex - verbessern. Gerade der Fall der "Aquarius" lässt die EU-Politiker aufhorchen.
Es ist eine schwierige Aufgabe: Die EU-Kommission plant ihren neuen Haushaltsrahmen für die nächste Finanzperiode 2021 bis 2027. Um damit durchzukommen, muss sie es am Ende allen recht machen: den EU-Regierungschefs, die alles am Ende nur einstimmig beschließen können, aber auch dem Europaparlament, das eine gewichtige Mitsprache hat.
Die Migrationspolitik zählt dabei zu den heikelsten Herausforderungen. Die EU-Kommission macht jetzt einen Vorschlag, der noch zu viel Diskussion führen dürfte. Fast dreimal soviel EU-Geld wie derzeit soll es für den Schutz der Außengrenzen und eine Flüchtlingspolitik geben, deren Rahmen neu definiert werden soll.
Abkehr von der Verteilungsquote
Im Zentrum der Debatte steht nicht mehr die Verteilung der Ankömmlinge - möglichst gerecht auf alle EU-Staaten. Die "Quote" - einst beschlossen in der Hochphase der Migrationsbewegungen per Mehrheitsbeschluss im Innenministerrat - gilt nicht als Erfolgsmodell für zukünftige Projekte - und Debatten um aufnahmeunwillige Staaten will die EU-Kommission in Zukunft vermeiden.
Dimitris Avramopoulos, EU-Kommissar für Migration, nahm bei der Vorstellung der Finanzpläne auch Bezug auf den Fall des Rettungsschiffes "Aquarius".
Es geht deshalb in eine andere Richtung, wie die aktuellen Finanzplanungen zeigen: 35 Milliarden Euro - statt derzeit 13 Milliarden Euro - will die EU-Kommission für den gesamten Bereich Migration und Grenzschutz im Zeitraum von 2021 bis 2027 vorhalten. "Der Vorfall um das abgewiesen Rettungsschiff "Aquarius" zeigt, dass Migration die gesamte EU angeht", warnte der für Migrationsfragen zuständige griechische EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos.
Seine Vorschläge präsentierte er nicht ohne Grund in Straßburg. Dort tagt derzeit das Europaparlament. Dessen Unterstützung braucht Avramopoulos in den nächsten Monaten der harten Verhandlungen um Details genauso wie die Rückendeckung der in dieser Frage höchst uneinigen EU-Regierungen.
Ein Schwerpunkt: Schutz der Außengrenzen
Den Schwerpunkt legt die Kommission auf Prävention. Migranten, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa kommen wollen, sollen davon mehr als bisher schon vor den EU-Grenzen abgehalten werden. Ein Großteil des Migrationsetats ist dem Schutz der Außengrenzen gewidmet. Die EU-Grenzschutzbehörde Frontex soll aufgestockt werden - von derzeit 1000 auf rund 10.000 Beamte.
Dabei dürfte auch die Debatte um exterritoriale Ankerzentren in nordafrikanischen Staaten wieder an Fahrt aufnehmen. In Brüssel gibt es hier massive juristische, aber auch humanitäre Bedenken. Gleichwohl dient der Flüchtlingspakt mit der Türkei jetzt wieder als Vorbild für Vereinbarungen mit anderen Staaten. Das Ziel ist vor allem, das Geschäft der Schlepper zu erschweren. Menschenschmuggel soll effektiver bekämpft werden.
Zudem sollen EU-Staaten, die besonders viele Menschen aufgenommen haben, ebenfalls mehr Geld bekommen. Davon könnte am Ende nicht nur Deutschland profitieren, sondern auch Italien: "Wir haben unsere euopäischen Werte zu verteidigen", mahnte Migrationskommissar Avramopoulos in Straßburg, "aber nicht auf Kosten unserer Sicherheit und des Zusammenhalts".
Die Lage rund um das Flüchtlingsschiff "Aquarius" habe das in aller Deutlichkeit gezeigt. Einerseits gehe es um humanitäre Helfer, andererseits machten sich viele Menschen Sorgen über neue Migrationsbewegungen, "da muss man nur mal schauen, was dazu derzeit alles im Internet zu lesen ist".
"Aquarius" - kein italienisches Problem
Herauszuhören ist dabei auch ein gewisses Verständnis des griechischen EU-Kommissars für Italien im Streit um einen Hafen für die "Aquarius", den Avramopoulos bei der Präsentation der EU-Haushaltpläne nicht einfach ausblenden wollte: "Niemand glaubt, dass es hier nur um ein italienisches Problem geht - es geht alle Staaten an, und wir brauchen eine europäische Antwort."
Zumindest hier spielte das vielstrapazierte Wort von der Solidarität eine große Rolle. Immerhin soll es dafür im nächsten EU-Haushalt ein größeres finanzielles Polster geben: Zum einen geht es um bessere Grenzüberwachung, zum anderen soll es mehr Geld für Integration, Rückführung, aber auch für Wege der legalen Einwanderung geben. Die EU-Kommission hofft, damit auch Regierungen zu gewinnen, die sich bisher gegen die Migrationspolitik der EU gestellt haben oder das verstärkt androhen - wie Italien.
Anders als Avramopoulus zeigt EU-Kommissionvize Frans Timmermans aber überhaupt kein Verständnis für die Italiener im Streit um die "Aquarius". Italien hätte die Menschen aufnehmen müssen: "Ich sage nicht, dass jeder, der kommt, willkommen ist in der EU, aber das Sterben im Mittelmeer muss ein Ende haben." Timmermans sieht nicht den Kampf gegen Schlepper als Schlüssel für die Lösung des Problems, sondern verfolgt einen globalen Ansatz: Schon in den Transit- und Herkunftsländern müsse mehr getan werden, um die Menschen dort zu halten.
Vize-EU-Kommissionspräsident Timmermans hat kein Verständnis für das Vorgehen Italiens im Fall der "Aquarius" und mahnt, in der Migrationspolitik endlich zu handeln.
Weber für Humanität und Kampf gegen Schlepper
Über die Vorschläge der Kommission müssen jetzt die EU-Regierungen und das Europaparlament beraten. Für CSU-Europapolitiker Manfred Weber, der zugleich Fraktionschef der EVP ist, geht es dabei um zwei Dinge: "um die Humanität, die in diesen Tagen auch wieder intensiv diskutiert wird, aber auch um den Kampf gegen Schlepper". Auch der Streit um die "Aquarius" müsse vor diesem Hintergrund bewertet werden. Es müsse verhindert werden, dass diese Schiffe überhaupt unkontrolliert in See stechen können.
Widerstand gegen die Idee exterritorialer "Ankerzentren" gibt es bei den Sozialdemokraten, Grünen und Linken im Europaparlament. "Mit EU-Werten und dem EU-Recht unvereinbar und praktisch nicht durchzusetzen", warnt Udo Bullmann, Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament.
Er geht zugleich mit Italien hart ins Gericht: Dass ein Schiff mit Kindern an Bord einfach nicht in den Hafen gelassen werde, sei zynisch. Der Fall dürfte auch auf dem EU-Gipfel der Regierungschefs Ende des Monats zur Sprache kommen. "Es darf nicht erst zu einem solchen Vorfall kommen", warnt die linke EU-Abgeordnete Gabi Zimmer in Straßburg. "Wir brauchen klare Regeln - und dazu gehört auch, dass es mehr legale Wege nach Europa geben muss, um die Migration über das Mittelmeer einzudämmen."
Aus dem Streit um das Rettungsschiff "Aquarius" ziehen die Parteien im Europaparlament unterschiedliche Schlüsse.
"Es muss sich endlich was tun"
Die Debatte um die europäische Flüchtlingspolitik nimmt wieder Fahrt auf - die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, nimmt gleichzeitig europaweit ab. Der Vorfall rund um die "Aquarius" zeigt, dass sich die EU noch nicht auf ein Vorgehen verständigt hat, das derartige Irrfahrten verhindern kann. Der Blick richtet sich jetzt auf die Außengrenzen, auf neue Ideen, den Schleppern zu begegnen und auf Verhandlungen mit nordafrikanischen Regierungen für einen Flüchtlingspakt nach türkischem Vorbild.
"14 Jahre bin ich hier in Brüssel", beklagt sich EU-Kommissionvize Timmermans, "in jedem Jahr haben wir die gleichen Diskussionen um Migration. Es muss sich endlich etwas tun."