Nach Unterhaus-Debatte Johnsons Wortwahl empört Abgeordnete
Hat Premier Johnson in der ersten Sitzung nach der Zwangspause des Unterhauses mit seiner Kritik überzogen? Seine Wortwahl stößt jedenfalls auf massive Kritik - und das nicht nur bei politischen Gegnern.
Diese Sprache, diese Aggression, diesen bitteren Ton der Debatte bis in den späten Abend hinein: Das haben auch viele langjährige Beobachter im Londoner Regierungsviertel Westminster noch nicht erlebt. Im Mittelpunkt der Kritik: Premierminister Boris Johnson.
"Sie sind Schuld daran, dass das so ist," wirft ihm die Labour-Abgeordnete Paula Sherriff vor. "Viele von uns sind jeden einzelnen Tag Gegenstand von Todesdrohungen und Beschimpfungen", klagt sie.
Die Worte dafür, Worte wie Verräter und Betrüger, kommen von Ihnen, dem Premierminister. Ich bin es leid! Wir müssen unsere Sprache mäßigen, und das muss vom Premierminister ausgehen.
Er sollte sich schämen, sagte sie.
Noch nie in seinem Leben habe er einen solchen Humbug gehört, antwortet der Premierminister. Angesprochen auf die vor drei Jahren getötete Labour-Abgeordnete Jo Cox, die in der aufgehitzten Atmosphäre wenige Tage vor dem EU-Referendum von einem Rechtsnationalisten niedergestochen worden war, sagte Johnson: "Der beste Weg, das Andenken von Jo Cox zu ehren, ist es, den Brexit über die Bühne zu bringen."
Cox hatte sich immer für den Verbleib in der EU eingesetzt.
Nach der Niederlage vor dem Supreme Court hatte Johnson auf Gegenangriff geschaltet: Das Urteil sei falsch, das Parlament gehöre aufgelöst, die Opposition solle ein Misstrauensvotum gegen ihn einbringen, damit er Neuwahlen ansetzen könne.
"Ein Kapitulationsgesetz"
Der Regierungschef hält am Austrittsdatum 31. Oktober fest, "komme, was wolle". Das Parlament hat ihn verpflichtet, bei der EU eine Verschiebung zu beantragen, wenn er bis zum 19. Oktober kein Abkommen vorlegt. Das nennt Johnson einen Surrender Act, ein Kapitulationsgesetz, mehr als ein Dutzend Mal allein in der Debatte.
Nicholas Soames ist einer der konservativen Abgeordneten, die vor drei Wochen aus der Fraktion rausgeworfen wurden. Der Enkel von Winston Churchill könne kaum fassen, was gerade passiert.
Cleverly: Zurück zur Tagesordnung
Er verzweifle, sagte er. "Ich bin in einem Haus mit der Überzeugung aufgewachsen, dass der Premierminister auch unter schwierigsten Umständen das Land zusammenzuführen hat", sagte er. "Der Premierminister aber hat es weiter auseinandergetrieben. So sollte unsere öffentliche Debatte nicht geführt werden."
Nicht in diesem Ton, das sieht auch James Cleverly so, der Generalsekretär der Konservativen. Die andere Seite trage aber eine Mitschuld daran.
"Im Moment habe ich nicht das Gefühl, dass die Opposition sich ehrlich um eine Lösung des Problems bemüht", sagt Cleverly. "Sie wollen den Streit weiter am Kochen halten, anstatt das Thema endlich von der Tagesordnung zu nehmen."
Tiefe Gräben
Dem widerspricht Diane Abbott, Abgeordnete von Labour. Manche Kolleginnen und Kollegen hätten durchaus überlegt, ob sie einem von Johnson ausgehandelten Deal mit der EU zustimmen könnten, sagt Abbott - das sei jetzt vorbei.
36 Tage vor dem aktuell gültigen Brexit-Datum 31. Oktober ist der Graben im britischen Parlament noch tiefer, eine Einigung im Unterhaus noch unwahrscheinlicher geworden.