Nach der Zwangspause Das britische Parlament tagt wieder
Die Zwangspause für das Unterhaus ist aufgehoben - das Parlament ist wieder zusammengekommen. Premier Johnson wird sich auf unangenehme Fragen einstellen müssen.
Wäre es nach dem britischen Premier Boris Johnson gegangen, wären die Abgeordneten des Parlaments erst Mitte Oktober wieder zu ihrer nächsten Sitzung zusammengekommen. Doch das oberste Gericht in London machte ihm gestern einen Strich durch die Rechnung. Die Zwangspause sei "unrechtmäßig".
Parlamentarier kommen zurück
Heute sind die britischen Abgeordneten aus ihrer Zwangspause ins Parlament zurückgekehrt. Die mittwochs übliche Fragestunde mit dem Regierungschef fällt aber aus. Johnson kam erst am späten Vormittag aus New York zurück, wo er an der UN-Vollversammlung teilgenommen hatte. Am Nachmittag wollte er sich an die Abgeordneten wenden und sich ihnen gegenüber noch einmal zu dem Gerichtsentscheid äußern.
Der Brexit-Hardliner Michael Gove, der im Kabinett für die No-Deal-Brexit-Planungen zuständig ist, kündigte an, dass die Regierung ihre Planungen für das weitere Vorgehen im Parlament vorstellen wolle. Gove sagte dem Sender BBC, die Regierung müsse sich seiner Ansicht nach nicht dafür "entschuldigen, unseren Austritt aus der Europäischen Union voranzubringen".
Dass der Parlamentsbetrieb ruhte, lag nicht nur an der Zwangspause, sondern auch an der Parteitagssaison. Kommendes Wochenende findet der Tory-Parteitag statt. Die Labour-Partei hatte gerade ihren Parteitag. Dieser wurde nun verkürzt, damit die Abgeordneten wieder ins Parlament zurückkommen können.
Die Abgeordneten werden sich zunächst treffen. Sie können dann dringende Anfragen stellen, hatte Parlamentssprecher John Bercow gesagt.
Telefonat mit der Queen
Für Johnson, der erst vor zwei Monaten das Amt des Premierministers übernommen hat, ist das Gerichtsurteil die bislang heftigste Niederlage. Noch am Dienstag telefonierte er nach Angaben von Regierungsbeamten mit Queen Elizabeth II., zum Inhalt des Gesprächs wurde jedoch nichts bekannt.
Johnson will das Gerichts-Urteil nach eigenen Worten respektieren, hält es aber für falsch. Er habe den "größten Respekt für unsere Gerichtsbarkeit", sagte er am Rande der UN-Vollversammlung in New York. Es gebe eine Menge Leute, die den Austritt aus der Europäischen Union verhindern wollten. Der Premierminister sprach sich wieder für eine Neuwahl aus, um eine Mehrheit im Parlament für seinen Brexit-Kurs zu gewinnen.
Oppositionschef Jeremy Corbyn und andere Politiker forderten Johnson hingegen zum Rücktritt auf. "Die Regierung wird für das zur Rechenschaft gezogen, was sie getan hat", sagte er vor Vertretern der Labour-Partei. "Es steht jetzt fest, dass Boris Johnson das Land in die Irre geführt hat. Dieser ungewählte Premierminister sollte jetzt zurücktreten." Die Nachrichtenagentur PA zitierte eine nicht näher genannte Quelle in der Downing Street, nach der Johnson aber sein Amt nicht aufgeben wolle.
Was könnte Johnson versuchen?
Es gilt als möglich, dass Johnson nun noch einmal versuchen will, die notwendige Zweidrittelmehrheit für eine Neuwahl zusammen zu bekommen. Doch Oppositionsführer Corbyn will sich darauf nicht einlassen, solange ein ungeregelter EU-Austritt am 31. Oktober nicht ausgeschlossen ist. Das machte Corbyn bei seiner Abschlussrede beim Labour-Parteitag klar.
Denkbar wäre auch, dass der Premier das Parlament in eine neue Zwangspause schickt. Um nicht wieder mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen, müsste sie aber erheblich kürzer angesetzt werden als die nun vom Obersten Gericht gekippte fünfwöchige Pause. Die hatte in der Nacht zum 10. September begonnen und sollte bis zum 14. Oktober dauern. Denkbar wäre eine Pause von Anfang bis Mitte Oktober.
Unangenehme Frage für den Premier
Vorerst wird aber das Unterhaus tagen, und Johnson muss sich auf unangenehme Fragen einstellen. Zum Beispiel über Geld, das an eine mit ihm befreundete US-Geschäftsfrau aus den Kassen der britischen Hauptstadt geflossen sein soll, als Johnson dort Bürgermeister war. Und auch weitere Dokumente aus den als "Operation Yellowhammer" bekannten No-Deal-Plänen der Regierung könnten die Abgeordneten verlangen. Trotz Zwangspause hatte Johnson nicht verhindern können, dass die Abgeordneten ein Gesetz verabschiedeten, das den Premierminister zum Beantragen einer weiteren Verlängerung der Brexit-Frist verpflichtet.
Sollte bis zum 19. Oktober kein Abkommen ratifiziert sein, müsste Johnson einen entsprechenden Antrag nach Brüssel schicken. Der Regierungschef will sich dem jedoch nicht beugen.
Bei einem Brexit ohne Abkommen wird mit erheblichen Einbußen für die Wirtschaft und Verwerfungen in vielen anderen Lebensbereichen gerechnet.
Mit Informationen von Thomas Spickhofen, ARD-Studio London