Parlamentssprecher Bercow Zurück auf dem Posten
Ihn dürfte die Entscheidung des Supreme Court gefreut haben - entsprechend eilig rief Unterhaus-Sprecher Bercow die Kammer wieder zusammen. Schon morgen will sie wieder tagen und er wieder seine Rolle im Brexit-Drama einnehmen.
Für ihn war die Zwangspause "Verfassungsfrevel" und ein "Akt exekutiver Ermächtigung": Der britische Parlamentspräsident John Bercow hatte nach der Entscheidung von Premier Boris Johnson, die Parlamentarier länger als üblich in eine Pause zu schicken, kein Blatt vor den Mund genommen. Das sei kein "normaler" Vorgang, waren Bercows Worte vor zwei Wochen.
Entsprechend erfreut zeigte er sich nun über die Entscheidung des Obersten Gerichts, das die Unterbrechung als unrechtmäßig einstufte. Die Richter hätten "das Recht und die Pflicht des Parlaments verteidigt, sich zu diesem entscheidenden Zeitpunkt zu treffen, um die Exekutive einer Prüfung zu unterziehen und die Minister zur Rechenschaft zu ziehen", sagte Bercow.
Rücktritt spätestens im Oktober
Seit drei Jahren spielt der 56-Jährige eine zentrale Rolle im britischen Brexit-Drama. Wieder und wieder mahnte er die Abgeordneten mit seiner durchdringenden Stimme zur Ordnung. Sein "Order"-Ruf in die oft tumultartigen Debatten der Abgeordneten hinein wurde über die Grenzen des Landes hinaus berühmt.
Doch angesichts der Schachzüge von Johnson kündigte der Präsident des Unterhauses am 9. September seinen Rücktritt bis spätestens 31. Oktober an. Noch am Tag seiner Rücktrittsankündigung ließ er keinen Zweifel daran aufkommen, dass es ihm immer darum ging, die Rechte des Parlaments auf Mitsprache beim Brexit zu verteidigen. Schon zuvor hatte er der Opposition und Rebellen aus der Tory-Fraktion ermöglicht, das Gesetzgebungsverfahren zur Verhinderung eines harten Brexit einzuleiten - gegen den Willen der Regierung.
"Order!" - mit diesem Spruch ruft Bercow die Abgeordneten zur Ordnung.
Gegner in eigenen Reihen, Anhänger aus der Opposition
Seine Rücktritts-Entscheidung verkündete Bercow an einem ohnehin turbulenten Tag im Unterhaus. Nämlich vor der erneuten Abstimmung über Neuwahlen, vor der Zwangspause für die Abgeordneten, und an dem Tag, als der Sieg des Parlaments über den Premierminister mit der königlichen Unterschrift unter das Gesetz gegen einen ungeregelten Austritt aus der EU manifest wurde.
Vor allem die Opposition klatschte danach langanhaltend Beifall, in einem Parlament, in dem eigentlich nie geklatscht wird. Doch der konservative Bercow hat als Sprecher, als Präsident des Unterhauses, Geschichte geschrieben, und Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn dankte ihm dafür, ein ganz vorzüglicher Speaker gewesen zu sein.
In den Brexit-Debatten wuchs der Mann mit den jüdisch-rumänischen Wurzeln geradezu über sich hinaus. Der 56-Jährige nutzte gnadenlos die Chance, die ihm eine Regierung ohne Mehrheit bot, um das Parlament zu stärken. Das bekam erst Theresa May zu spüren, und jetzt Johnson. Bercow, der 1997 für die Konservativen ins Parlament eingezogen war, hatte sich damit zuletzt unter seinen Parteifreunden viele Feinde gemacht - einer von ihnen ertappte ihn am Steuer eines Autos, auf dem ein Anti-Brexit-Aufkleber prangte. Dagegen erhielt er aus den Reihen der Opposition zunehmend Unterstützung.
Unkonventionelle Entscheidungen
Er beschnitt den traditionell großen Einfluss der Regierung auf das Geschehen im Unterhaus und machte so die Opposition stärker. Als die Brexiters sich über einen angeblichen Bruch mit den Traditionen des britischen Parlaments empörten, entgegnete Bercow nur cool: "Wenn wir uns immer nur an die Tradition hielten, wäre keinerlei Veränderung möglich."
Dass er es generell nicht so mit Traditionen hat, hatte Bercow schon zu Beginn seiner Speaker-Amtszeit vor zehn Jahren gezeigt: Immer wieder warf er altehrwürdige Regeln über Bord. Das Tragen der traditionellen Perücken schaffte er ab. Im Juni 2017 erlaubte er den Abgeordneten, ohne Krawatten zu erscheinen.
Über die Jahre inszenierte er die Debatten seiner Kammer immer mehr als große Show und wurde so, als sich die internationale Aufmerksamkeit nach dem Brexit-Referendum auf Westminister richtete, zum Weltstar. Zwischenrufer nahm er auch gern mal persönlich aufs Korn. So riet er mal einem Abgeordneten, er solle sich beruhigen und Yoga betreiben.
Brexit-Prozess zu Ende bringen
Bercow hatte das Speaker-Amt eigentlich schon im vergangenen Sommer abgeben wollen. Doch er machte einfach weiter, weil er - so seine Begründung - den Brexit-Prozess zu Ende bringen wolle. Vielleicht hat er aber auch nur Spaß daran, seine Parteifreunde ein bisschen zu ärgern und der Opposition ein bisschen zu helfen.
Bis zu Neuwahlen oder spätestens bis zum 31. Oktober wird er jetzt jedenfalls noch Johnson ärgern, und alles dafür tun, dass es an diesem Tag nicht zu einem ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU kommt.