Erlaubnis der Bundesregierung Ukraine darf deutsche Waffen auch in Russland einsetzen
Es wurde viel diskutiert, nun hat die Bundesregierung entschieden: Die Ukraine darf deutsche Waffen auch gegen Ziele auf russischem Territorium verwenden. Man habe sich an die Lage angepasst, so Verteidigungsminister Pistorius.
Nach den USA hat auch Deutschland der Ukraine erlaubt, vom Westen gelieferte Waffen unter bestimmten Umständen gegen Ziele auf russischem Staatsgebiet einzusetzen. Dies geschehe im Einklang mit dem Völkerrecht, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit.
"In den letzten Wochen hat Russland insbesondere im Raum Charkiw von Stellungen aus dem unmittelbar angrenzenden russischen Grenzgebiet heraus Angriffe vorbereitet, koordiniert und ausgeführt", hieß es in der Mitteilung. Gemeinsam sei man der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht habe, sich gegen diese Angriffe zu wehren. "Dazu kann sie auch die dafür gelieferten Waffen in Übereinstimmungen mit ihren internationalen rechtlichen Verpflichtungen einsetzen; auch die von uns gelieferten", so der Sprecher der Bundesregierung.
USA hatten Einsatz ebenfalls erlaubt
Zuvor hatten die USA bereits den Einsatz von US-Waffen auf Ziele in Russland in begrenztem Umfang freigegeben. Dies gelte ausschließlich für Gegenschläge zur Verteidigung der ostukrainischen Großstadt Charkiw, berichteten unter anderem das Nachrichtenmagazin Politico und der Sender CNN.
Die Bundesregierung passe ihre Unterstützung "gemeinsam mit unseren engsten Verbündeten und im engen Dialog mit der ukrainischen Regierung" kontinuierlich der Entwicklung des Kriegsgeschehens an, erklärte dazu der Regierungssprecher.
Pistorius: "Haben Strategie an Lage angepasst"
Verteidigungsminister Boris Pistorius bezeichnete die Entscheidung als "strategische Anpassung an sich verändernde Lagebilder". "Diese Entscheidung ist richtig. Sie ist das, was wir seit Beginn des Krieges, den Putin gegen die Ukraine führt, immer gemacht haben. Wir haben an die Lage angepasst, jeweils unsere Strategie angepasst", sagte der SPD-Politiker bei einem Treffen mit seinem moldauischen Kollegen Anatolie Nosatii in der Hauptstadt Chisinau.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Die Entscheidung der Bundesregierung ist folgerichtig und ein wichtiges Signal angesichts der aktuellen russischen Angriffsziele." Die Ukraine sollte "grundsätzlich russische Raketen nicht nur auf eigenem Gebiet abwehren dürfen, sondern bereits den Abschuss auf russischem Gebiet verhindern können - auch mit von uns gelieferten Waffen", so die FDP-Politikerin.
Auch aus der oppositionellen CDU kam Zustimmung. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul sagte der dpa: "Es ist gut und richtig, dass die Bundesregierung jetzt auf die Linie zur Unterstützung der Ukraine einschwenkt, die auch viele unserer Verbündeten und Partner verfolgen. Die Entscheidung hat quälend lange gedauert, aber jetzt zählt das Ergebnis, denn die militärische Lage der Ukraine ist ernst."
Scholz: "Eskalation mit Russland vermeiden"
Bundeskanzler Olaf Scholz, der heute beim Katholikentag in Erfurt ist, ging nicht direkt auf die Regierungsmitteilung ein. "Wir müssen den großen Krieg vermeiden - den Krieg zwischen Russland und der NATO", sagte er zu dem Thema. "Wir müssen gleichzeitig sicherstellen, dass die Ukraine ihre Unabhängigkeit und Souveränität verteidigen kann." Er betonte zudem, dass es notwendig sei, sich mit "denjenigen, mit denen man verbündet ist, sorgfältig abzustimmen". Der Kanzler betonte: "Das machen wir wieder und wieder."
Am Dienstag hatte Scholz bei einem Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gesagt, dass die Ukraine "völkerrechtlich alle Möglichkeiten für das, was sie tut" habe. Er hatte auch Medienberichte zurückgewiesen, dass Deutschland dies für gelieferte Waffensysteme untersage. Entsprechende Erklärungen habe es niemals gegeben "und wird es auch nicht geben".
Einsatz auf russischem Territorium in NATO umstritten
Ob die Ukraine sämtliche vom Westen gelieferten Waffen auch für Angriffe auf militärische Ziele in Russland nutzen können sollte, wird unter NATO-Staaten kontrovers diskutiert.
Die Ukraine fordert dies seit längerem, um russische Stellungen in dem seit mehr als zwei Jahren andauernden Krieg effektiver bekämpfen zu können. Bisher setzt das Land dafür vor allem eigene Raketen und Drohnen ein. Die westlichen Waffen zielen bislang in erster Linie auf russische Stellungen in den von Moskau besetzten Gebieten der Ukraine.
Länder wie die USA und Deutschland, die beiden größten militärischen Unterstützer der Ukraine im Verteidigungskrieg, hatten die Abgabe von bestimmten Waffensystemen nach Angaben aus Bündniskreisen zum Teil an strenge Auflagen für deren Nutzung gekoppelt. Hintergrund ist die Befürchtung, dass der Konflikt mit Russland weiter eskalieren und die NATO zur Kriegspartei werden könnte.
Regierung: Werden dadurch nicht zur Kriegspartei
Das wies ein stellvertretender Sprecher der Bundesregierung nun zurück: "Das war immer klar, dass wir, indem wir der Ukraine Waffen zur Verfügung stellen, nicht Teil und nicht Kriegspartei werden", betonte Wolfgang Büchner. Es sei auch völkerrechtlich nie strittig gewesen, dass sich die Ukraine gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands verteidigen dürfe.
"Selbstverteidigung endet nicht räumlich an der Grenze"
Dass sich ein Land im Falle eines bewaffneten Angriffs verteidigen darf, hält die Charta der Vereinten Nationen in Artikel 51 fest. "Die Befugnis zur Selbstverteidigung endet nicht räumlich an der Grenze des angegriffenen Staates, sondern sie erstreckt sich grundsätzlich auf das Territorium des Angreifers", erklärte Völkerrechtsexperte der Universität Köln Claus Kreß in einem früheren Interview mit tagesschau.de. "Dabei gibt es zwei weitere, ungeschriebene Voraussetzungen: Selbstverteidigungsmaßnahmen müssen erforderlich und verhältnismäßig sein."
Wichtig dabei: Erlaubt sind nur militärische Angriffe auf militärische Ziele - nicht auf zivile Ziele. "Ob ein Ziel ziviler oder militärischer Natur ist, muss im Einzelfall untersucht und bewertet werden", so Kreß. Militärisch sei ein Ziel etwa, wenn es wegen seiner Beschaffenheit, des Standorts, der Zweckbestimmung oder Verwendung wirksam zu militärischen Handlungen beitrage - und wenn es für den Angreifer einen eindeutigen Vorteil darstelle, dieses Ziel zu zerstören, zu neutralisieren oder in Besitz zu nehmen.