NATO-Generalsekretär Stoltenberg "Was wir bisher getan haben, ist nicht genug"
NATO-Generalsekretär Stoltenberg hat beim Außenministertreffen in Prag mehr Hilfen für die Ukraine gefordert. Gastgeber Tschechien plädierte dafür, Kiew zu erlauben, Geschosse für Angriffe in Russland zu nutzen.
Die Außenministerinnen und -minister der 32 NATO-Mitgliedsländer kommen auf der Prager Burg zu einem informellen Abendessen zusammen. Die eigentlichen Beratungen sind für morgen geplant. Aber schon vorab gibt es viele Forderungen.
Bündnis-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat die Alliierten aufgerufen, der Ukraine weiter Waffen und Munition zu liefern. "Die Ukraine kann sich immer noch durchsetzen - aber nur, wenn sie von den NATO-Verbündeten weiterhin robust unterstützt wird", sagte Stoltenberg. In den vergangenen Monaten habe man etwa große Defizite bei der Bereitstellung von Luftverteidigungssystemen und Munition gesehen. "Die Wahrheit ist, dass das, was wir bisher getan haben, nicht genug ist", so Stoltenberg.
Der NATO-Generalsekretär forderte auch ein Umdenken hinsichtlich Einschränkungen, wie die Ukraine westliche Waffen nutzen darf. In einer Rede in Prag sagte Stoltenberg, Russland beschieße die Ukraine mittlerweile von eigenem Staatsgebiet aus etwa im Großraum Charkiw. Dabei könnten sich die russischen Streitkräfte sicher sein, dass die Ukraine sie wegen gemachter Auflagen nicht angreifen könnte. "Ich glaube, die Zeit ist gekommen, diese Auflagen zu überdenken."
Länder wie die USA und Deutschland haben die Abgabe von bestimmten Systemen nach Angaben aus Bündniskreisen zum Teil an strenge Auflagen für deren Nutzung gekoppelt. Diese sehen zum Beispiel vor, dass mit ihnen keine Angriffe auf Ziele in Russland ausgeführt werden dürfen. Hintergrund ist die Befürchtung, dass die NATO zur Kriegspartei werden könnte. US-Außenminister Antony Blinken hatte der Ukraine zuvor eine mögliche Anpassung der Vorgaben in Aussicht gestellt, US-Präsident Biden lehnt dies bisher ab.
Tschechien für Einsatz von Geschossen über Grenze
Der Gastgeber des NATO-Außenministertreffens will der Ukraine erlauben, neue Geschosse für Angriffe in Russland zu nutzen. "Tschechien hat kein Problem damit, dass die Ukraine sich gegen einen Aggressor verteidigt, der versucht, die Staatlichkeit zu zerstören - auch durch Angriffe, die zwangsläufig auf russischem Territorium stattfinden müssen", sagte der tschechische Außenminister Jan Lipavsky.
Sein Land will der Ukraine über eine neue Initiative bis zu 800.000 Artilleriegranaten zur Verfügung stellen. Nach Angaben von Regierungschef Petr Fiala haben inzwischen 15 EU- und NATO-Staaten rund 1,6 Milliarden Euro für das Vorhaben zugesagt, darunter auch Deutschland. Die Munition soll vor allem in Staaten aufgekauft werden, die nicht zur NATO und EU gehören. Details werden aber geheim gehalten.
Die ersten Lieferungen in die Ukraine sollen nach Angaben des tschechischen Außenministers im Juni erfolgen. Regierungschef Fiala hatte zuletzt gesagt, die Ukraine könne in den nächsten Tagen mit einer ersten Lieferung rechnen, die aus Zehntausenden 155-Millimeter-Granaten bestehe.
Russland warnt
Der Kreml warnte erneut davor, der Ukraine zu erlauben, mit westlichen Waffen Ziele in Russland anzugreifen. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte: "Dies alles wird natürlich unweigerlich seine Folgen haben." Es werde letztlich "den Interessen jener Länder sehr schaden, die den Weg der Eskalation der Spannungen eingeschlagen haben". Die Staaten der NATO, allen voran die USA, wählten mit "kriegerischen Äußerungen" absichtlich einen Eskalationskurs. Die Atommacht droht immer wieder, ihre Interessen unter Einsatz aller Mittel zu verteidigen.
Bisher setzt die Ukraine für Angriffe gegen militärische Ziele in Russland vor allem eigene Raketen und Drohnen ein. Die westlichen Waffen zielen bisher in erster Linie auf russische Stellungen in den von Moskau besetzten Gebieten der Ukraine.