Pistorius im Kosovo Ministerbesuch im Spannungsgebiet
Verteidigungsminister Pistorius ist auf Truppenbesuch im Kosovo. Dort, wo die KFOR seit fast 25 Jahren versucht, den Konflikt zwischen Serben und Kosovo-Albanern einzudämmen. Für die Bundeswehr ist es die längste Mission bislang.
Auf der Straße vor dem Rathaus in der etwas heruntergekommenen Bergarbeiterstadt Zvečan - an die 1.300 Einwohner, fast alles Kosovo-Serben - sieht man sie noch: die großen Flecken von verkohltem Teer. Hier brannten die Autos der Kosovo-Polizei. Die Polizisten sollten den kosovo-albanischen Bürgermeister schützen, der sich im Rathaus verschanzt hatte. Er war ein paar Wochen zuvor gewählt worden, aber nur von vier Prozent der Wahlberechtigen, die große Mehrheit der Serben hier im Nord-Kosovo hatte die Wahl boykottiert.
Der Platz vor dem Rathaus ist noch immer Sperrgebiet. Soldaten der NATO-geführten KFOR-Friedenstruppe halten auf Distanz, hinter Absperrgittern und Stacheldraht. Im Moment sind es bulgarische Soldaten. Damals, Ende Mai letzten Jahres, waren es Soldaten aus den USA, Italien, Polen und Ungarn, die zwischen den Fronten standen, als gewalttätige Hooligans, aufgepeitscht auch von lokalen serbischen Politikern, den albanischen Bürgermeister vertreiben wollten. 93 NATO-Soldaten wurden verletzt, einige lebensgefährlich.
KFOR: Bundeswehr von Anfang an dabei
Danach wurde das KFOR-Kontingent aufgestockt, um 700 auf knapp 4.500 Soldatinnen und Soldaten aus derzeit 28 Ländern. Es waren schon bedeutend mehr nach Ende des Krieges vor knapp 25 Jahren, als es darum ging, erstmal die ex-jugoslawische Armee zu entwaffnen und so etwas wie Frieden überhaupt erst möglich zu machen. Damals war die KFOR-Truppe 48.000 Mann stark, 40 Länder beteiligten sich.
Seitdem ist viel passiert, hat sich viel entspannt. Mit Rückschlägen, Ausbrüchen von Gewalt zwischen Serben und Albanern im Kosovo, immer wieder. Vor allem im letzten Jahr.
Die Deutschen waren von Anfang an dabei, zu Beginn mit 8.000 Soldaten. Der Kosovo-Einsatz ist inzwischen der längste Auslandseinsatz der Bundeswehr. Jedes Jahr muss er vom Bundestag verlängert werden. Genehmigte Obergrenze im Moment: 400 Soldaten und Soldatinnen. Aktuell sind aber nur knapp 80 im Kosovo, vor allem im Hauptquartier in der Hauptstadt Pristina.
Verehrung für einen serbischen Kriegsverbrecher im Norden des Kosovo. Das Wandbild von General Ratko Mladic wirkt noch recht frisch.
Das wird sich in Kürze ändern: Die Bundeswehr schickt eine zusätzliche Kompanie mit 155 Soldatinnen und Soldaten in den Kosovo-Einsatz. Aber nicht wegen der jüngsten Gewaltausbrüche, sondern lange geplant, um eine österreichische Einheit zu ersetzen. Aber: "Wenn notwendig, können wir die Zahl unserer Kräfte jederzeit erhöhen", sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius letzten Herbst: "Wir beobachten die Lage vor Ort sehr aufmerksam", im "engen Austausch" mit den NATO-Verbündeten.
Politikerbesuche häufen sich
Die Region ist wieder wichtiger geworden. Außenministerin, Verteidigungsminister, die Besuche auf dem Westbalkan häufen sich wieder. Vor Kurzem war NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wieder da, Präsenz zeigen, nach den "gewalttätigen Attacken" auf die Kosovo-Friedenstruppe, die völlig "inakzeptabel" seien, so Stoltenberg.
Er sagte das unter den gütigen Augen Mutter Teresas, der Nationalheiligen aller Albaner, auch im Kosovo. Der NATO-Generalsekretär machte Zwischenstopp bei Vjosa Osmani, Kosovos Staatspräsidentin. In der Empfangshalle ihres Dienstgebäudes haben sie ein heroisches Wandbild einfach mit einem Plakat der heiligen Teresa überklebt. Die Botschaft: Wir sind die "Guten" - eigentlich.
"Wir sind die Guten." Plakat von Mutter Teresa in der Empfangshalle der kosovarischen Staatspräsidentin Osmani beim Besuch von NATO-Generalsekretär Stoltenberg.
Stoltenbergs nächste Station, einmal über den Behördenparkplatz: Kosovos Ministerpräsident Albin Kurti. Intimfeind des serbischen Präsidenten Aleksander Vucic. "Gut" und "Böse"? Der Westen steht fest an der Seite Kosovos, auch wenn immer noch nicht alle EU-Länder Kosovos Unabhängigkeit anerkannt haben. Aber etliche EU-Diplomaten haben zunehmend kritische Fragen, an den Kosovo-Regierungschef Kurti. Warum musste er darauf bestehen, in den Serben-Gebieten im Norden zwar demokratisch gewählte, aber wegen des serbischen Wahlboykotts nicht wirklich legitimierte albanische Bürgermeister in die Rathäuser der Serben-Gemeinden zu schicken? Der Anlass für neue blutige Unruhen.
Ein paar Wochen danach dann auch noch der Überfall im nahen Banjska, ein Dorf mit 350 Einwohnern unterhalb des serbisch-orthodoxen Klosters Banjska. Die örtlich bekannte Mafia, sagen sie im Ort, hinter vorgehaltener Hand. Aber: auffällig schwer bewaffnet, mit gepanzerten Fahrzeugen, die die Kosovo-Polizei auch gerne hätte, wie Veton Elshani sagt, Kosovo-Albaner und derzeit alleiniger Polizeichef im Bezirk Mitrovica. Allein, weil sein kosovo-serbischer Partner den Dienst gerade boykottiert. Wie die serbischen Gemeindeangestellten im Zvečan.
Es gab vier Tote in Banjska, drei der serbischen Angreifer, ein Kosovo-Polizist, der mit als einer der ersten am Tatort war. Trotzdem zeigt sich der Polizeichef selbstbewusst, sie waren diesmal schneller als KFOR am Ort, sie waren als Kosovo-Polizei eigentlich auch zuständig, wenn es wirklich um organisierte Kriminalität gegangen sein soll. Und sie haben die Angreifer erfolgreich vertrieben. Jetzt hätten alle mehr Respekt vor der Kosovo-Polizei. Das habe viel verändert, sagt der Kosovo-Polizei-Chef.
Vielleicht auch für die KFOR-Truppe. Aber erstmal zeigen sich die KFOR-Patrouillen wieder mehr, zumindest im Norden Kosovos. Ihre Konvois rollen wachsam vorbei an dem Schild gleich an der Tankstelle auf dem Weg nach Banjska, mit den Ehrenbürgern der Gemeinde: Tennisstar Novak Djokovic, Serben-Präsident Aleksandar Vučić, der russische Präsident Wladimir Putin - dessen Gesicht aber seit einiger Zeit rot übermalt ist.
Ehrenbürger im Norden des Kosovo, in der Gemeinde Zvečan: Djokovic, Vucic und - rot übermalt - Putin.
Sie schützen das Rathaus in Zvečan, in Sichtweite der Graffiti "NATO go home", "Kosovo ist Serbien" und einem wie frisch gemalten Wandbild des serbischen Kriegsverbrechers Ratko Mladic. Sie zeigen Präsenz, gemäß UN-Auftrag: Frieden sichern und stützen. Seit fast einem Vierteljahrhundert.