Peter Magyar während einer Rede in einer Menschenmenge
Porträt

Peter Magyar Ein "Messias" mischt Ungarns Opposition auf

Stand: 06.04.2024 11:52 Uhr

Das Wort "Messias" fällt öfter, wenn es in Ungarn um Peter Magyar geht - den Mann, der Ministerpräsident Orban provoziert und Tausende auf die Straßen bringen kann. Wer ist er? Und wer folgt ihm?

Das ist der Budapester Frühling: Alles blüht auf im Olimpia Park, fünf Gehminuten entfernt vom ungarischen Parlament. Auf der anderen Donauseite gut zu sehen: der Budapester Burgberg, das Karmeliterkloster, der Amtssitz des regierenden Ministerpräsidenten Viktor Orban.

Robert Laszlo blinzelt in die Sonne, lacht, fragt: "Geht’s wieder um den Messias?" Da kennt er sich aus. Laszlo ist politischer Analyst bei der unabhängigen ungarischen Denkfabrik "Political Capital": "Ungarn ist bekannt dafür, gerne auf einen Messias zu warten", sagt er.

Nichts Neues - aber aus dem inneren Kreis

Mit Ostern, gerade vorbei, hat das wenig zu tun. Es geht um Peter Magyar, 43, Jurist, Ex-Diplomat, jetzt politisch unterwegs, aus dem Stand ziemlich erfolgreich, einer aus dem "System Orban" - bis vor kurzem. Damit hat Magyar gründlich gebrochen, er nennt Ungarn jetzt einen "Mafiastaat" mit Viktor Orban als Anführer.

Magyar spielt Beweise vor für das, was alle immer schon vermutet haben. "Nichts Neues", sagt Analyst Laszlo, aber jetzt kommt es von einem aus dem "inner circle". Keiner aus der ersten oder zweiten Reihe, aber glaubwürdig genug, um gefährlich zu werden, für Viktor Orban und dessen Fidesz-Partei.

"Irgend etwas" passiert mit Ungarn

"Messias": Die 52-jährige Ungarin Erzsebet-Ana meint das als Kompliment und spricht von einem "Budapester Frühling" im politischen Sinn. Seit Peter Magyar auf der Bühne aufgetaucht ist, Mitte Februar, sei "irgend etwas passiert" mit Ungarn, "eine Frühlingsstimmung, die Leute diskutieren wieder auf der Straße, in Freundeskreisen."

Nach langer Zeit wieder. Aus Demonstrationen gegen Orban wurden Demonstrationen für Magyar. Natürlich geht sie da wieder hin. Und viele, die sie kennt, die nicht in der Hauptstadt Budapest wohnen, hätten Fahrgemeinschaften organisiert, um dabei zu sein.

Mit Charisma - und mit Plan

"Messias": Beim Politik-Experten Laszlo klingt das etwas skeptischer. Auch vor der letzten Wahl hat es einen Hoffnungsträger gegeben, für alle, die eine Wende wählen wollten. Peter Marky-Zay, der Konservative, der sich auf ein breites Oppositionsbündnis stützte. Aber: Orbán hat gewonnen, regiert seitdem sogar mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit, auch wenn dafür etwas mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimmen reichten.

Allerdings zählt Laszlo ein paar wichtige Unterschiede auf. Magyar habe Charisma - und offenbar einen Plan über die ersten Erfolge hinaus. Er habe eine klare Botschaft und spreche eine klare Sprache. Er sei ein Mann der Mitte, das heißt: gutbürgerlich konservativ, aus einer alten ungarischen Familie, in der Werte noch etwas gelten. Also einer, der wählbar sei für die Mehrheit in Ungarn, kein Linker.

"Verräter" der "eigenen Familie"

Trotzdem ein "Messias der Linken"? So versucht ihn die Orban-Propaganda zu schmähen, nach einigen ratlosen Wochen. Sie nennen Magyar einen "Verräter" der "eigenen Familie". Und damit ist nicht nur die Parteienfamilie gemeint. Denn Magyar war verheiratet mit Judit Varga, bis vor kurzem eine der beiden Vorzeigefrauen der Fidesz-Partei. Bis - mutmaßlich durch Orban im Hintergrund - deren steile Karrieren beendet waren. Vermutlich war das auch der Auslöser für Magyar, in die Politik einzusteigen gegen Orban.

Es ging um die Begnadigung eines Helfershelfers eines pädophilen Schuldirektors. Staatspräsidentin Katalin Novak hatte das Papier unterschrieben, die damalige Justizministerin Judit Varga hatte gegengezeichnet. Der Skandal löste Massenproteste aus gegen die Regierung Orban - Proteste, die empfindlich trafen. Denn der Schutz von Kindern gehört zum Allerheiligsten im Fidesz-Parteiprogramm.

Ex-Frau als Orbans Bauernopfer?

Staatspräsidentin Katalin Novak musste zurücktreten. Und auch Judit Vargas Politkarriere war gestoppt - sie sollte Spitzenkandidatin der Fidesz für die Europawahl werden. Orban und alle anderen Verantwortlichen hätten sich nur "hinter Frauenröcken" versteckt, attackierte Vargas Ex-Mann Magyar die Fidesz-Regierung.

Das klang partnerschaftlich besorgt, gleichzeitig schwoll aber auch gezielt gestreutes Gerede über einen Rosenkrieg der Ex-Eheleute an. Befeuert wurde es vom letzten Beweismittel Magyars für die Korruptheit des "Systems Orban", einem Audiomitschnitt eines Streitgesprächs mit seiner damaligen Gerade-Noch-Ehefrau Varga. Es ging um Akten der Staatsanwaltschaft, die Orban-Vertraute laut Magyar verschwinden lassen wollten.

Erste Prominente schließen sich an

Auch ein Skandal, aber für Ervin Nagy nur die "Kirsche auf der Torte". Entscheidend sei vielmehr die Unzufriedenheit breiter, vor allem bürgerlicher Kreise mit der Regierung Orban. Nagy ist einer der noch nicht so vielen Prominenten, die sich öffentlich an die Seite Magyars stellen, die seine Demonstrationen mit organisieren.

Nagy ist Schauspieler - am Theater, vor allem als umschwärmte Lehrerfigur und damit Star einer populären TV-Serie. Magyar Ministerpräsident Ungarns? Irgendwann nach Orban? Nagy kann sich das gut vorstellen, spricht von einer Wendestimmung wie vor dem Volksaufstand in Ungarn 1956.

Analyst Laszlo bremst: Noch sei die Regierung Orban stabil. Auch wenn Magyars Timing gut sei so kurz vor den Europawahlen, in einer Schwächephase der Regierung Orban. Ein Achtungserfolg bei den Wahlen zum Europaparlament könnte Magyar weiterhelfen. Aber dazu müsste ihn erst eine bereits registrierte Partei zum Kandidaten machen. Denn er selbst hat noch keine eigene Partei gegründet; das käme für die EU-Wahl inzwischen auch zu spät.

Wolfgang Vichtl, ARD Wien, tagesschau, 06.04.2024 11:31 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 06. April 2024 um 06:45 Uhr.