Nach Missbrauchsskandal Massendemo in Ungarn - Orban unter Druck
Der Missbrauchsskandal in einem Kinderheim in Ungarn sorgt weiter für Proteste. In Budapest gingen Zehntausende auf die Straße. Nach dem Rücktritt eines ihm nahestehenden Bischofs wird der Fall auch für Ministerpräsident Orban zum Problem.
In Ungarn sind Zehntausende Menschen aus Protest gegen die Regierung in Budapest auf die Straße gegangen. Aufgerufen hatten Prominente aus der Musik- und Kulturszene sowie Influencer. "Wir haben genug", schrieben sie und forderten die Menschen auf, ihre Stimmen für "Opferschutz, Transparenz, menschlichen Anstand und ehrlichen sozialen Dialog" zu erheben.
Ihr Ärger hatte sich an einem Missbrauchsskandal in einem Kinderheim entzündet. Die inzwischen zurückgetretene ungarische Präsidentin Katalin Novak hatte einen in die Affäre verwickelten Mann begnadigt. Die Demonstranten machten die Regierung des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orban für die Zustände in den Kinderheimen und für den Umgang der Behörden mit Gewaltstraftaten gegen Kinder verantwortlich.
Bischof tritt zurück
Am Freitag trat der Chef der protestantischen Reformierten Kirche Ungarns, Bischof Zoltan Balog, wegen der Verwicklung in den Pädophilie-Skandal zurück. Bevor er Bischof wurde, war er jahrzehntelang ein enger und einflussreicher politischer Weggefährte Orbans. Von Mai 2012 bis Mai 2018 war Balog Minister für Humanressourcen, zuständig für Gesundheit, Soziales, Jugend, Bildung, Kultur und Sport.
"Ich habe einen schweren politischen Fehler gemacht, allerdings in einer Begnadigungsfrage. Ich habe um Gnade gebeten", sagte Balog in einer Video-Ansprache, die auf der Homepage der Reformierten Kirche veröffentlicht wurde. Er begründete seinen Rücktritt damit, dass der Fall dem Ansehen seiner Kirche schade.
Skandal wird für Orban zum Problem
Balog ist die dritte Person des öffentlichen Lebens, die im Zuge dieses Skandals zurücktritt. Neben Präsidentin Novak hatte auch die für die umstrittene Begnadigung mitverantwortliche damalige Justizministerin Judit Varga alle Ämter niedergelegt.
Novak hatte den ehemaligen Vize-Direktor eines katholischen Kinderheims begnadigt. Er war zu drei Jahren und vier Monaten verurteilt worden, weil er bei der Vertuschung des Missbrauchsfalls geholfen hatte.
Auch für Orban selbst wird der Fall zunehmend zum Problem. Sein Stabschef Gergely Gulyas betonte auf einer Pressekonferenz, Orban habe erst vergangene Woche von der Begnadigung erfahren. "Der Ministerpräsident hat selbst aus der die Presse von der Affäre erfahren", sagte Gulyas. Orban hält am Samstag seine jährliche Rede zur Lage der Nation.
"System nicht so stabil, wie es von außen scheint"
Auch Vertraute kritisieren ihn inzwischen. So wie Péter Magyar, der früher mit der zurückgetretenen Justizministerin Varga verheiratet war. In einem Interview ging der Parteifreund von Orban auf Distanz: "Wenn wir nicht wollen, dass unsere Kinder in einer Familienaktiengesellschaft wie in Ungarn aufwachsen, dann lohnt es sich zu wechseln."
Das ungarische System sei "nicht so stabil, wie es von außen scheint", so Magyar weiter. Er glaube nicht, dass Orbans Fidesz-Partei ein geeinter Block bleiben werde. Allerdings vermisst der Fidesz-Politiker eine funktionierende Opposition in Ungarn.
Mit Informationen von Wolfgang Vichtl, ARD-Studio Wien