Auswertung von Chats Wie die FPÖ beim ORF "ausmisten" wollte
Die FPÖ träumt von einer Kontrolle über die Medien - wie sehr, zeigen neu bekannt gewordene Chats aus den Jahren 2018 und 2019. Beschreiben sie, was dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Österreich nach der Parlamentswahl blühen kann?
Es war doch deutlich mehr als "eine besoffene Geschichte", wie es der damalige FPÖ-Chef und Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache nannte nach jener Nacht im Mai 2019, in der das Ibiza-Video auch im ORF in Dauerschleife wiederholt wurde: Das Video, das Strache seinen Posten als Vizekanzler kostete und die Rechtspopulisten aus der FPÖ-ÖVP-Koalitionsregierung unter Sebastian Kurz kegelte. Das Video, in dem zu sehen und zu hören war, wie der damalige FPÖ-Politiker von einem "Mediensystem wie der Orban" träumte - Fernsehen, Radio und Online fest im Griff der Partei.
Schon vor der "besoffenen Geschichte" gab es viele sehr ernüchternde Chats von Strache und seinen FPÖ-Parteifreunden, in denen sehr konkret geplant wurde, wie vor allem der öffentlich-rechtliche ORF in einen Staatsrundfunk wie im autokratisch regierten Ungarn umgebaut werden sollte. Damals gab es eine Whats-App-Gruppe, die - wie das Wiener Magazin "Falter" heute schreibt - "eine Art Datenbank der FPÖ-Medienpolitik" ist.
Gespeichert war sie auf dem nach "Ibiza" beschlagnahmten Smartphone Straches und wurde ausgewertet von der österreichischen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Neu ans Licht gespült wurde sie in einem neu angelaufenen parlamentarischen Untersuchungsausschuss über "rot-blauen Machtmissbrauch", angestrengt von der konservativen ÖVP - blau ist die Parteifarbe der FPÖ.
Screenshot aus dem von "Spiegel" und "Süddeutscher Zeitung" 2019 veröffentlichten Video, das den "besoffenen" Abend im Jahr 2017 in der Villa auf Ibiza dokumentiert.
Alt und doch aktuell
Die "Datenbank der FPÖ-Medienpolitik", angefüttert in den Jahren 2018 und 2019, als die FPÖ in Österreich mitregierte und mit aller Macht ein "Mediensystem wie der Orban" anstrebte, wirkt befremdlich aktuell: In Österreich wird wahlgekämpft, im September wird ein neues Parlament gewählt.
Die FPÖ führt seit langem in den Umfragen, ist Nummer Eins bei der Sonntagsfrage, liegt stabil um die 30 Prozent. Einer ihrer Lieblingsgegner im Wahlkampf: der öffentlich-rechtliche ORF. Mit Attacken wie aus dem Wörterbuch der Whats-App-Datenbank, die inzwischen überall in den Medien Österreichs zitiert werden: "Ausmisten", "Wir müssen sie abschießen", "müssen endlich auf den Tisch hauen", "Gebühren weg", hieß es damals über den ORF.
Dagegen klingt das, was Dieter Bornemann, der Vorsitzende des ORF-Redaktionsrats, über das "unerfreuliche Sittenbild" sagt, ziemlich defensiv: "Diese Chats zeigen, wie politische Parteien, vor allem die FPÖ, den unabhängigen Journalismus kaputtmachen möchte." Sie würden eine Ent-Parteipolitisierung des ORF fordern, aber gleichzeitig in Hintergrundgesprächen etwas ganz anderes planen, nämlich ihre Leute in führende Positionen zu bringen, um "den ORF zu ruinieren".
Manche Beteiligte sind weiter aktiv
Der erste Anlauf zu diesem Vorhaben wurde 2019 abgewehrt, weil wachsame Journalisten, vor allem der "Süddeutschen Zeitung", das Ibiza-Video auswerteten und veröffentlichten. Die FPÖ wurde danach erstmal abrupt von den Hebeln der Macht entfernt. Aber nicht alle FPÖ-Beteiligten von damals sind - wie der Ibiza-Hauptdarsteller HC Strache - in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden.
Harald Vilimsky zum Beispiel ist der FPÖ-Spitzenkandidat für die Wahl zum Europaparlament im Juni. Damals chattete Vilimsky:
Heute ist es schlimmer, als es je war, auch in der ZIB 2. Thür verarscht uns zudem auf Twitter. Müssen endlich auf den Tisch hauen. Wrabetz weg, Gebühren weg… .
Zur Erklärung: ZIB 2 ist die Hauptnachrichtensendung des ORF im Fernsehen, die Abkürzung steht für "Zeit im Bild", Martin Thür ist einer der interviewstarken Moderatoren der Sendung, Alexander Wrabetz war damals ORF-Generaldirektor. Über Armin Wolf, ebenfalls ZIB-2-Moderator, schrieb ORF-Stiftungsrat Norbert Steger von der FPÖ 2018: "…müssen wir zurückdrängen".
An anderer Stelle, schreibt der "Falter", gibt Vilimsky nach einem Gespräch mit dem damaligen Medienminister Gernot Blümel von der ÖVP zu Protokoll: "Eine Überführung der Gebührenfinanzierung des ORF in das Bundesbudget sei beabsichtigt." Das klingt, als habe auch der ÖVP-Koalitionspartner mit dem Gedanken gespielt, aus dem inzwischen Haushaltsbeitrags-finanzierten ORF einen aus der Staatskasse bezahlten Staatsrundfunk zu machen - wie in Ungarn.
Frust über erfolglose Personalpolitik?
Aus Vilimskys Chat spricht aber auch Frust, weil vor allem die ORF-Hauptnachrichten für unerschrockenen Journalismus standen und weiter stehen, obwohl der damals verantwortliche TV-Chefredakteur Matthias Schrom doch als FPÖ-nah galt - auch er hatte mit Parteimitgliedern gechattet und gekungelt. Als das Ende 2022 rauskam, trat er zurück.
Die damalige Idee der FPÖ: Freundlich gesinnte Journalistinnen und Journalisten sollten sich bei ihr melden - zwecks Karriereförderung. Einer, der das offenbar getan hat, war Straches Fitnesstrainer Philipp Jelinek. Die meisten Österreicher kennen ihn aus seiner ORF-Sendung "Fit mit Philipp" als TV-Vorturner der Nation. Jelinek sollte, dokumentiert das Nachrichtenmagazin "profil", "bald" das ORF-Frühstücksfernsehen moderieren. Überliefert ist sein Chat mit seinem Turnfreund Strache: "Lieber Heinz, der Kuchen wird jetzt verteilt. Wir müssen ganz dringend die Weichen für mich stellen."
Ein anderer ORF: Die früheren Pläne der FPÖ für den Sender könnten auch eine Blaupause für die Zukunft sein.
Pläne, die verblüffen
Die FPÖ erkannte aber noch andere Gleichgesinnte im ORF, die sich, sagen sie, ganz sicher nicht mit Karrierewünschen an die FPÖ gewandt hatten: Christian Wehrschütz, zum Beispiel, Balkanexperte, seit langen Jahren anerkannter Auslandskorrespondent, seit Beginn des russischen Angriffskrieges vor allem in der Ukraine unterwegs.
In den späten 1980er-Jahren war Wehrschütz mal Chefredakteur einer FPÖ-Zeitung, wurde danach vom damaligen ORF-Generaldirektor zum ORF geholt - bewusst als Rechtsausleger. Und so sorgte sich Strache im März 2019 um die ORF-Karriere von Wehrschütz: "Wenn Christian Wehrschütz nicht oberösterreichischer Landesdirektor werden kann, dann würde er gerne als Unterhaltungschef im ORF ausmisten."
Ein Chat, der verwundert. Wehrschütz hatte sich zwar mal für die Chefposten der Landesstudios in Salzburg oder Linz interessiert. Aber der kriegserfahrene Haudegen als ORF-Unterhaltungschef? Das habe dann doch einen gewissen Unterhaltungswert, schreibt die seriöse Tageszeitung "Der Standard". Wehrschütz selber wehrt ab: "Ich habe ein einziges Mal einen Termin mit dem Herrn Strache gehabt. Das war, weil er etwas über die Ukraine wissen wollte - und des woars."
Taktik beerdigt?
War es das? Die FPÖ setzte schon damals auf einen anderen Kurs. "Keine öffentlichen Angriffe mehr auf ORF-Leute. Müssen sie abschießen, nicht aufwerten", schrieb Strache, nachdem er im März 2018 einen Prozess gegen ORF-Moderator Armin Wolf wegen Beleidigung mit einer Spende beendet hatte.
Und die ORF-Journalistinnen und Journalisten? Machen weiter ihren Job. Bescheinigt ihnen auch Daniela Kraus, die Generalsekretärin des Presseclubs Concordia, also des österreichischen Journalistenverbands: "Wir haben sehr viele sehr gute Journalistinnen und Journalisten, die sehr professionell arbeiten - und die zu große (Partei-)nähe ist die Ausnahme - und nicht die Regel." Sie sagt aber auch: "Wir brauchen eine Schutzmauer gegen parteipolitische Einflussnahme."