Bauernproteste in Rom Meloni-Regierung verbrüdert sich mit Landwirten
Heute soll es erstmals auch in Rom Bauernproteste geben. Italiens Rechtsaußen-Regierung kommt das gelegen - sie sucht den Schulterschluss mit den Protestierenden gegen Brüssel.
Maurizio Senigagliesi steht neben seinem Trecker auf einem Hügel vor Rom. Der Landwirt aus der Nähe von Pisa ist einer der Wortführer der italienischen Bauernproteste, die nun an der Hauptstadt angekommen sind.
Im Zentrum Roms wollen Senigagliesi und seine Mitstreiter heute ein Zeichen setzen. Der Hauptadressat des Protests aber, das wird im Gespräch deutlich, ist nicht die Regierung in Rom. "Wir italienischen Landwirte protestieren gegen die europäische Agrarpolitik. Das Problem, das uns plagt, liegt in Brüssel", meint Senigagliesi.
"Totale Reform der Agrarpolitik"
Zwar hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mitte der Woche angekündigt, auf ein Gesetz gegen hohen Pestizideinsatz zu verzichten. Senigagliesi und seine Mitstreiter aber finden trotzdem, in der Brüsseler Landwirtschaftspolitik gebe es nach wie vor "zu viel Ökologie und zu viel Bürokratie".
Deswegen wollten die italienischen Bauern nicht weniger als eine 180-Grad-Wende. "Von Brüssel fordern wir mit Nachdruck eine totale Reform der Agrarpolitik", unterstreicht Senigagliesi, einer der nationalen Koordinatoren der Bewegung Riscatto Agricolo (Landwirtschaftlicher Aufbruch), die den Zug der Traktoren gen Hauptstadt organisiert hat.
Lob und Schmeichelei von der Regierung
Bei der rechten Regierung in Rom lösen diese Bauernproteste wenig Schrecken aus. Im Gegenteil: Obwohl in den vergangenen Wochen zahlreiche Auffahrten an italienischen Autobahnen von Bauern blockiert wurden, lobte beispielsweise Innenminister Matteo Piantedosi: Die Proteste der Landwirte in Italien seien bislang "tadellos organisiert" gewesen.
Andere Regierungsmitglieder freuen sich daran, dass die demonstrierenden Bauern fast alle die italienische Landesfahne an ihren Treckern flattern lassen.
Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida verbrüderte sich in Verona mit den Protestierenden. "Einige haben gesagt, es könne gefährlich sein, hier herzukommen", sagte der Schwager von Regierungschefin Giorgia Meloni durch ein von den Bauern gereichtes Megafon.
"Aber wenn ich eine Trikolore sehe, weiß ich, dass da keine gefährlichen Leute sind", so Lollobrigida weiter. Deswegen sei es ihm wichtig gewesen, die Bauern persönlich zu begrüßen. Diese wiederum reagierten mit Beifall auf das Bekenntnis des rechten Ministers zur Landesfahne.
Meloni sind die Proteste recht
Meloni macht keinen Hehl daraus, dass ihr im Grunde recht ist, wenn die italienischen Landwirte die aktuelle europäische Agrarpolitik attackieren. Sie erklärt, dass ihre Partei "gegen die meisten Beschlüsse in Europa war, die die Landwirte jetzt kritisieren". Sie und die Partei Brüder Italiens hätten schon immer gesagt, dass der ökologische Wandel "kein ideologischer Wandel" sein dürfe und dass ökologische Nachhaltigkeit nicht zu Lasten wirtschaftlicher und sozialer Nachhaltigkeit gehen dürfe.
Unter anderem hatte die Meloni-Partei seinerzeit im Europäischen Parlament das Konzept der Gemeinsamen Agrarpolitik 2023-2027 abgelehnt, das laut EU-Kommission "nachhaltig erzeugte Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen" zum Ziel hatte.
Das Regelwerk ist seit Anfang vergangenen Jahres in Kraft, die italienischen Landwirte wollen es jetzt kippen. Sie stören sich unter anderem an den ihrer Ansicht nach zu rigorosen Regeln zum Anbau vielfältiger Kulturen, der Bewirtschaftung ohne Pflanzenschutzmittel und Blühstreifen auf Ackerland.
Mit der Regierung gegen die EU
Bauern-Wortführer Senigagliesi betonte, mit ihren Protesten stellten sich die italienischen Landwirte nicht gegen die Regierung Meloni - sondern gemeinsam mit ihr gegen die Agrarpolitik der EU: "Wir wollen in gewisser Weise Rom und der Regierung Kraft geben, sich in Brüssel Gehör zu verschaffen."
Er wünsche sich europäische Regeln, die "die landwirtschaftliche Produktion fördern und nicht bremsen". Ansonsten, so Senigagliesis Befürchtung, kämen immer mehr Lebensmittel aus Übersee auf den europäischen Markt.
Meloni kann sich vor dem heutigen Protest der Bauern in Rom sogar einen Seitenhieb auf die Situation in Berlin leisten. Ohne Deutschland beim Namen zu nennen, sagte sie: "In anderen europäischen Nationen protestieren die Landwirte, weil die Vergünstigungen für Agrardiesel nicht verlängert wurden. Wir haben sie verlängert. Das heißt, in Italien haben wir unser Bestes getan."
Nicht nur auf den in Italien weiter billigen Agrardiesel kann Meloni verweisen. Aus den von Brüssel mitfinanzierten Nach-Corona-Aufbauhilfen für Italien, die unter anderem für ökologischen Umbau gedacht sind, hat die Regierung Meloni den Anteil erhöht, der an die Landwirte fließt - von fünf auf acht Milliarden Euro.
Wie sehr Meloni die italienischen Bauern damit gezähmt hat, zeigte sich gestern Abend. Kurzfristig erklärten die Organisatoren um Senigagliesi: Sie würden auf die zunächst angekündigte Großkundgebung verzichten und als symbolischen Protest nur eine Delegation mit zehn Treckern zur zentralen Piazza San Giovanni schicken.