Blockierte Fähre Habeck warnt vor aufgeheizter Stimmung
Eine aufgebrachte Menge hinderte Vizekanzler Habeck daran, von einer Fähre an Land zu gehen: Für den Grünen-Politiker zeigt der Vorfall, wie aufgeheizt derzeit die Stimmung ist. Die Polizei ermittelt wegen Landfriedensbruchs.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will nach der Blockade einer Fähre durch wütende Bauern das Gespräch mit Landwirten suchen - aus der Region und auch auf Bundesebene. Das sagte eine Sprecherin des Grünen-Politikers. "Es gehört zu seinem Stil, mit den Menschen direkt zu sprechen."
Habeck selbst zeigte sich nach der Blockade beunruhigt über das gesellschaftliche Klima in Deutschland. "Was mir Gedanken, ja Sorgen macht, ist, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt", erklärte der Vizekanzler. Protestieren in Deutschland sei "ein hohes Gut". Nötigung und Gewalt zerstörten dieses Gut. "In Worten wie Taten sollten wir dem entgegentreten", forderte Habeck.
"Als Minister habe ich qua Amt Schutz der Polizei. Viele, viele andere müssen Angriffe allein abwehren, können ihre Verunsicherung nicht teilen", so Habeck laut seinem Ministerium weiter. Sie seien "die Helden und Heldinnen der Demokratie".
Bei den Mitreisenden und der Crew auf der Fähre bedankte er sich. "Sie sind unvermittelt in Mitleidenschaft geraten. Die Crew musste mit einem blockierten Hafen umgehen und die schwierige Lage managen. Die mitreisenden Passagiere wollten nach Hause oder hatten andere Pläne am Festland, wollten eigentlich Bus und Zug erwischen, konnten aber zunächst nicht von Bord und mussten erstmal geduldig ausharren", so Habeck laut Mitteilung.
Die Polizei leitete derweil ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen Landfriedensbruch und Nötigung ein. Das teilte die Polizeidirektion Flensburg dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf Nachfrage mit.
Polizei: Aufruf zu Aktion über soziale Medien
Am Donnerstag hatten Landwirte Habeck an der Nordseeküste am Verlassen einer Fähre gehindert, er kam von einem Urlaub auf Hallig Hooge. Später erreichte er das Festland mit einer anderen Fähre. Die Flensburger Polizei gab nun weitere Details zu ihrem Einsatz bekannt: "In den sozialen Medien wurden Aufrufe zur Demonstration am Fähranleger Schlüttsiel verbreitet, an welchem Herr Dr. Habeck am Nachmittag eintreffen sollte".
Etwa 80 landwirtschaftliche Fahrzeuge hätten sich am Donnerstag auf den Weg zum Fähranleger gemacht. Bis zu 300 Menschen hätten sich dort eingefunden, um gegen Kürzungspläne der Bundesregierung zu demonstrieren. Als die Fähre gegen 17.00 Uhr Schlüttsiel erreichte, sei die Lage angespannt gewesen, ein Dialog zwischen Habeck und den Versammlungsleitern habe nicht ermöglicht werden können, berichtete die Polizei.
Aus der Versammlung heraus hätten 25 bis 30 Menschen versucht, auf die Fähre zu gelangen. Einsatzkräfte hätten diese teilweise unter Einsatz von Pfefferspray zurückgehalten. "Nach Ablegen der Fähre beruhigte sich die Lage und die Versammlung löste sich gegen 19.00 Uhr auf." In der Nacht zum Freitag hätten Einsatzkräfte schließlich die Heimreise Habecks nach Flensburg ohne weitere Vorkommnisse gewährleistet.
Reederei-Chef zeigt sich entsetzt über Vorgänge
Die Wyker Dampfschiffs-Reederei erklärte, ihre Fähre sei "um ein Haar gestürmt worden". Dies habe der Kapitän im letzten Moment verhindert, indem er wieder ablegte, sagte der Geschäftsführer der Reederei, Axel Meynköhn, der Nachrichtenagentur dpa. Alle etwa 30 Fahrgäste, die von den Halligen kamen, seien am Verlassen der Fähre gehindert worden. Ein Lastwagenfahrer sei genötigt worden, von der Rampe rückwärts wieder auf die Fähre zu fahren. "Das ist aus meiner Sicht Nötigung. Das ist ein schlimmer Vorgang", sagte Meynköhn. Es hätten auch medizinische Notfälle an Bord sein können.
Der Kapitän habe mit den Personenschützern an Bord und nach Rücksprache mit der Polizei an Land entschieden, wieder abzulegen. "Wenn diese Entscheidung eine Minute später getroffen worden wäre, dann wäre die Fähre gestürmt gewesen." Er wisse von der Besatzung, dass Leute noch rübergesprungen wären, wenn das Schiff nicht bereits zu weit weg gewesen wäre, sagte der Geschäftsführer. "Es war keine Minute zu spät, sonst wäre der Mob an Bord gewesen, mit nicht auszudenkenden Folgen."
Es gehe hier nicht mehr nur um Robert Habeck, der privat auf Hooge war, es gehe um die Gesamtheit des Schiffes, seiner Passagiere und seiner Besatzung, betonte Meynköhn. "Hier ist ganz klar genötigt worden. So einen Vorfall hat es nach unserem Kenntnisstand in der fast 140-jährigen Geschichte der Reederei noch nicht gegeben."
Bauernverband spricht von "No-Go"
Der Deutsche Bauernverband (DBV) verurteilte die Blockade und distanzierte sich von dem Vorgang. "Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht", sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied laut Mitteilung. "Blockaden dieser Art sind ein No-Go."
Er teilte weiter mit: "Wir sind ein Verband, der die demokratischen Gepflogenheiten wahrt". Bei allem Unmut über die Steuerpläne des Bundes respektiere sein Verband selbstverständlich die Privatsphäre von Politikern.
Schleswig-Holsteins Bauernpräsident Klaus-Peter Lucht kritisierte die Eskalation der Proteste. "Das Bedrängen und Bedrohen von Politikern untergräbt den demokratischen Diskurs und hilft uns bei der Durchsetzung unserer berechtigten Forderungen nicht", erklärte Lucht laut Mitteilung des Verbands. Gewalt dürfe kein Mittel in der politischen Auseinandersetzung sein.
"Wir haben bereits im Vorwege unserer Aktionen klar gemacht, dass wir keine Blockadeaktionen planen und unterstützen und Rechtsbrüche und Aufrufe dazu klar ablehnen", sagte Lucht. Für die in der kommenden Woche geplanten Aktionen rief er alle Landwirte "zu Besonnenheit und Rücksichtnahme auf".
Der Vorfall hatte eine Welle scharfer Kritik hervorgerufen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir verurteilte die Blockade: "Das sind Leute, denen geht es nicht um die deutsche Landwirtschaft, die haben feuchte Träume von Umstürzen, und das wird es nicht geben", sagte der Grünen-Politiker im ARD-Morgenmagazin. Er bezeichnete den Vorgang als inakzeptabel.
Die Bundesregierung bezeichnete die Protestaktion als beschämend. "Bei allem Verständnis für eine lebendige Protestkultur: Eine solche Verrohung der politischen Sitten sollte keinem egal sein", schrieb Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf der Plattform X, vormals Twitter. Die Blockade von Habecks Ankunft im Fährhafen Schüttsiel "ist beschämend und verstößt gegen die Regeln des demokratischen Miteinanders", hieß es.
Aiwanger versteht "Bauernwut"
Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger sagte der "Frankfurter Allgemeinen": "Die Schuld für die Bauernwut liegt allein bei der existenzgefährdenden Ampelpolitik". "Viele fürchten um die Zukunft ihrer Höfe, weil die angekündigten Einschnitte Tausende Euro Mehrbelastung im Jahr bringen. Die Bauern merken seit Jahren, dass es ihnen durch immer mehr falsche Vorgaben ideologisch an den Kragen geht."
Trotz der Ankündigung der Bundesregierung, doch auf die Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Fahrzeuge zu verzichten und die Subventionen auf Agrardiesel nur schrittweise abzubauen, will der bayerische Wirtschaftsminister am Montag an der Seite der Bauern demonstrieren. Die Bauern seien "nur ein Symbol" dafür, wie die Bundesregierung mit den Stützen der Gesellschaft umgehe, sagte er.