Treffen zur Zukunft der EU Europa muss auf Deutschland warten
Ab heute beraten in Estland EU-Politiker über die Zukunft der Union. Frankreichs Präsident Macron hat bereits eine lange Liste vorgelegt, was sich ändern müsse. Von Kanzlerin Merkel sind - mitten in der Suche nach einer neuen Regierung - kaum starke Töne zu erwarten.
Es war sein großer Auftritt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stellte vorgestern in der Pariser Sorbonne-Universität seine Pläne für die Zukunft der EU vor. "Das Europa, das wir kennen, ist zu träge, zu langsam, zu ineffizent. Dabei kann nur Europa uns in die Lage versetzen, mit den großen Herausforderungen von heute fertig zu werden", rief Macron den versammelten Studenten zu und brannte geradezu ein wahres Feuerwerk an Ideen ab: ein europäisches Verteidigungsbudget, ein eigener Milliardenhaushalt für die Eurozone, gemeinsame Schulden und Steuern, ein gemeinsamer Finanzminister, ein gemeinsames Asylamt, eine Innovationsagentur.
Und weil Macron sicher gehen will, dass auch keine seiner Ideen und Initiativen verloren geht, kündigte er bereits an, den 27 anderen Staats- und Regierungschefs beim gemeinsamen Essen heute Abend in Tallinn noch einmal ein exklusives Kurzreferat zu halten.
Der Teufel steckt im Detail
"Ich glaube, es war sinnvoll, dass er sich in seiner Rede nicht auf eine bestimmte Problemdimension konzentriert hat", stellt Janis Emmanouilidis fest. Der Politikwissenschaftler arbeitet beim "European Policy Center", einer unabhängigen Denkfabrik in Brüssel, die auch die EU-Spitzen berät. "Ich glaube außerdem, dass es klug war, bei manchen Teilen durchaus vage geblieben zu sein. Beispielsweise bei der konkreten Ausgestaltung der Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, der Eurozone. Da hat er zwar grundsätzlich gesagt, was er sich vorstellen könnte, aber da liegt natürlich der Teufel im Detail", führt Emmanouilidis weiter aus.
Spätestens nach Macrons Auftritt in der erlesenen Runde werden sich nun alle Augen auf Bundeskanzlerin Angela Merkel richten, die ebenfalls zu dem Treffen nach Estland reist. Es wird die Frage gestellt werden, was denn das größte Land der EU, was denn die mächtigste Frau Europas von Macrons Ideen hält.
Doch die kann eigentlich nur mit den Achseln zucken, denn Merkel ist derzeit auf europäischer Ebene bei Lichte betrachtet eine "lame duck" - eine "lahme Ente". Schließlich ist völlig unklar, wie sich ihre künftige Koalition positioniert. "Welche Dinge auf europäischer Ebene wird man in Berlin bereit sein voranzutreiben? Wo wird man, noch stärker als in der Vergangenheit, 'Nein' sagen?", fasst Emmanouilidis zusammen. Seine Ansicht nach befindet sich Deutschland "in einer gewissen Wartestellung".
Ohne Regierung keine Aussagekraft
Damit liegt eben auch ganz Europa lahm, denn ohne Deutschland geht kaum etwas. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat den Staats- und Regierungschefs eine lange Liste an Gesprächsthemen für heute Abend vorgelegt, die sich zum Teil mit den Vorschlägen Macrons decken. Die Suche nach einem gemeinsamen Asylsystem, mehr Zusammenarbeit bei der Verteidigung, aber auch Konzepte, wie es mit der Wirtschafts- und Währungsunion weitergehen soll. Wieviel Unterstützung können die armen von den reichen Ländern erwarten? Deutschlands Stimme wird dabei weitgehend stumm bleiben, so lange eben, bis die neue Regierung im Amt ist.
Sinnlos ist das Treffen aber dennoch nicht, betont Emmanouilidis: "Es ist nun mal ein Prozess, bei dem man sich langsam annähert. Von daher macht es durchaus Sinn, zu diskutieren, aber man sollte auch nicht erwarten, dass es hier einen Durchbruch geben kann. Es nicht der richtige Moment dafür."
Denn bereits nach dem Abendessen werden die drängenden Themen wieder ad acta gelegt. Morgen, beim eigentlichen Gipfeltag in Tallinn, dominiert die Agenda, auf Wunsch der estnischen Ratspräsidentschaft, allein die digitale Zukunft des Kontinents.