EU und Corona-Bonds Nationale Alleingänge in der Krise
Mitten in der Krise ist in der EU ein alter Konflikt wieder aufgebrochen - um gemeinsame Schulden. Nord und Süd sind sich uneinig über Corona-Bonds. Heute geht es in die nächste Etappe des Kräftemessens.
Alexander Graf Lambsdorff und Andreas Schieder haben einen gemeinsamen Weg hinter sich. Also fast. Denn es ging für beide nur in entgegengesetzte Richtungen: Während Sozialdemokrat Schieder aus der österreichischen Bundespolitik ins Europaparlament wechselte, ging der Liberale Lambsdorff aus Brüssel nach Berlin.
Beide kennen also beide Sichtweisen: sowohl die europäische als auch die nationale. Und beide müssen in der Corona-Krise deshalb inzwischen immer mal wieder den Kopf schütteln: "Hier in Berlin denkt man zu wenig europäisch", sagt der deutsche Liberale Lambsdorff, der bis 2019 Vizepräsident des Europaparlaments war.
"Zeit seit der Finanzkrise verschlafen"
Sein österreichischer Kollege Schieder fügt hinzu, gerade mit Blick auf die Diskussion der Finanzminister heute: "Wir haben die Zeit seit der Finanzkrise verschlafen." Schieder war während der Krise von 2009 Staatssekretär in Österreichs Finanzministerium. Schon damals ging es immer wieder um die gleichen Fragen. So wie heute auch: Soll man gemeinsam bürgen? Soll man gemeinsam Schulden machen? Soll man gemeinsame Anleihen ausgeben, um Staaten, die hoch verschuldet sind, zu helfen?
Sozialdemokrat Schieder ist für Corona-Bonds.
Spanien und Italien wollen unbedingt Corona-Bonds
Im Moment sind es vor allem Spanien und Italien, die dringend solche Euro-Bonds, auch Corona-Bonds genannt, haben wollen, damit die Kreditaufnahme für sie einfacher und die Zinsen niedriger werden. Das ist zumindest ihre Rechnung.
Doch auf den ersten Blick scheint von großer europäischer Solidarität keine Rede zu sein, angesichts des Widerstands vor allem aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Erst fährt wegen der Corona-Bonds vor rund 14 Tagen ein Gipfel der Staats- und Regierungschefs fast gegen die Wand, dann bringen vorgestern Verhandlungen der Finanzminister in 16 Stunden kein Ergebnis.
Mangelnde Solidarität?
"Italien macht ein altes Fass wieder auf", sagt Lambsdorff. In einer Gesundheitskrise eine Debatte über ein Mittel aus der Finanzkrise zu eröffnen, hält er für falsch. Bei genauerer Betrachtung mangele es doch nicht an Solidarität. Im Gespräch ist schließlich eine Art "Sicherheitsnetz". Umfang: rund 500 Milliarden Euro. Darin Kreditlinien über den Rettungsschirm ESM für die besonders betroffenen Staaten, Unterstützung für von der Krise gezeichnete Unternehmen sowie eine europaweite Kurzarbeiterregelung.
"Ich halte es für einen schweren Fehler von Italien", sagt Lambsdorff. Europa müsse nun versuchen, die Lektionen aus der Anfangszeit der Krise zu lernen. "Da ist eine spalterische Dikussion wie die über Corona-Bonds genau der falsche Weg."
Finanzminister Olaf Scholz und sein französischer Kollege Bruno Le Maire sind sich beim Thema Corona-Bonds nicht einig.
"Viele nationale Alleingänge"
Auch der österreichische Europaabgeordnete Andreas Schieder sieht echte Interessenskonflikte zwischen den nord- und den südeuropäischen Ländern, wenngleich er, anders als seine Regierung, für Corona-Bonds ist. Bei dem Ringen zwischen den Finanzministern heute Nachmittag und Abend gehe es aber um noch viel mehr, betont der Sozialdemokrat: "Gerade bei Corona gibt es viele nationale Alleingänge und nationale Egoismen." Doch er sei guter Hoffnung, "dass es hier einen Schritt weiter geht".
Passiert das tatsächlich und können sich die Finanzminister einigen, dann sprechen in der kommenden Woche wohl die Staats- und Regierungschefs noch einmal miteinander, um die neue gemeinsame Linie in der Finanzpolitik auch höchstamtlich zu verabschieden.