EU-Gipfel Feiern ohne Feierlaune
Demonstrative Einigkeit stand in Rom auf dem Programm - der EU-Gipfel zu 60 Jahren Römische Verträge sollte ein Akt der Zukunftsfähigkeit sein. Doch auch in Rom konnten die Teilnehmer die Probleme der EU nicht beiseite schieben
Ohne die Europahymne ging es auch diesmal nicht: Freude schöner Götterfunken in einer oft genug leidvollen europäischen Zeit. Er sei gerne außerhalb Europas, bekannte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Erst von der oft noch betrüblicheren Außenperspektive lerne man die EU dann wirklich schätzen: "Wenn ich dann wieder in Brüssel lande, in diesem Tal der Tränen, dann überkommt mich so etwas wie Wehmut nach Ferne..."
Juncker sprach damit indirekt auch sein großes Unbehagen am EU-Dauerstreit um Geld, Finanzhilfen und Flüchtlinge an - ganz zu schweigen vom noch nicht abgeschlossenen Tauziehen um das Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA).
Mahnung zu Mut
Der Gastgeber, Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni, mahnte zu mehr Mut und zu mehr Zusammenarbeit "wo es nötig und möglich ist" - gegen den Terror, aber auch gegen Ungerechtigkeiten bei der europaweiten Verteilung von Flüchtlingen: "Wir alle müssen auf Einiges verzichten im gemeinsamen Interesse", forderte Gentiloni.
Einige EU-Länder wie Polen und Ungarn sperren sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Italien kämpft mit der Versorgung der Menschen, die an den Küsten des Landes ankommen. Gerade jetzt droht ein neuer Zustrom aus Libyen. Aktuelle Sorgen überschatteten den Jubiläumsgipfel von Rom. Aber auch der Brexit verhinderte eine gelassene Jubiläumsstimmung.
Ein Wohlstandsversprechen
60 Jahre ist es her - da versuchten die Regierungen noch mit wortlosen Zeichentrickfilmen den Europäern das neue Europa zu erklären. Nicht nur ein Friedensprojekt, sondern ein Wohlstandsversprechen mit Zollfreiheit und günstigen Preisen für alle. Weil eine Verteidigungsunion nicht zustande kam, sollte die wirtschaftliche Integration gefördert werden, mit dem Ziel einer politischen Union.
Inzwischen ist die EU groß geworden - altersweise noch nicht. Um ein Haar wäre heute nichts geworden aus der selbst von Papst Franziskus angemahnten Einigkeit der Europäer. Erst in letzter Minute drehten Polen und Griechenland bei.
Ein Tempo weiter gewünscht
Beide Länder hatten Bedenken gegen eine gemeinsame Erklärung. Sie soll der EU die Zukunft weisen. Nicht mehr alle sollen und müssen an einem Strang ziehen. Er hätte das gerne, erklärte EU-Kommissionschef Juncker: "Aber wenn es nicht geht, dann geht es eben nicht."
Das Europa der Visionen soll heute einer Gemeinschaft weichen, die nackter Pragmatismus zusammenhält, in einer Epoche, in der Europa schon einwohnermäßig ins Hintertreffen gerät gegenüber Asien oder auch dem afrikanischen Kontinent. Juncker schließt aber aus, dass es jemals einen "europäischen Staat" geben werde, nach dem Vorbild der USA.
Nostalgie spielte heute in Rom nur eine Nebenrolle. Eine Pflichtübung unter der römischen Frühlingssonne, nach außen harmonisch wie selten, innen konfliktbeladen und mit Zukunftssorgen behaftet, in sicherem Abstand umrahmt von 30.000 Demonstranten, mal für, mal gegen die EU. Die Stadt im Ausnahmezustand.
Schlüsselrolle für Deutschland
Die Erklärung, die von der EU-Kommission formuliert wurde, ist in der Zielrichtung deutlich, aber im Tonfall konziliant gehalten. Die EU müsse effektiver und flexibler werden. Die Grundpfeiler, auf die sie aufgebaut wurde wie Freizügigkeit, Binnenmarkt und Werte, gelten weiter.
Deutschland fällt indirekt eine Rolle als Schrittmacher zu, auch wenn ein direkter Bezug nicht hergestellt wird. Die EU soll in Zukunft auch dann funktionieren, wenn nicht alle an einem Strang ziehen wollen. Einzelheiten müssen erst erarbeitet werden.
Der Begriff "Europa der zwei Geschwindigkeiten" fällt nicht. "Mehrere Geschwindigkeiten haben wir doch schon jetzt mit Schengen und dem Euro", beruhigt Juncker. Klar ist aber: Die EU-Solidarität soll flexibler werden. Dass sich die von Juncker als "Teilzeit-Europäer" bezeichneten Regierungschefs wehren werden, ist kein Geheimnis.
Trotzdem wollte sich niemand einer gemeinsamen Erklärung widersetzen. Nicht zuletzt, um den Verdacht auszuräumen, andere EU-Staaten könnten dem Beispiel Großbritanniens folgen und die Gemeinschaft verlassen wollen.
Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten bedeutet ja keinesfalls, dass es nicht ein gemeinsames Europa ist. Wir sagen hier ganz klar: Wir wollen in eine gemeinsame Richtung. Und es gibt Dinge, die sind unveräußerlich." Angela Merkel auf dem EU-Gipfel in Rom
Alte und neue Probleme warten
Dies gilt vor den Wahlen in Frankreich als wichtiges gemeinsames Signal und schon als Erfolg - bevor sich alle auf die nächsten aktuellen Probleme stürzen, in der nächsten Woche: Wie wird der Brexit organisiert? Theresa May will den Scheidungsantrag in Brüssel einreichen, dann beginnen schwierige Trennungsverhandlungen. Klappt es mit dem Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA)? In Belgien zeichnen sich damit jetzt wieder Probleme ab.
EU-Kommissionschef Juncker bleibt trotzdem optimistisch, nicht kurz-, aber langfristig. Er verspricht: "Es wird auch einen hundertsten Geburtstag der EU geben..."