EU-Gipfel in Brüssel EU stimmt für Brexit-Aufschub
Die EU bietet Großbritannien einen Brexit-Aufschub bis zum 22. Mai an, wenn das Unterhaus nächste Woche Mays Austrittsvertrag zustimmt. Sollte das Parlament dies nicht tun, gilt die Verlängerung nur bis zum 12. April.
Der EU-Gipfel hat Großbritannien zwei Möglichkeiten für eine kurze Verschiebung des Brexit angeboten. Falls das britische Unterhaus kommende Woche das Austrittsabkommen annehme, werde der Brexit-Termin auf den 22. Mai verlegt.
Andernfalls habe London noch bis zum 12. April Zeit, um zu entscheiden, ob man an den Europawahlen teilnehmen und eine längere Brexit-Verschiebung bis Ende 2019 beantragen wolle. Die Alternative wäre ein ungeordneter Austritt.
EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte, die 27 EU-Staaten außer Großbritannien hätten sich einstimmig auf ihre Antwort zu den Anträgen der britischen Seite geeinigt. Die britische Premierministerin Theresa May habe das Angebot angenommen.
Großbritannien sollte ursprünglich am 29. März aus der EU austreten. Wegen der Schwierigkeiten bei der Ratifizierung des mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrags bat May am Mittwoch um eine Verschiebung bis zum 30. Juni.
Dies stieß bei vielen EU-Regierungen aber auf Widerstand, weil der Termin erst nach der Europawahl vom 23. bis 26. Mai liegt. An ihr müsste Großbritannien dann eigentlich teilnehmen, obwohl es aus der EU austritt. Die Staats- und Regierungschefs hatten seit dem Nachmittag in Brüssel über den Brexit beraten.
Angst vor No-Deal-Brexit bleibt
Nach der EU-Entscheidung kündigte die britische Premierminsterin May an, sich nun mit voller Kraft für eine Zustimmung des Parlaments in London zum Austrittsabkommen in der kommenden Woche einsetzen zu wollen. "Es ist nun an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen", sagte May. Sie betonte zudem, dass es "nicht richtig" wäre, wenn ihr Land im Falle einer weiteren Abstimmungsniederlage im Unterhaus dann gezwungen sein könnte, an den Europawahlen teilzunehmen.
Dies aber wäre eine Voraussetzung für eine weitere Verschiebung des Austritts. Aus Diplomatenkreisen verlautete, ein Aufschub bis Jahresende könne reichen, sollte das britische Parlament nächste Woche erneut gegen den Austrittsvertrag stimmen. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wollte sich auf eine solche Begrenzung aber nicht festlegen. Die Briten könnten in der EU bleiben "bis ganz zum Ende", sagte er.
Ratspräsident Donald Tusk räumte ein, "dass es uns nicht gelungen ist, eine abschließende Lösung zu finden". Zumindest sei nun aber ein Weg gegeben, "der den Prozess für beide Seiten erleichtert".
Merkel deutet Beschluss als Rückendeckung für May
Ein harter Brexit ist mit der Vereinbarung nach wie vor nicht ausgeschlossen. "Am 12. April müssen wir wissen, wo wir dran sind", sagte Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel nach den Beratungen. "Wenn wir da keine Antwort bekommen ist es ein 'no deal'" - also ein hartes Ausscheiden aus der EU ohne Austrittsvertrag. Aus französischen Delegationskreisen hieß es, Großbritannien müsse im Fall eines langen Brexit-Aufschubs an den Europawahlen Ende Mai teilnehmen - die Frist für diese Entscheidung läuft am 12. April ab. "Wenn das Vereinigte Königreich keine Europawahlen organisieren will, dann haben wir keine andere Chance, das hieße dann, dass sie sich für einen 'no deal' entscheiden."
Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht im Beschluss des EU-Gipfels Rückendeckung für den Kurs von May. Die EU-Staats- und Regierungschefs wollten "Theresa May unterstützen in ihrem Anliegen" und hätten dies auch zum Ausdruck gebracht, sagte Merkel. Aus ihrer Sicht sei es "ein sehr intensiver, aber auch sehr erfolgreicher Abend" gewesen.
Dass sich die Debatten über viele Stunden hinwegzogen, bezeichnete Merkel als der "Ernsthaftigkeit der Lage" angepasst. "Das war eine sehr ehrliche, wichtige Diskussion heute und wir sind auf alle Szenarien vorbereitet", erklärte sie. "Wir wünschen uns nach wie vor, dass es einen geordneten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gibt. Aber wir müssen uns auch auf andere Möglichkeiten vorbereiten, damit sie für die Menschen in Europa akzeptabel sind."
Warnung vor ungeregeltem Austritt
Mehrere Politiker hatten auf dem Gipfel in Brüssel an das britische Unterhaus appelliert, einen chaotischen Austritt Großbritanniens abzuwenden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betonte nach einem Vier-Augen-Gespräch mit der britischen Ministerpräsidentin Theresa May, das Risiko eines No-Deal-Brexit sei nicht gebannt. Falls es im Unterhaus in der kommenden Woche erneut zu einer Ablehnung der Vereinbarung komme, "bewegen wir uns auf ein No-Deal-Szenario zu".
Auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte, wenn das Unterhaus abermals mit Nein stimme, "wird alles schwieriger". Der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel mahnte eine rasche Entscheidung in London an: "Wir suchen hier nicht nach der Ausgangstür, wir suchen den Notausgang." Das Problem liege eindeutig in London: "Mich erinnert das hier manchmal an das Drama 'Warten auf Godot'."
Druck von britischer Wirtschaft
Auch in ihrer Heimat gerät May weiter unter Druck. Die beiden größten Gewerkschafts- und Unternehmerverbände in Großbritannien haben die Regierung zu einem Kurswechsel im Brexit-Streit aufgerufen. Ansonsten drohe ein "nationaler Notstand", warnten Frances O’Grady vom Gewerkschaftsverband TUC und Carolyn Fairbairn vom Unternehmerverband CBI in einem offenen Brief an May. "Ein neuer Ansatz muss her, einer, der Arbeiter, die Wirtschaft und eine offene Grenze in Irland schützt, eine Mehrheit im Parlament bekommt und mit der EU verhandelbar ist", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
Oppositionsführer Jeremy Corbyn - der ebenfalls in Brüssel ist - warb für einen alternativen Brexit-Plan. Er halte er es für möglich, noch vor der Europawahl einen Deal über engere wirtschaftliche Beziehungen mit der EU zu vereinbaren, erklärte Corbyn. "Es ist Zeit, dass Abgeordnete zusammenarbeiten und einen Konsens finden, der durchs Parlament geht."