Brexit-Votum abgelehnt Kopfschmerzen in der Downing Street
Will der Parlamentspräsident Bercow einen weicheren Brexit erreichen? Die britische Regierung wirft ihm das vor, denn: Er will kein drittes Mal über den Austrittsvertrag mit der EU abstimmen lassen.
Nach der jüngsten Entscheidung des Parlamentspräsidenten John Bercow nicht ein weiteres Mal über den unveränderten Brexit-Vertrag abzustimmen, hat das Büro von Premierministerin Theresa May kritisiert, dass er die Regierung nicht vorgewarnt habe.
Die britische Regierung wirft Bercow außerdem vor, mit seiner jüngsten Entscheidung einen weicheren Brexit erreichen zu wollen. Bercow hingegen verteidigte seine Entscheidung: "Die Regierung kann nicht eine Vorlage einbringen, die keine substanzielle Veränderung enthält zu jener, die in der vergangenen Woche mit einer Mehrheit von 149 Stimmen zurückgewiesen wurde."
"Nicht mein letztes Wort zu diesem Thema"
Der Parlamentspräsident hatte bereits mehrfach Entscheidungen gefällt, die etlichen Brexit-Hardlinern nicht gefielen. Kritiker werfen ihm vor, in seinem Amt zu EU-freundlich zu agieren. Die Entscheidung, ob und was dem Parlament vorgelegt werde, liege aber zuletzt bei ihm, betonte Bercow:
Diese Entscheidung sollte nicht als mein letztes Wort zu diesem Thema aufgefasst werden. Es soll der Regierung nur zeigen, welcher Prüfung sie standhalten muss, damit ich eine erneute Abstimmung in diesem Parlamentsjahr zulassen kann.
Verstoß gegen eine 415 Jahre alte Regel
Bercow hatte der Regierung gestern einen Strich durch die Rechnung gemacht. In einer Stellungnahme wies er darauf hin, dass das Unterhaus kein weiteres Mal über denselben Brexit-Deal abstimmen darf. Ohne Änderungen an dem Abkommen verstoße dies gegen eine 415 Jahre alte Regel: Demnach darf eine Vorlage nicht beliebig oft innerhalb einer Legislaturperiode zur Abstimmung gestellt werden.
Brexit-Minister Steve Barclay sagte im britischen Sender Sky, dass er wegen Bercows Entscheidung in dieser Woche kein Votum mehr im Londoner Parlament erwarte. Die Regierung schaue sich die Begründung und Hinweise Bercows nun genau an, um einen Ausweg zu finden. Ausgeschlossen sei allerdings, Königin Elizabeth in das Verfahren einzuschalten. Ein durch die Monarchin angeordneter vorzeitiger Wechsel zu einer neuen Sitzungsperiode des Parlaments war als Möglichkeit ins Gespräch gebracht worden, doch noch über den Brexit-Vertrag abstimmen zu können.
"Konstitutionelle Krise" in Großbritannien
Bercows Entscheidung werde der Regierung große Kopfschmerzen bereiten, sagte Catherine Heddon vom Institute for Government. Es gebe zwar weiterhin Wege für die Regierung, eine erneute, eine dritte Abstimmung herbeizuführen, aber die verursachten auch wieder große Probleme, erklärt Heddon:
Sie könnten zum Beispiel versuchen, diese Regel selbst, dass etwas nicht zum zweiten Mal identisch vorgelegt werden darf, für diesen speziellen Fall außer Kraft zu setzen. Aber auch dafür muss es eine Mehrheit geben, das wird schwierig für sie.
Der konservative Abgeordnete Robert Buckland sprach von einer "konstitutionellen Krise", in der sein Land jetzt stecke. Sein Parteikollege James Gray sagte, er sei "total wütend" auf Bercow.
Theresa May reist am Donnerstag nach Brüssel, um um eine Verschiebung des Austritts zu bitten.
Hardliner drängen auf Änderung
Mittwoch wäre der letzte Tag gewesen, an dem das Parlament über den Brexit-Vertrag hätte abstimmen können, bevor May am Donnerstag zu einem EU-Gipfel nach Brüssel reist, auf dem sie das Staatenbündnis um eine Verschiebung des Austritts bitten wird.
Der konservative Brexit-Vorreiter und Ex-Außenminister Boris Johnson drängte May, den EU-Gipfel zu nutzen, um den anderen Mitgliedstaaten mehr Zugeständnisse abzuringen. "Es wäre absurd abzustimmen, bevor das überhaupt versucht wurde", schrieb er in der Zeitung "Daily Telegraph".
Ursprünglich wollte Großbritannien am 29. März aus der EU austreten. Es wird aber weiter mit einem Antrag bei der EU auf Verschiebung des Austrittsdatums gerechnet.
Klarheit aus Großbritannien gefordert
Bundesaußenminister Heiko Maas zeigte sich für eine "Ehrenrunde" offen, um einen ungeregelten Brexit und seine vielen Nachteile zu vermeiden. Maas forderte aber Klarheit von Großbritannien: "Wie lange? Was soll der Grund sein? Wie soll das ablaufen? Was ist eigentlich das Ziel der Verlängerung? Darüber wird man jetzt sprechen."
Bundesaußenminister Heiko Maas forderte Klarheit von Großbritannien.
Der belgische Außenminister Didier Reynders meinte ebenfalls: "Wir sind nicht gegen eine Verlängerung, aber wir wollen wissen, welche Absichten London damit verfolgt."
Bundesfinanzminister Olaf Scholz sagte, er verstehe oft nicht recht, was in Großbritannien vor sich gehe. In der jetzigen Lage würde man in Deutschland oder auch anderen Ländern versuchen, sich über Parteigrenzen hinweg zu einigen. "Das wäre auch für das Vereinigte Königreich nicht die schlechteste Idee."
Oppositionsführer setzt auf Neuwahl
In Großbritannien setzt Oppositionsführer Jeremy Corbyn jedoch auf eine Neuwahl. Für den Fall einer erneuten Niederlage hatte der Labour-Chef May mit einem neuen Misstrauensantrag gedroht.
Mit Informationen von Thomas Spickhofen, ARD-Studio London.