Merkel im Bundestag Brexit-Aufschub nur unter Bedingungen
Die Briten wollen eine Verschiebung des Brexit? Okay, sagt Kanzlerin Merkel im Bundestag - aber nur unter Bedingungen. AfD-Chef Gauland will das Brexit-Paket wieder aufschnüren. SPD-Chefin Nahles rief May auf, die "Schussfahrt" zu wenden.
Angela Merkel ist geduldig. Aber auch die Geduld der Kanzlerin dürfte irgendwann aufgebraucht sein. Auch acht Tage vor dem formell geplanten Ausscheiden Großbritanniens gebe es noch keine definitive Antwort, auf die Frage, wie der Austritt des Landes vonstatten gehen werde, stellte Merkel gleich zu Beginn ihrer Regierungserklärung im Bundestag fest. Die Briten wollen eine Verschiebung bis zum 30. Juni? Ok, aber nur wenn die Briten bis dahin das Abkommen gebilligt haben. Merkel wiederholte damit die Bedingung, die auch EU-Ratspräsident Donald Tusk genannt hatte. Außerdem müsse der Termin der Europawahl Ende Mai beachtet werden.
"Positiv reden"
"Über eine kurze Verlängerung kann man dann sicher positiv reden", sagte Merkel weiter mit Blick auf das am Nachmittag beginnende Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Wenn es allerdings zu keinem positiven Votum des britischen Parlaments komme, werde es möglicherweise zu einem weiteren EU-Spitzentreffen kommen müssen.
Sie stellte klar: "Ich bin nach wie vor überzeugt, dass wir einen geordneten Austritt brauchen." Zugleich reichte sie Großbritannien die Hand: "Auch nach einem Austritt soll das Land ein enger Partner der EU bleiben." Nicht so eng wie als EU-Mitglied, "aber die Tür für eine enge Freundschaft steht von unserer Seite weit offen".
"Bis zur letzten Stunde"
Auch auf einen ungeregelten Brexit sei die EU vorbereitet, sagte Merkel. "So sehr wir auf einen geordneten Austritt hinarbeiten, so bereiten wir uns auch darauf vor, dass es einen ungeregelten Austritt geben kann." Sie wies darauf hin, dass für diesen Fall Vorkehrungen von Deutschland und den übrigen EU-Staaten getroffen worden seien - sowohl was die Aufrechterhaltung des Verkehrs angehe als auch die Rechte etwa von Erasmus-Studenten oder in Deutschland lebenden Briten. Gleichwohl "werden wir uns bis zur letzten Stunde dafür einsetzen, dass diese Notfallmaßnahmen nicht zum Tragen kommen", hob Merkel hervor.
Als zentrales Problem für eine Übereinkunft nannte Merkel erneut die Frage der Grenzregelungen zwischen dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland und der Republik Irland. Sie stellte sich hinter das zwischen der EU und Großbritannien ausgehandelte Dokument von Straßburg, das in dieser Frage zusätzliche Zusicherungen an Großbritannien enthält.
Gauland: Brexit-Paket aufschnüren
In der anschließenden Bundestagsdebatte forderte AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, das Brexit-Paket nochmals aufzuschnüren. Merkel solle den Briten mehr Zeit für den Austrittsprozess und Übergang einräumen. Er kritisierte das Auftreten der EU gegenüber den Briten. Jedes Volk, jeder Staat habe das Recht, aus Verträgen auszusteigen, wenn es sie nicht mehr für richtig halte. Ihn lasse aber im Brexit-Prozess der Eindruck nicht los, dass es letztlich darum gehe, einen künftigen Wettbewerber klein zu halten.
Notfalls das "Brexit-Paket aufschnüren": Gauland im Bundestag
SPD-Chefin Andrea Nahles sieht die Schuld für das derzeitige Chaos eindeutig bei den Briten - sowohl der Regierung als auch den Abgeordneten des Unterhauses. Die britische Seite müsse endlich eine Antwort darauf geben, in welcher Form sie letztlich die EU verlassen wolle. Nahles rief die britische Regierungschefin May auf, endlich auf die Opposition zuzugehen. Sie habe es in der Hand, die "Schussfahrt" noch zu wenden. Aber auch die Abgeordneten hätten in einer solchen Situation die Aufgabe einzugreifen.
Das britische Chaos dürfe nicht auf die EU übergreifen, warnte Grünen-Chef Anton Hofreiter. Deshalb sei eine Verlängerung des Austrittstermins genau zu regeln, insbesondere mit Blick auf die Europawahl am 26. Mai.
"Keine Panik"
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus hatte zuvor im Ringen um das weitere Vorgehen beim Brexit vor Panik gewarnt. Derzeit seien die "Aufgeregtheiten" groß, was dem Prozess nicht gut tue, sagte er im ARD-Morgenmagazin. Stattdessen sollten alle Beteiligten "mit Ruhe und Bedacht 'rangehen". Brinkhaus betonte, "der Ball liegt im britischen Unterhaus". Es stelle sich allerdings manchmal die Frage, was die Briten eigentlich wollten.
May will drei Monate
Der Brexit soll eigentlich bereits am 29. März vollzogen werden - also in gut einer Woche. Die britische Premierministerin Theresa May bat gestern jedoch um eine Verlängerung der Austrittsfrist bis 30. Juni. Die übrigen 27 EU-Staaten müssten dies einstimmig billigen. EU-Ratschef Tusk hält eine "kurze Verschiebung" für möglich - allerdings unter der Voraussetzung, dass das britische Unterhaus den bereits zweimal abgelehnten EU-Austrittsvertrag doch noch billigt. May will das Vertragspaket den Abgeordneten erneut vorlegen - vermutlich kommende Woche. Offen ist, wie sie die Einwände des Speakers überwinden und - viel wichtiger - eine Mehrheit bekommen will.
Gegen Mays neuen Wunschtermin hat die EU-Kommission jedoch Bedenken: Sollte Großbritannien zum Start der Europawahl ab 23. Mai noch Mitglied sein, müsste es an der Wahl teilnehmen. May lehnt das kategorisch ab.
Die Krise um den EU-Austritt Großbritanniens beherrscht einmal mehr den EU-Frühjahrsgipfel, der sich eigentlich ganz anderen Themen widmen sollte. Zentraler Punkt soll am Abend eine Debatte über das künftige Verhältnis der Europäischen Union zu China sein. Außerdem stehen die Stärkung des Binnenmarkts, Innovation, Klimaschutz und der Kampf gegen Falschinformationen vor der Europawahl auf der Agenda.