Beratungen über die Zukunft der EU Mit freundlichen Grüßen aus Bratislava
Es war der erste Gipfel nach dem Brexit-Schock: Und so bemühten sich die 27 EU-Mitglieder in Bratislava darum, den "Geist der Zusammenarbeit" zu beschwören. Doch all die guten Worte konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass vor allem in der Flüchtlingspolitik die Gräben bleiben.
Es war ein symbolisches Bild an einem sommerheißen Tag: Nach der ersten Arbeitssitzung wechselte die Runde der 27 Staats- und Regierungschefs zum Mittagessen auf ein Kreuzfahrtschiff. Die Donau trug sie gemächlich dahin, außer Polizeibooten war kein anderes Schiff zu sehen.
Das Schiff, in Passau beheimatet, bietet Fünf-Sterne-Atmosphäre, wenn auch unter intimen Bedingungen eines beengten Raums: So sah es auch auf den Fotos aus, das ein tschechischer Begleiter in die Welt schickte - die Teilnehmer saßen ungewöhnlich dicht beieinander an einem langem Esstisch. Man war gezwungen, zusammenzurücken. Für Heiterkeit sorgte der Umstand, dass eine Exkursion zum "Danubiana-Museum" ausfallen musste. Die Donau führte Niedrigwasser, das Schiff hätte beim Anlegen auf Grund laufen können - zusammen mit den EU-Gästen.
Bitte nicht das sinkende Schiff verlassen
Ein solches Bild hätte den Teilnehmern gerade noch gefehlt. Denn die Botschaft sollte eine andere sein: Wir rücken zusammen, wir raufen uns zusammen, aber wir verlassen nicht das sinkende Schiff. Schon gar nicht die "MS Regina Danubia", das Schiff, auf dem der europäische Traum weitergehen sollte.
Es war ein Gipfel der feierlichen Versprechungen in Bratislava. In Zukunft wollen alle einen weniger zerstrittenen Eindruck hinterlassen. "Gerade dann, wenn einer geht, müssen die anderen um so mehr zusammenhalten", formulierte es ein Teilnehmer mit Verweis auf die Briten. Sie waren der Anlass für das "informelle Treffen" der restlichen Regierungschefs, die einen Entwurf eines Nach-Brexit-Szenarios schaffen wollten.
Niemand will das europäische Projekt aufgeben
Zuminstest teilweise ist es ihnen gelungen. Das europäische Projekt aufgeben will niemand, weiterentwickeln wollen es alle. Schon auf der Bootstour löste sich die Stimmung. Der Affront des luxemburgischen Außenministers Jean Asselborn gegen Ungarn, das Land hätte in der EU nichts zu suchen, war fast vergessen und wortreich entschuldigt durch den luxemburgischen Premierminister Xavier Bettel.
Am Ende strahlte Kanzlerin Angela Merkel dann auch vorsichtige Zuversicht aus. Sie sprach vom "Geist von Bratislava", als Geist der Zusammenarbeit, der mehr als bisher auf Kompromisse setzen soll. Das Wort "Freiwilligkeit" wurde von Polen, Ungarn und anderen Ländern eingeführt und von anderen mit weniger Skepsis als sonst aufgenommen. Ein Prinzip, das auch bei der höchst umstrittenen Aufnahme von Flüchtlingen zur Wirkung gebracht werden könnte, mutmaßen Diplomaten aus jenen Staaten, die davon bisher wenig wissen wollten. Die Migration soll Europa nicht mehr spalten, das ist das große Ziel, obwohl das Thema wohlweislich nur am Rande gestreift wurde.
Europa beliebter machen
Es sollte die Gelegenheit genutzt werden, europäischen Bürgern die Perspektive einer positiv besetzten EU-Welt zu geben. Die Staats- und Regierungschefs lenkten bewusst in ungewöhnlich großer Übereinstimmung auf andere Themen, die Europa beliebter machen sollen: Digitalisierung, Internet, Wachstum und Jobs, vor allem aber: Mehr Chancen für junge Europäer, die auch mehr Möglichkeiten bekommen sollen, Europa wirklich kennen zu lernen. Ein großes Manko bisher.
Merkel formulierte nach dem Gipfel auch Selbstkritik. Man müsse mit Taten zeigen, "dass wir unseren Anspruch für die Bürgerinnen und Bürger auch nachvollziehbar umsetzen". Mit anderen Worten: Die EU hat es nicht geschafft, ihre Leistungen auch wirkungsvoll darzustellen - auch weil sie nicht auf den ersten Blick spürbar oder schon so selbstverständlich seien, dass sie nicht als Leistung wahrgenommen würden.
Merkel und Hollande bleiben die Zugpferde
Das Problem will Merkel Seite an Seite mit Frankreichs Präsident François Hollande lösen. Ohne ihre gemeinsame Vorarbeit als Animateure einer erneuerten EU hätten sich andere noch tiefer verkrochen, heißt es aus EU-Kreisen. Dabei sollen die alten Konflikte - sparen oder eine konsumorientierte Schuldenpolitik, Migration steuern oder weitgehend unterbinden - erst einmal in den Hintergrund treten.
Anders als früher hielt sich die Skepis gegen die deutsch-französische Taktvorgabe in Grenzen. Man war froh, jemanden zu haben, der das Steuer in die Hand nimmt. Und noch froher, dass der deutsch-französische "Motor" wieder anspringen soll.
"Was wir von Bratislava im Kopf behalten müssen, ist dieser Wille zu Europa", erklärte Hollande. "Europa muss und kann vorangehen, solange es klare Grundsätze und Prioritäten hat." Dieser Grundsätze haben sich alle Teilnehmer in schwieriger Zeit immerhin ausnahmslos vergewissert.
Der Brexit - ein "heilsamer Schock"
Ohne den Wunsch der Briten, die EU zu verlassen, hätte es diesen Gipfel der Selbstvergewisserung vermutlich nicht gegeben. Ein Teilnehmer sprach von einem "heilsamen Schock". Ausnahmslos alle bedauerten einen EU-Austritt der Briten, einige gedachten fast wehmütig ihrer EU-Leistungen. Hinter den energischen Positionen der Briten hatte sich in der Vergangenheit so mancher versteckt, der sich nicht selbst aus der Reserve traute: Vom Freihandel und der Wirtschaftsfreundlichkeit bis zum Bürokratieabbau, den die Briten beförderten.
Doch vom "Bremser" Großbritannien war auf dem Donau-Traumschiff kaum noch die Rede. Wohl aber vom Wunsch, die Briten eng an die EU zu binden. Auch wenn EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei seiner Haltung blieb: Binnenmarkt, Ja - aber nur wenn Großbritannien keine neuen Hürden für EU-Arbeitnehmer errichtet.
Zankapfel Flüchtlingspolitik
Viele Brüche in der EU sind jedoch nicht geschlossen worden. Vor allem in der Flüchtlingspolitik. Ungarns Regierungschef Viktor Orban will sein Volk Anfang Oktober über die Aufnahme von Schutzsuchenden abstimmen lassen. Deutschland und andere Länder reagieren auf dieses Vorhaben mit Entsetzen. So wurden Orbans Äußerungen am Abend, man sei stolz darauf, als einziges EU-Land der Bevölkerung diese Chance der Abstimmung zu geben, nicht wirklich gut aufgenommen. So fällt auf das Licht der vielbeschworenen Solidarität schnell wieder ein Schatten.
Die EU-Regierungschefs sind einander wieder näher gekommen - aber wie nah wirklich, dürften erst die nächsten Wochen zeigen. Spätestens beim nächsten regulären EU-Gipfel in Brüssel.