Vor EU-Gipfel in Bratislava Tusk schickt Brandbrief an EU-Staaten
Wendepunkt statt "weiter so": In einem eindringlichen Appell hat EU-Ratspräsident Tusk Europas Staats- und Regierungschefs aufgerufen, die Grenzen besser zu schützen und dem Terror gemeinsam zu bekämpfen. Für den EU-Gipfel in Bratislava gibt er eine klare Agenda vor.
Vor dem EU-Gipfel in Bratislava hat EU-Ratspräsident Donald Tusk die Staats- und Regierungschefs gewarnt, die Lehren aus dem Austrittsvotum der Briten zu ignorieren. Viele EU-Bürger stellten sich ähnliche Fragen und wollten von Europa Schutz und Stabilität, schrieb Tusk im Einladungsschreiben zu dem Treffen.
Am Freitag beraten die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 Länder in der slowakischen Hauptstadt Bratislava über Weichenstellungen für die Zukunft der EU ohne Großbritannien. Es wäre "ein fataler Fehler anzunehmen, dass das negative Ergebnis des Referendums im Vereinigten Königreich ein spezifisch britisches Problem darstellt", schrieb Tusk.
"Vertrauen der Bürger geschwächt"
Die Migrationskrise sei bei den Zweifeln gegenüber Europa "der Wendepunkt" gewesen, so Tusk. "Das Chaos im vergangenen Jahr an unseren Grenzen" und Hunderttausende Flüchtlinge auf dem Weg durch Europa hätten "ein Gefühl der Bedrohung bei vielen Europäern" erzeugt. Sie hätten zu lange warten müssen, bis versucht worden sei, die Lage etwa über die Schließung der Westbalkanroute und das EU-Türkei-Abkommen unter Kontrolle zu bekommen. "Stattdessen hörten sie zu oft politisch korrekte Erklärungen, dass Europa keine Festung werden dürfe, dass es offen bleiben muss", schrieb Tusk. "Das Fehlen schneller Handlung und einer einheitlichen europäischen Strategie haben das Vertrauen der Bürger in ihre Regierungen geschwächt."
Bratislava muss "Wendepunkt" werden
Nun sei keine Zeit mehr zu verlieren, warnte der EU-Ratspräsident. "Bratislava muss der Wendepunkt mit Blick auf den Schutz der Außengrenzen der Union sein." Gleich wichtig sei der Kampf gegen den Terrorismus. Allerdings lägen die Hauptinstrumente dabei auf nationaler und nicht auf europäischer Ebene. Erreicht werden könne dies nur über mehr Zusammenarbeit zwischen Polizei und Sicherheitsdiensten, etwa beim Informationsaustausch. Dazu sei aber auch der Wille der Mitgliedstaaten nötig. Tusk wiederholte den Vorschlag, jeder solle bei der Einreise mit Hilfe von Datenbanken überprüft werden, um potenzielle Terroristen abzuhalten. Nur mit entschlossenem Kampf gegen Terrorismus könne auch Rechtsextremisten und deren anti-europäischer und anti-demokratischer Rhetorik Einhalt geboten werden.
Haltung zur EU ändern
Die Mitgliedstaaten mahnte Tusk, enger zusammenzuarbeiten und ihre Haltung zur EU zu ändern. "Heute wird die EU oft als notwendiges Übel behandelt, nicht als gemeinsames Gut", hieß es in seinem Schreiben. "Der Slogan 'weniger Macht für Brüssel', der in Wahlkämpfen attraktiv klingt, sollte übersetzt werden in mehr Verantwortung für die Union in den nationalen Hauptstädten."
Asselborn: "Es muss ein Ruck durch Europa gehen"
Unterdessen hat Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn Kritik an seiner Forderung nach einem Ausschluss Ungarns aus der Europäischen Union zurückgewiesen. "Es geht nicht gegen ein Volk oder gegen ein Land", sagte Asselborn der "Süddeutschen Zeitung". Er sehe die EU in größter Gefahr. Am 2. Oktober findet in Ungarn ein Referendum statt, bei dem die Ungarn die EU-Flüchtlingsquoten ablehnen sollen. Asselborn sagte, es sei ihm mit seinen scharfen Worten um einen Weckruf vor dem Gipfel in Bratislava gegangen: "Wir können nicht indifferent bleiben. Ich habe etwas gesagt gegen die Gleichgültigkeit. Es muss ein Ruck durch Europa gehen. Wir machen sonst alles kaputt." Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, hatte sich ablehnend zu Asselborns Vorschlag geäußert.