EU zu Brexit-Votum "Man muss einfach wissen, woran man ist!"
EU-Politiker, die monatelang mit ihren britischen Kollegen über den Brexit verhandelt haben, sind konsterniert. Nur der britische Rechtspopulist Farage zeigt sich im Parlament hochzufrieden.
Europa schaut in den Abgrund. Europa steht kurz vor dem Chaos eines ungeregelten Brexit. So kommen sich hier viele am Tag nach der Entscheidung von London vor.
Vor allem die, die in den vergangenen zwei Jahren Woche für Woche mit ihren britischen Kollegen über das Austrittsabkommen gestritten, gefeilscht und verhandelt haben, fühlen sich hintergegangen.
Ganz vorne Elmar Brok (CDU), die graue Eminenz, der europäischen Außenpolitik, wenn man so will. Seit 1980 kann der Ostwestfale normalerweise alle diplomatischen Floskeln im Schlaf herunterbeten. Heute Vormittag dagegen hielt es ihn kaum auf seinem Stuhl im Parlament:
Ich meine, dass es jetzt vorbei ist mit parteipolitischen und personellen Ambitionen in der britischen Politik, die es unmöglich gemacht haben, dass in Parteien und zwischen Parteien eine Mehrheit zustande kommt. Genau deshalb sollten wir nun abwarten, bis die Briten ihre Dinge zusammengebracht haben.
Nigel Farage glaubt an "britischen Löwen"
Ein Aufschlag, wie gemacht für den Mann, auf dessen Initiative die ganze Brexiterei maßgeblich zurückgeht - und der durch sein jahrelanges Drängen die Entscheidung erst herbeigeführt hat.
Nigel Farage lehnt sich erst einmal zurück und schleudert dann seinen verblüfften Kollegen entgegen: "Setzen Sie mal alle schön auf ein zweites Referendum. Dann werden sie erleben, wie der britische Löwe brüllt. Wir werden die Abstimmung dann mit noch größerer Mehrheit gewinnen!"
Der ehemalige Vorsitzende der UKIP, Nigel Farage, verfolgte heute eine Debatte zum Brexit im EU-Parlament.
Notfalls "rote Linien" überdenken
Ein Szenario, an das EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans gar nicht denken will. Er ließ, ziemlich bewegt, seine Kollegen tief in seine Seele schauen. Bei all dem müsse er immer an seinen Englischlehrer denken, "der mir beibrachte, die britische Literatur zu lieben, die britische Kunst, die englische Sprache. Das wird sich nie ändern, egal was passiert", sagte der Niederländer. "Aber lassen sie mich ihnen eines versichern: Weder bei mir noch in den 27 Hauptstädten gab es das Ansinnen, die Briten und das Vereinigte Königreich für den Austrittswunsch zu bestrafen."
EU-Chefunterhändler Michael Barnier betonte, es bleibe oberste Priorität, einen geregelten Brexit zu sichern - und schob dann hinterher, was seit Wochen immer wieder von europäischer Seite unterstrichen wird: Nötigenfalls müsse die britische Regierung ihre "roten Linien" überdenken.
"Man muss einfach wissen, woran man ist!"
Nur, wie soll das alles noch funktionieren? Rund zehn Wochen vor dem 29. März, wenn der Brexit vertragsgemäß eintritt? Für den Fraktionschef der Europäischen Sozialdemokraten, Udo Bullmann (SPD), ist klar: Notfalls müsse man eben gemeinsam mit den Briten das Austrittsdatum nach hinten verschieben.
"Es ist besser als der harte Brexit, weil es noch Optionen besserer Lösungen ermöglicht. Die Europäische Union sollte aber darauf bestehen, dass es eine neue Stabilität in der britischen Politik braucht. Man muss einfach wissen, woran man ist!"
Für die Regierungen der Mitgliedsstaaten ist eine Verschiebung wegen der völlig offenen Lage in London deshalb offiziell noch kein Thema.
Unmissverständlich erklärte Rumäniens Europastaatssekretärin Melania Ciot als amtierende EU-Ratspräsidentin: "Nachverhandlungen sind nicht vorgesehen". Man müsse vielmehr die Vorbereitungen für einen ungeregelten Brexit intensivieren.
Mit anderen Worten: Die EU27 sind ratlos. Und warten dringend auf klare Ansagen aus London.