Streit um Brexit-Kurs Machtprobe im Unterhaus
Kurz vor dem Showdown im britischen Parlament geben sich die Tory-Rebellen gelassen, angesichts der Drohungen von Premierminister Johnson. Im Falle von Neuwahlen droht die Spaltung der Konservativen.
Steht Großbritannien zum dritten Mal in vier Jahren vor Neuwahlen? Kaum jemand mag das noch ausschließen. Außenminister Dominic Raab hat die Verantwortlichen schon ausgemacht, sie sitzen angeblich im Unterhaus: "Die Albernheiten im Parlament, das zutiefst verantwortungslose und kontraproduktive Gesetz, das dort eingebracht werden soll, die werden das Land in eine Wahl treiben." Raab paraphrasierte die Losung, die Premierminister Boris Johnson zuvor ausgegeben hatte.
Denn die erste Sitzung des britischen Parlaments nach der Sommerpause wird wohl zur Machtprobe mit der Regierung, möglicherweise zu deren Ungunsten. Zunächst will eine Gruppe Abgeordneter am Nachmittag die Kontrolle über die Tagesordnung erlangen, um morgen eine Debatte über einen Gesetzentwurf anzusetzen, der einen harten Brexit zum 31. Oktober verhindern soll.
Zeit ist knapp
Die Zeit ist knapp, denn schon nächste Woche müssen die Parlamentarier in eine lange Zwangspause. Der Gesetzentwurf wird auch von zahlreichen konservativen Abgeordneten unterstützt. Zu den Abweichlern gehört der ehemalige Finanzminister Philip Hammond. Das Ziel des Gesetzes sei bescheiden, sagt er. Danach soll der Premierminister einen dreimonatigen Brexit-Aufschub in Brüssel beantragen, falls die Parlamentarier bis zum 19. Oktober kein Austrittsabkommen mit der Europäischen Union oder einen ungeregelten Brexit gebilligt haben.
Johnson wiederum behauptet, er wolle beim EU-Gipfel im Oktober eine Einigung erzielen. Doch die parlamentarische Gesetzesinitiative und insbesondere der Umstand, dass auch konservative Abgeordnete sie unterstützen, schwäche die Verhandlungsposition der britischen Regierung.
Rebellen von Johnsons Drohung unbeeindruckt
Sollte das Unterhaus dem Premier jetzt eine Schlappe beibringen, dann werde Johnson umgehend über Neuwahlen für Oktober abstimmen lassen, heißt es deshalb aus Kreisen der Regierung. Diese droht den konservativen Rebellen mit Fraktionsausschluss.
Bisher lassen sich die Abtrünnigen davon nicht beeindrucken. "Ich bin seit 45 Jahren Mitglied der Konservativen Partei. Ich werde meine Partei gegen jene verteidigen, die neu hinzugekommen sind und nun versuchen, die Konservative Partei von einer großen Kirche in eine Hardliner-Gruppierung zu verwandeln", sagt Hammond.
Nigel Farage ist der Kopf der britischen Brexit-Partei, die bei der Europawahl in Großbritannien die meisten Stimmen erhielt.
Neuwahl wäre riskant
Ein Schuss gegen den einflussreichen Regierungsberater Dominic Cummings, der die Tories nach Ansicht vieler zu einer Brexit-Partei machen will. Die aber gibt es schon, allerdings geführt von Nigel Farage.
Auch deshalb wäre eine Neuwahl riskant, meint der Politikwissenschaftler John Curtice. Die britische Parteienlandschaft habe sich grundlegend gewandelt. Wahlen würden nicht mehr nur zwischen Labour und Konservativen entschieden, vielmehr würden sich gleich mehrere Parteien die Wählergunst teilen.
"Das eigentliche Problem bei einer Neuwahl jetzt ist, dass es nicht so sehr ein Zweikampf zwischen Labour-Chef Jeremy Corbyn und Premierminister Johnson wäre, sondern zwischen Johnson und Brexit-Parteichef Farage", meint Curtice.