Ein Jahr nach Duterte "Marcos folgt dem Skript seines Vorgängers"
Unter Präsident Duterte wurden in seinem selbst erklärtem Krieg gegen die Drogen Tausende Menschen in den Philippinen getötet. Seit einem Jahr ist sein Nachfolger im Amt. Hat sich seitdem etwas im "Antidrogenkrieg" geändert?
Mit knatternden Motoren rasen sie durch die Straßen Manilas, die Tricycle-Fahrer, immer auf der Suche nach einem Fahrgast, der sich für ein paar Pesos durch den Stau manövrieren lassen will. Auch der Bruder von Jenny, ihren richtigen Namen will sie nicht nennen, ist einer von ihnen. Bis zum Herbst 2017.
Da schlagen Polizisten in Zivil an ihre Tür, kurz darauf fallen Schüsse. Ihr 25-jähriger Bruder und ein Onkel sind tot. Beide hätten Chrystal Meth konsumiert, wollten aber aufhören, erzählt Jenny. Deshalb hätten sie sich auf eine Regierungsliste setzen lassen. "Doch diese Liste diente nur dazu, die Menschen aufzuspüren."
Klima der Angst und des Terrors
In der sechsjährigen Amtszeit von Ex-Präsident Rodrigo Duterte fanden bis 2022 Tausende Menschen durch seinen selbst erklärten Krieg gegen die Drogen den Tod. Er schickte Killerkommandos, Polizisten wurden zu Mördern. Duterte schuf ein Klima der Angst und des Terrors auf den Philippinen.
Jennys Bruder ist eins der Opfer der Regierung Dutertes. Bis heute seien ihre Kinder traumatisiert, berichtet sie weiter: "Jedes Mal, wenn sie jemanden in Uniform sehen, denken sie, jetzt wird wieder jemand umgebracht. Denn sie erinnern sich daran, was mit meinem Bruder und meinem Onkel passiert ist."
Spuren sollten verwischt werden
Trost fanden sie und hunderte andere Familien bei dem katholischen Geistlichen Flavie Villanueva. Er lässt Leichen von Opfern exhumieren und übergibt sie der einzigen unabhängigen Gerichtsmedizinerin des Landes. Möglich ist das immer dann, wenn die Grabpacht nach fünf Jahren ausläuft und den Menschen das Geld für eine Verlängerung fehlt.
Durch Autopsien kommen so immer wieder falsche Totenscheine ans Licht. "Bei uns auf Tagalog gibt es ein Sprichwort, das so viel bedeutet wie: Knochen sagen die Wahrheit. Sie zeigen, ob gefoltert wurde und ob es eine Tötungsabsicht gab." Spuren, die verwischt werden sollten, werden so aufgedeckt, sagt Villanueva.
Nach der Autopsie lässt Villanueva die Leichen einäschern und übergibt die Urnen den Angehörigen. Die sollen jetzt in einem Friedenswald feierlich bestattet werden. Bei aller Trauer freut sich Jenny, dass ihr Bruder dann an einem schönen Ort liegen wird.
Geht der "Antidrogenkrieg" weiter?
Seit einem Jahr ist ein neuer Präsident im Amt: der Sohn des früheren Diktators Marcos, Ferdinand "Bongbong" Marcos Jr.
Jenny findet, dass sich im ersten Jahr unter Marcos nicht viel verändert hat: der "Antidrogenkrieg" gehe unvermindert weiter. Villanueva sieht es anders. Der Präsident habe zwar Dutertes "Antidrogenkrieg" nicht offiziell kritisiert, jedoch seine Leute angewiesen, das Töten einzustellen.
Allerdings ist das aus Sicht von Carlos Conde noch nicht überall angekommen. Conde ist auf die Antidrogenkampagne spezialisiert. Er war 20 Jahre investigativer Journalist, jetzt arbeitet er für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW).
14 Morde in einer Woche
Er sagt: Die Universität der Philippinen, die die Gewaltverbrechen im Zusammenhang mit dem "Antidrogenkrieg" zählt, habe für die letzte Maiwoche 14 Morde ausgemacht. Immer noch gebe es Attacken gegen Aktivisten und Journalisten, die sich mit dem "Antidrogenkrieg" und seinen Opfern befassen. "Gerade erst wieder wurden drei getötet, also da hat sich nichts verändert", sagt er.
Laut Monitoring wurden seit Marcos Amtsantritt 322 Menschen in der Kampagne gegen die Drogen umgebracht. Das sei zwar deutlich weniger als unter Duterte, aber Marcos folge dem Skript seines Vorgängers. Duterte hatte die Zahl der Toten während seiner Amtszeit auf rund 6200 beziffert. Menschenrechtsgruppen gehen jedoch von bis zu 30.000 Toten aus.
Nur vier verurteilte Polizisten
Man dürfe außerdem nicht vergessen, dass mehr als die Hälfe der in die Morde verwickelten Personen Polizisten seien und nur vier bisher rechtskräftig verurteilt wurden, mahnt Conde. Die Vereinten Nationen forderten die Philippinen im Frühjahr auf, die im "Antidrogenkrieg" begangenen Verbrechen besser aufzuklären.
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) nahm schon 2018 Ermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf. Allerdings hatte sich die Regierung Duterte 2018 von dem Gerichtshof zurückgezogen, und die neue Regierung wollte die Ermittler bisher nicht ins Land lassen.
Im Gespräch mit der ARD verteidigt Außenminister Enrique Manalo diese Haltung. Aus seiner Sicht ist der IStGH in Ländern ohne funktionierendes Rechtssystem wichtig, um etwa massive Menschenrechtsverletzungen zu verfolgen. Das sei aber auf den Philippinen nicht notwendig, da hier die Justiz funktioniere.
Bislang keine Kooperation mit Den Haag
"Ja, das Justizsystem funktioniert, allerdings nur für reiche Leute, die sich einen Anwalt leisten können", sagt dazu Conde von HRW. Für die Armen aber, die die Opfer des "Antidrogenkriegs" sind, funktioniere es nicht.
Dass auch der amtierende Präsident und dessen Regierung nicht richtig mit dem IStGH kooperieren, hält der Aktivist für Taktik. Denn Ex-Präsident Duterte habe immer noch viele Unterstützer, die auch hinter dem "Antidrogenkampf" stünden. Und die könnten Marcos Jr. gefährlich werden.
Conde kann sich aber vorstellen, dass die Regierung auf lange Sicht deshalb auch einen Weg zur Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof finden wird - spätestens zu den Zwischenwahlen 2025.