Kampf gegen Drogen auf den Philippinen Mörder oder Helden?
Der philippinische Präsident Duterte geht bei seinem Kampf gegen Drogendealer im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen. Tausende sollen von Polizisten und Todesschwadronen getötet worden sein. In der Bevölkerung wird dieses Vorgehen gefürchtet - oder gefeiert.
Leutnant Rodel Visario und seine Männer haben eine Liste abzuarbeiten. 28 Namen stehen darauf, aber an den Wellblechhütten und Baracken im Slum von Pasay - einer Vorstadt der philippinischen Hauptstadt Manila - stehen selten Namen. Die Polizisten klopfen an Türen, blicken in verängstigte Augen, stellen Fragen, schüchtern ein: "Nimmst Du noch Drogen? Nein? Bist Du sicher? Lass die Finger von den Drogen - du weißt, die Zeiten haben sich geändert, wir beobachten dich!"
"Knock and ask" heißen diese Aktionen, übersetzt so viel wie "Klopfen und fragen". Niemand, der Drogen nimmt oder damit handelt, soll sich mehr sicher fühlen.
Leutnant Visarios Uniform ist tadellos gebügelt, die Lackschuhe sind auf Hochglanz poliert. "Wenn sie unser Leben bedrohen, dann töte ich sie", sagt er und berührt beiläufig die silberglänzende Beretta an seiner Hüfte. Gedanken mache er sich keine darüber, überhaupt nicht: "Ich sorge mich um die Kinder in diesem Land, aber wenn sich Drogendealer oder Süchtige mit uns anlegen wollen - dann töte ich sie!"
Tausende von Polizisten und Todesschwadronen getötet
2105 ist eine Zahl - Eric Sisa ein Name. Ein junger Mann von 21 Jahren in einem weißen Sarg unter einem Plastikzelt. Aufgebahrt in einer schmalen, verschlammten Gasse zwischen ärmlichen Behausungen. Eine Tupperdose steht vor der Jesusfigur - darin sammeln die Familie und die 18-jährige, schwangere Witwe Geld, um das Begräbnis bezahlen zu können.
Eric hat Shabu geraucht, eine chemische Droge, ähnlich wie Ecstasy. Ein billiger Kick für die Armen auf den Philippinen. Aber gestorben ist er durch die Kugeln aus den Dienstwaffen von Polizisten. Eines von 2105 Opfern, die Präsident Rodrigo Dutertes Krieg gegen die Drogen bislang gekostet hat. Ermordet von Todesschwadronen, die den Toten Pappschilder um den Hals hängen mit der Aufschrift: "Ich war ein Drogendealer." Oder erschossen von der Polizei, 817 solcher Fälle gab es in den vergangenen beiden Monaten.
Eric Sisa hat sich der Verhaftung widersetzt und die Beamten bedroht - so sagt es die Polizei. "Das sagen sie immer", erklärt Amor Virata. Sie ist Polizeireporterin in Pasey seit 30 Jahren. "Sie sagen, dass sie schießen mussten, weil der Verdächtige ihnen die Waffe entrissen habe." Virata zieht ein Handy aus der Tasche, das ein Informant ihr zugespielt hat und schaltet den Videoplayer ein. Sisa ist darauf zu sehen: Mit erhobenen Händen, umzingelt von vier Polizisten, die alle anfangen zu schießen. Sisa fällt zu Boden.
Falsche Rechtfertigungen der Polizei?
Die Reporterin zuckt die Schultern. "Drachenlady" wird sie genannt, erzählt sie stolz, weil sie keine Angst hat, die Polizei zu kritisieren. Sie bekommt selbst viele Morddrohungen, manchmal Blumen für ihre Beerdigung. Virata nimmt jeden Morgen einen anderen Weg zur Arbeit und trägt immer eine geladene Pistole bei sich. Ihre letzte Story handelt von einem Vater und seinem Sohn - beide wurden auf einer Polizeiwache erschossen. Man hört viele solcher Geschichten in den Slums der philippinischen Großstädte. Häufig beginnen sie mit einem Namen auf einer Liste - und sie haben selten ein Happy End.
Diese Frau trauert in Manila um ihren Partner, der von unbekannten Schützen mit dem Vorwurf erschossen wurde, ein Drogenhändler zu sein.
"Unsere Kinder waren in der Schule, als sie meinen Mann holten. Sie haben mir gesagt, sie würden ihn nur mitnehmen, damit er etwas unterschreibt und mit ihm reden. Und dann war er tot", erzählt eine Mutter. Auch hier hätten die Polizisten behauptet, der Mann habe sie angegriffen und einem Beamten die Waffe entrissen. "Aber das das ist doch Unsinn", sagt seine Witwe, "er war ein schmächtiger kleiner Kerl und ein Bündel voller Angst. Mein Mann war kein schlechter Kerl. Er hat Drogen genommen, aber das hat er nicht verdient."
Kaum Ermittlungen eingeleitet
Jose Luis Martin Gascon ist Menschenrechtskommissar der philippinischen Regierung - das Amt garantiert ihm Unabhängigkeit. Er bemängelt, dass es fast nie eine Ermittlung gibt, so wie es in jedem Rechtsstaat Vorschrift sei nach tödlichem Schusswaffengebrauch durch die Polizei. Eine Menge korrupter Beamte sei selbst in den Drogenhandel verwickelt, vermutet Gascon: "Und die vertuschen das jetzt, indem sie ihre Komplizen umbringen." Beweisen kann der Menschenrechtskommissar das nicht, ebenso wenig wie den Verdacht, Polizisten seien an den Todesschwadronen beteiligt.
Meist kommen die Mitglieder der Schwadronen maskiert auf Motorrädern. Auf dem Heimweg von der Arbeit sei ihr Sohn von fünf Schüssen in die Brust getroffen worden, erzählt Johanna Mariano. Jetzt hat sie Angst um ihre anderen Kinder. Der Polizei traut sie nicht: "Sie sollten wegen des Mordes an meinem Sohn ermitteln, aber sie standen um seine Leiche herum und haben gegrinst und gelacht. Bevor er starb, hatte ein Polizist ihn sogar gewarnt und gesagt: 'Du bist der Nächste'."
Fast nie werden die Täter gefasst. Und falls ausnahmsweise doch, schweigen sie über ihre Auftraggeber. Zurück bleiben Mütter, die nicht begreifen, wieso der Tod ihrer Kinder ungesühnt bleibt.
Großer Rückhalt für Duterte
Freddie Aguilar - Volksmusikstar auf den Philippinen - hat einen seiner großen Hits für Präsident Duterte umgeschrieben. Für den Mann, der aus Sicht des Musikers wirklich etwas verändere im Land. Auch 91 Prozent aller Philippinos, so besagt es die jüngste Umfrage, stehen hinter Duterte. Nachdem sie Jahrzehnte lang erlebten, wie die Dealer sich ungeniert in ihren Viertel ausbreiteten und ihren Söhnen und Töchtern Shabu anboten. Jahrzehnte, in denen sie in ständiger Angst lebten, ins Kreuzfeuer von Bandenkämpfen zu geraten. Aber nun räumt da endlich einer auf.
Eine halbe Million Drogendealer haben sich freiwillig gestellt bei der Polizei, weil sie lieber ins Gefängnis gehen, als erschossen zu werden. Dem Vizebürgermeister von Pasay, Noel Del Rosario, ist es egal, wie viele Dealer sterben und er spricht damit vielen aus dem Herzen: "Für mich sind die Polizisten, die gegen Drogendealer kämpfen, Helden und Männer die unser Land lieben. Ausländische Kritiker und Menschenrechtler sollten sich weniger um Kriminelle sorgen, als um die Bürger der Philippinen."
"Den Vollstrecker" nennen sie auf den Philippinen ihren Präsidenten - und Duterte begreift es als Kompliment. Der 71-Jährige spricht oft vom Töten. Vor seinem fulminanten Wahlsieg hat er öffentlich versprochen, die Bucht von Manila mit den Leichen von Verbrechern zu füllen - und er scheint gewillt, dieses Versprechen einzulösen.
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