UN-Sicherheitsrat Libanons Außenminister warnt vor weiterer Eskalation
Libanons Außenminister Bou Habib hat im UN-Sicherheitsrat vor einer weiteren Eskalation in Nahost gewarnt. Israel bezichtigte er des Terrorismus. Das Land müsse seine Angriffe beenden, oder die Welt werde Zeuge einer "großen Explosion" werden.
Der Libanon hat Israel nach der massenhaften Explosion von Pagern und Walkie-Talkies im Besitz der Hisbollah-Miliz vor dem UN-Sicherheitsrat "Terrorismus" vorgeworfen.
Außenminister Abdallah Bou Habib sagte bei einer Dringlichkeitssitzung des Gremiums, die Explosionen, bei denen am Dienstag und Mittwoch in zwei Wellen 37 Menschen getötet und fast 3.000 verletzt worden waren, seien "eine nie dagewesene Methode der Kriegsführung, die durch ihre Brutalität und ihren Terror besticht". Unter den Opfern seien nicht nur Hisbollah-Mitglieder, sondern auch Zivilisten wie Kinder gewesen.
Explosion, die "uns ins dunkle Zeitalter zurückwerfen wird."
Er bezeichnete Israel als "Schurkenstaat". Die Explosionen seien ausgelöst worden, "ohne Rücksicht darauf, wer sie trägt oder wer sich um sie herum befindet". Zwischendurch hielt er ein Bild im Rat hoch, dass eine blutige Hand mit abgesprengten Fingern zu zeigen schien.
Bou Habib warnte vor Gefahr eines großen Krieges. "Entweder zwingt dieser Rat Israel, seine Aggression einzustellen", sagte Bou Habib vor dem UN-Sicherheitsrat in New York, "oder wir werden stumme Zeugen der großen Explosion sein, die sich heute am Horizont abzeichnet." Bevor es zu spät sei, "müssen Sie verstehen, dass diese Explosion weder den Osten noch den Westen verschonen und uns ins dunkle Zeitalter zurückwerfen wird."
Israel will "Terroristen ins Visier nehmen"
Israel hat sich bislang nicht öffentlich zu den Angriffen bekannt. Es sei klar, dass Israel sich nicht an das Völkerrecht und das humanitäre Recht halte, so Bou Habib weiter. "Wenn Israel solche Taten begeht, erleben wir nur schüchterne Bekundungen des Bedauerns, die Israel ermutigen, die internationalen Resolutionen zu missachten, von denen seit 1948 keine einzige gegen Israel umgesetzt wurde". Israel sei zu einem Schurkenstaat geworden.
Israels UN-Botschafter Danny Danon lehnte eine Stellungnahme zu den Explosionen von Kommunikationsgeräten im Libanon ab. "Aber ich kann Ihnen sagen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um diese Terroristen ins Visier zu nehmen", sagte er. Israel habe "nicht die Absicht, einen Krieg mit der Hisbollah im Libanon zu beginnen, aber wir können so nicht weitermachen", sagte Danon. Sein Land bevorzuge eine diplomatische Lösung und wolle eine weitere Eskalation "verhindern".
UN-Botschafter: Gemeinsam eine Lösung finden
Danon betonte, dass die Hisbollah seit dem Terrorangriff der islamistischen Hamas vor gut einem Jahr mehr als 8.000 Raketen auf Israel abgefeuert habe. Dabei seien Dutzende Menschen getötet und Zehntausende vertrieben worden.
Dem libanesischen Außenminister Abdullah Bou Habib warf Danon vor, in seiner Rede vor dem Sicherheitsrat den Namen der Hisbollah nicht einmal genannt zu haben. "Sie haben einer Terrororganisation erlaubt, einen Staat zu gründen, einen Staat innerhalb Ihres Staates, der Ihr eigenes Volk ins Verderben bringt. Anstatt uns, Ihren friedlichen Nachbarn, die Schuld zu geben, sollten Sie jetzt Maßnahmen ergreifen, um die Hisbollah einzudämmen", so der Diplomat. Danon betonte, dass der Libanon und seine Regierung nicht das Problem in dem Konflikt seien. Zusammen könne man eine Lösung finden. Das Problem sei aber die Hisbollah.
Türk: Pager-Explosionen völkerrechtswidrig
UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk bezeichnete die Explosionen der Kommunikationsgeräte vor dem Sicherheitsrat als Verletzung des humanitären Völkerrechts. Dieses verbiete "den Einsatz von Sprengfallen in Form scheinbar harmloser tragbarer Gegenstände", fügte Türk an.
Es sei "ein Kriegsverbrechen, Gewalt anzuwenden, um Angst und Schrecken unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten". Er sei "entsetzt von Ausmaß und Auswirkungen der Angriffe". Der Menschenrechtskommissar sprach von einer "neuen Qualität der Kriegsführung", wenn zivile Geräte als Waffen missbraucht werden. Nötig sei nun eine unabhängige und transparente Untersuchung, wer für die Attacken verantwortlich war.
Russland spricht von "barbarischer Attacke"
Der stellvertretende amerikanische UN-Botschafter Robert Wood rief alle Akteure in der Region auf, eine weitere Eskalation zu vermeiden. Die US-Regierung werde alles tun, damit es zu einer diplomatischen Lösung kommt. Israel müsse sich jedoch auch gegen die ständigen Raketenangriffe der Hisbollah wehren können.
"Israel hat das Recht, sich gegen die Hisbollah zu verteidigen. Kein Mitglied in diesem Rat würde tägliche Raketenangriffe einer Terrororganisation an seiner Grenze tolerieren und die Vertreibung zehntausender seiner Bürger", so Wood.
Auch Großbritannien und Frankreich betonten das Selbstverteidigungsrecht Israels und appellierten an die Hisbollah, die Raketenangriffe auf Israel einzustellen und sich aus dem Grenzgebiet zurückzuziehen. Dagegen geißelten China und Russland das Vorgehen Israels. Russlands UN-Botschafter sagte, sein Land betrachte die "barbarische Attacke" als Terrorangriff. Und Chinas UN-Botschafter forderte die westlichen Staaten auf, Israel von künftigen Angriffen dieser Art abzuhalten.
"Kalkül von Israel und Hisbollah wird sich nicht ändern"
"Israel hat der Hisbollah einen sehr starken psychologischen und taktischen Schlag versetzt, der verheerend ist", sagte Fawaz Gerges, Nahostexperte und Professor für internationale Beziehungen an der London School of Economics, dem "Wall Street Journal". Die Angriffe in dieser Woche würden jedoch das strategische Kalkül zwischen der Hisbollah und Israel nicht verändern. "Jeder, der die Hisbollah von innen kennt, wird Ihnen sagen, dass diese Angriffe die Haltung der Hisbollah verhärten und sie noch entschlossener machen werden, Widerstand zu leisten und ihren Weg fortzusetzen", so der Experte.
Matthew Levitt von der Denkfabrik Washington Institute sagte dem "Wall Street Journal", Israel wolle die Fähigkeit der Hisbollah zur Kriegsführung neutralisieren, indem es wichtige Mitarbeiter, Telekommunikationsnetze und Waffensysteme angreift. Er sagte weitere derartige Angriffe voraus, möglicherweise auch gegen Langstreckenraketen, die größere Sprengköpfe und präzisionsgelenkte Munition tragen.
"Das ist mehr als nur eine Botschaft", so Levitt. "Sie soll der Hisbollah den Teppich unter ihren militärischen Fähigkeiten wegziehen und dafür sorgen, dass sie nicht mehr die Bedrohung darstellt, die sie in den vergangenen elf Monaten ganz konkret und schon viel länger angedroht hat."
Mit Informationen von Martin Ganslmeier