Explosionen im Libanon Völkerrechtsbruch oder legitime Kriegsführung?
Hinter der Explosion Tausender Pager und Funkgeräte im Libanon wird ein gezielter Schlag Israels gegen die Hisbollah-Miliz vermutet. Doch handelt es sich um ein mögliches Kriegsverbrechen? Völkerrechtler sind in dieser Frage gespalten.
Am Dienstag explodierten im Libanon nahezu zeitgleich sogenannte Pager, nur einen Tag später waren es Funkgeräte. Es gab mehrere Tote, tausende Menschen wurden verletzt, darunter auch zahlreiche Zivilisten. Offiziell ist nicht geklärt, wer hinter den Attacken steht. Es mehren sich jedoch die Hinweise, dass es sich um einen gezielten Schlag Israels gegen die schiitische Hisbollah-Miliz gehandelt hat. Doch war es ein legitimer Akt der Kriegsführung? Oder ein Verstoß gegen das internationale Völkerrecht?
Die Einschätzungen von Experten gehen in dieser Frage teils deutlich auseinander. Doch die meisten von ihnen beziehen sich in ihrer Argumentation auf ein und dieselbe Grundlage: das 1983 in Kraft getretene Waffenübereinkommen der Vereinten Nationen mit dem vollständigen Titel "Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May Be Deemed to Be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects" - kurz CCW.
Dieses Abkommen hat laut Auswärtigem Amt "zum Ziel, den Einsatz bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können, in erklärten Kriegen und anderen bewaffneten Konflikten zu verbieten oder zu beschränken". Das Abkommen besteht aus insgesamt fünf Protokollen. Entscheidend in der aktuellen Diskussion ist Protokoll Nummer II über Minen, Sprengfallen und andere Vorrichtungen. Insgesamt haben weltweit 106 Staaten dieses Protokoll ratifiziert, auch Israel.
Waren zivile Opfer absehbar?
Genau auf dieses Protokoll II bezieht sich der Völkerrechtler Andrew Clapham von der Genfer Universität Graduate Institute. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa pochte er auf das darin vereinbarte Verbot von Sprengfallen, also von an sich harmlosen Objekten, die als Waffe präpariert werden. In diesem Fall Kommunikationsgeräte wie Pager und Funkgeräte.
Clapham verwies auf den im Protokoll festgehaltenen Beschluss: "Es ist unter allen Umständen verboten, Waffen, auf die dieser Artikel Anwendung findet, entweder zum Angriff, zur Verteidigung oder als Vergeltungsmaßnahme gegen die Zivilbevölkerung als solche oder gegen einzelne Zivilpersonen zu richten."
Für den Völkerrechtler ist klar, dass bereits im Vorfeld des Angriffs absehbar gewesen sei, dass "Unbeteiligte zu Schaden kommen". Tatsächlich wurden bei den Explosionen im Libanon auch Zivilisten verletzt, die die Pager als Kommunikationsmittel nutzten. Libanesische Medien berichteten, dass Geräte in Supermärkten detoniert seien, auch ein Kind sei getötet worden. Und der Einsatz von Sprengfallen gegen Personen, "die keine Kämpfer sind", stelle einen "direkten Angriff auf Zivilisten" dar, betonte Clapham - und damit ein mögliches Kriegsverbrechen.
Gezielter Schlag gegen die Hisbollah?
Ein vollständiges Verbot für den Einsatz von Sprengfallen sieht das UN-Waffenabkommen aber nicht vor. Sondern nur für bestimmte Sprengfallen und bestimmte Einsätze von Sprengfallen. Nämlich genau in den Fällen, wo diese Sprengsätze "übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können". Auf diese Einschränkungen stützt Elvira Rosert ihre Sichtweise zu den Pager-Angriffen. Sie ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Hamburg.
Sie führt an, dass gemäß des UN-Abkommen der Angriff im Libanon direkt auf die Zivilbevölkerung hätte abgezielt haben müssen, um einen Verstoß gegen die UN-Vereinbarung darzustellen. Doch die Explosionen der Pager hätten als Angriff vorrangig der Hisbollah-Miliz gegolten. Rosert betonte beim Kurznachrichtendienst X, dass nach derzeitigem Kenntnissstand nur Pager betroffen waren, die an die Hisbollah gegangen seien und nicht über den Handel für Zivilisten erhältlich waren. Die Zerstörung von Kommunikationsmitteln der Miliz stelle "vermutlich einen beträchtlichen militärischen Vorteil" dar, schrieb Rosert - und daher sei ein solches Vorgehen, unabhängig von einer moralischen Bewertung, rechtlich wohl gedeckt.
"Mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit" kein Völkerrechtsverstoß
Ähnlich bewertet auch Thomas Burri, Professor vor Europa- und Völkerrecht an der Universität St. Gallen, den Einsatz der als Sprengfallen präparierten Pager. Seiner Einschätzung nach tragen Israel und die Hisbollah einen bewaffneten Konflikt aus. In einem solchen stellten "feindliche Kämpfer und militärisch genutzte Kommunikationssysteme" legale Ziele dar, betonte Burri gegenüber der dpa und fügte hinzu:
Wenn es wirklich nur Angehörige der Hisbollah waren, die diese Pager und Funkgeräte hatten, wäre die Ausübung der Gewalt sehr zielgerichtet gewesen - mehr, als es mit anderen Waffen unter Umständen möglich gewesen wäre.
Unter der Voraussetzung, dass der Angriff dazu dienen sollte, "die gesamte Kommunikationsstruktur eines Gegners" zu zerstören und zudem "eine große Zahl von Kämpfern" zu treffen, sei eine solche Attacke "mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit" kein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht, so das Fazit des Experten.
Pager-Angriff "höchst problematisch"
Auch der Völkerrechtler Claus Kreß führt die Rechtmäßigkeit der Pager als Sprengfallen im Interview mit dem Deutschlandfunk und unter der nicht bestätigten Annahme, dass Israel hinter dem Angriff steht, auf eben diese beiden Gesichtspunkte zurück. Er bezeichnet den Angriff als "höchst problematisch", denn nach allgemein völkerrechtlichen Regeln würden sich "sehr ernsthaft" zwei Fragen stellen:
Erstens - ist es zum Einsatz dieser Sprengfallen nur gegen Hisbollah-Kämpfer gekommen, also Personen, die Israel nach dem Recht des bewaffneten Konflikts gezielt bekämpfen darf? Und zweitens - hat Israel im Vorfeld alles getan, um die zivilen Begleitschäden, die mit solchen Detonationen verbunden sind, auf ein nicht exzessives Maß zu begrenzen? Oder war es nicht umgekehrt absehbar, dass es zu exzessiven zivilen Begleitschäden kommen würde?
Entschiedener äußerte sich Stefan Talmon, Völkerrechtler von der Universität Bonn, im Gespräch mit tagesschau24. Bei dem Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah handele es sich um einen internationalen, bewaffneten Konflikt in welchem die Hisbollah eine Kriegspartei darstelle, die "rechtmäßig Ziel eines Angriffs" werden könne. Die Kämpfer der Hisbollah weisen eine dauerhafte Kampfbeteiligung auf, auch wenn sie aus dem Hinterland und nicht direkt an der Front agieren, führte Talmon aus. Angriffe auf diese Kämpfer, ob durch Drohnen, Raketen oder auch mittels Cyberangriffe seien rechtlich legitim.
Im Fall der Pager-Angriffe gestalte sich die Frage der Verhältnismäßigkeit kompliziert, betonte Talmon. Es müsse abgewogen werden zwischen dem "unmittelbaren direkten militärischen Vorteil" durch einen Angriff und dem Schaden, den dadurch Zivilisten erleiden. Das Völkerrecht könne dabei "keine 100-prozentige Präzision" voraussetzen, denn zivile Opfer ließen sich bei Angriffen nicht immer vermeiden. "Und das Völkerrecht trägt dem auch Rechnung", so Talmon.