Islamisten-Miliz Wie stark ist die Hisbollah noch?
Getötete Kommandeure, zerstörte Infrastruktur - Israel setzt der Hisbollah schwer zu. Wie lange halten die Islamisten diesen Kampf noch aus? Und wie blicken die Libanesen auf die proiranische Miliz?
Gelbe Flaggen wehen an Straßen im Süden des Libanon - die Flaggen der Hisbollah. Ihre Anhänger geben sich nach wie vor kämpferisch: "Der Feind bekämpft uns, er will, dass wir niederknien. Aber wir knien nur in unseren Gebeten, wir beugen unseren Kopf nur vor einem, der über uns ist: Gott."
Israel trifft Hisbollah hart
Und doch donnern israelische Flugzeuge über ihren Köpfen - der Libanon erlebt die heftigsten israelischen Angriffe seit fast 20 Jahren. Man wolle der Hisbollah keine Atempause gönnen, betonte der israelische Generalstabschef. Erst die massenhaften Explosionen von Kommunikationsgeräten vor einer Woche, die Israel zugeschrieben werden - Tausende Hisbollah-Kämpfer verstümmelt, einige tot, das Kommunikationssystem geschädigt und ebenso die Psyche der Anhänger durch die unerwartete Verwundbarkeit.
Dann die gezielten Luftangriffe im Süden Beiruts vor wenigen Tagen, die viele wichtige Hisbollah-Kommandeure töteten. Und jetzt die heftigen Bombardements auf die Hochburgen der Miliz im Süden und Osten des Landes, bei denen auch viele Zivilisten sterben. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah räumte schon vor Tagen ein: Das war ein schwerer Schlag. "Es gibt keinen Zweifel, dass wir hart getroffen wurden. So hart wie noch nie in der Geschichte des Widerstands. Es ist eine beispiellose Aggression in der Geschichte des Libanon."
Massiv geschwächt - aber kein Zurückweichen
Geschwächt sei die Hisbollah heute, sagen Beobachter - ein Stück weit überrollt von den heftigen Angriffen Israels. Und doch: Von einem Sieg über die Hisbollah könne noch keine Rede sein. Auch wenn sich Israel brüste, zahlreiche Raketenabschussrampen zerstört zu haben, feuert die Miliz immer noch viele Geschosse auf den Norden Israels.
"Israel sagt, dass sie hoffen, dass die Hisbollah zurückweicht", so die Journalistin Kim Ghattas bei CNN. "Aber ich sehe nicht, dass sie sich zurückzieht oder sich geschlagen gibt, auch wenn sie massiv geschwächt ist."
Führungsriege drastisch ausgedünnt
Niemand weiß, wie stark die Hisbollah tatsächlich noch ist - vielleicht noch nicht mal ihre Anhänger. Sie soll, ausgerüstet von ihrem engsten Verbündeten, dem Iran, vor Beginn der Eskalation Schätzungen zufolge rund 150.000 Raketen besessen haben, darunter auch hochmoderne Waffen, außerdem viele Drohnen. Die Hisbollah sei in der Lage, Israel weh zu tun, das öffentliche Leben lahmzulegen, mutmaßten Experten. Sie sei ein weitaus stärkerer Gegner als die Hamas in Gaza.
Doch wie viel davon noch übrig ist, ist unklar. Auch wenn die Hisbollah militärisch geschwächt sein mag, ideologisch scheint sie es kaum. Die Anhänger der Hisbollah, kampferfahren durch den Krieg in Syrien, stehen hinter Anführer Nasrallah und schwören Rache für jeden getöteten Kämpfer, sogenannten Märtyrer. Kaum fällt einer, rückt der nächste nach. Trotzdem: Die Führungsriege der Hisbollah hat gerade viele Verluste zu beklagen und ist nach den vielen gezielten Luftschlägen Israels deutlich ausgedünnt.
Ibrahim Kubaissi: Starb am 24. September bei einem Luftangriff auf die südlichen Vororte Beiruts. Er soll ein führender Kopf der Raketenabteilung der Islamisten-Gruppe gewesen sein.
Ibrahim Akil: Wurde am 20. September bei einem israelischen Luftangriff getötet, ebenfalls in Beiruts südlichen Vororten. Er war Mitglied des höchsten militärischen Gremiums der Hisbollah. Den USA zufolge war er in die Bombenanschläge auf die US-Botschaft in Beirut im April 1983 verwickelt, wie auch sechs Monate später in den Angriff auf eine US-Kaserne. Dabei starben etwa 300 Menschen.
Fuad Schukr: Starb bei einem israelischen Angriff am 30. Juli im Süden Beiruts. Das israelische Militär beschrieb ihn als rechte Hand von Hisbollah-Chef Nasrallah. Auch er soll in den Angriff auf die Kaserne verwickelt gewesen sein.
Mohammed Nasser: Wurde am 3. Juli bei einem israelischen Luftangriff getötet. Er soll eine Einheit geführt haben, die vom Südwesten des Libanons aus Israel beschoss.
Taleb Abdallah: Starb bei einem von Israel beanspruchten Angriff auf ein Kontrollzentrum am 12. Juni im Südlibanon. Er soll der Kommandeur des zentralen Abschnitts der Grenze zu Israel gewesen sein.
Staat im Staate
Unterstützung erhält die Hisbollah von anderen Gruppen aus der sogenannten "Achse des Widerstands" gegen Israel: Syrische und irakische Milizen, die Hamas, die Huthi im Jemen. Irakische Milizen erklärten bereits, Israel mit einer Drohne angegriffen zu haben. An erster Stelle kommt die Unterstützung des Iran, dessen Präsident bereits erklärte, alleine könne die Hisbollah den Kampf gegen Israel nicht gewinnen. Dennoch hat Teheran spürbar keine Lust, selbst in einen großen Krieg hineingezogen zu werden.
Im Libanon ist die Hisbollah ein wichtiger Akteur in einem äußerst schwachen Staat", sagt Politikanalyst James Dorsey. Denn auch das sollte bei der Betrachtung der Hisbollah nicht vergessen werden: Im Libanon ist sie weit mehr als eine Miliz, sondern auch eine Partei, ein Wohlfahrtsystem, ein Arbeitgeber - eine Art Staat im Staate ist entstanden, der aktuell ein ganzes Land in Geiselhaft nimmt.
Kritische Stimmen in Libanon mehren sich
Gegründet wurde die Miliz vor mehr als 40 Jahren. Seitdem hatte die schiitische Hisbollah drastisch an Stärke gewonnen - der politische und der militärische Arm, mit engen Kontakten zu den Verbündeten in der Region. "Hisbollahs Bedeutung geht weit über den Libanon hinaus, und reicht nach Syrien, den Irak und Jemen", sagt Politikwissenschaftler Yeghia Tashjian von der American University Beirut. "Eine Organisation parallel zum Staat, die ausbalancieren muss zwischen einem militärischen Teil und einem politischen, der den Rückhalt in der Bevölkerung nicht verlieren will."
Und was ist mit dem Rückhalt in der Bevölkerung? Neben viel laut vorgetragener Solidarität mehreren sich die leisen, kritischen Stimmen im Libanon, die der Hisbollah Schuld an diesem neuen Krieg geben. Schließlich waren es ihre permanenten Angriffe auf den Norden Israels, die Israels Regierung bis zur Weißglut reizten.
"Hisbollah ist ein Einzelkämpfer, der Libanon in diesen Krieg gezogen hat", so der politische Kolumnist Jad Yattem. "Und viele Libanesen, selbst Schiiten, finden: Das ist nicht unser Krieg. Wir wurden da reingezogen. Und all diese Attacken haben doch nichts gebracht für Gaza. Wofür das alles?"
Aber die Hisbollah sei einfach zu einflussreich, sagte auch kürzlich der libanesische Journalist Assaad Bechara. Er fürchtet, wie viele seiner Kollegen, um die Freiheit als Berichterstatter, denn die Hisbollah verbreitet ein Klima der Angst. "Hisbollah ist für viele im Land ein Agent des Iran, eine Krankheit im libanesischen Körper. Hisbollah zerstört die Möglichkeit, aus dem Libanon einen funktionierenden Staat zu machen."
Einigung möglich
Geht dieser Krieg nun weiter, bis die Hisbollah völlig zerstört ist? Politik-Analyst James Dorsey bezweifelt das. "Die Rhetorik von Israel zur Hamas ist eine andere als zur Hisbollah. Bei der Hamas spricht Israel von Zerstörung. Bei der Hisbollah geht es um Rückzug, Schwächung der militärischen Fähigkeiten und um regionalen Druck auf die Miliz."
Das israelische Ziel sei, die Hisbollah in ihre Schranken zu weisen und zurückzudrängen hinter den Litani-Fluss, 30 Kilometer von der israelischen Grenze entfernt, wie es eine UN-Resolution vorsieht. Andere Beobachter vermuten, dass es irgendwann zu einem Abkommen mit der Miliz kommen werde.
"Diese massiven Angriffe mit der Vertreibung Tausender Libanesen haben das Ziel eines Austauschs", so der palästinensische Politikbeobachter Adel Shadid. "Das bedeutet, dass Israel die Rückkehr der libanesischen Flüchtlinge in ihre Dörfer solange nicht zulassen wird, wie auch die Hisbollah den Israelis nicht erlaubt, in den Norden zurückzukehren."
Waffenruhe in Gaza würde auch Libanon befrieden
Oder andersrum: Vielleicht einigt man sich irgendwann auf eine Rückkehr aller Vertriebenen und ein Ende der Kämpfe. Völlig zerstören lasse sich die Hisbollah jedenfalls nicht, sagt Karim Safiedienne, zivilgesellschaftlicher Aktivist im Libanon: "Die Infrastruktur der Hisbollah ist zwar geschwächt, aber sie lässt sich reparieren. Selbst wenn man diese Gruppe komplett demontiert, sie wird sich neu organisieren."
Die einzige Perspektive auf eine baldige Waffenpause zwischen Israel und der Hisbollah wäre, da sind sich die meisten Beobachter einig, eine Lösung für Gaza - und wenn es nur eine vorübergehende Waffenruhe wäre. Nur dann könnte auch der Libanon zur Ruhe kommen.