EU-Mercosur-Abkommen Neues Leben für Freihandel mit Südamerika
Russland fällt als Handelspartner aus, auch von China will sich die EU handelspolitisch lösen. So rücken die Mercosur-Länder Südamerikas wieder in den Fokus Europas. Kommt das Freihandelsabkommen 2023?
Als Staatssekretärin Jennifer Morgan Anfang Dezember auf der Bühne des "Foro Futuro" in Buenos Aires stand, ging es anfangs um die Ukraine. Der russische Angriffskrieg sei "eine bittere Lektion" für Europa, erklärte Morgan auf dem deutsch-argentinischen Forum, bei dem beide Länder "gemeinsam Lösungen für die aktuellen Krisen" finden wollen.
Dabei handelt es sich um unterschiedliche Krisen. Argentinien leidet seit Jahren unter hohen Staatsausgaben, einer schwächelnden Wirtschaft und einer Inflation, die 2022 knapp 100 Prozent erreichen wird.
Deutschland dagegen steckt laut Morgan in einem "Wettlauf um Ressourcen" und sucht "weltweit neue Partner für die energetische Transformation", womit eine nachhaltigere Klimapolitik gemeint ist. Die Lösung für beide Seiten ist für Morgan nun eine verstärkte Partnerschaft.
Bald konkrete Ergebnisse?
Das neu erwachte deutsche Interesse an der Region könnte bald konkrete Ergebnisse bringen, sollte die stockende Ratifizierung des 2019 ausgehandelten EU-Mercosur-Freihandelsvertrags 2023 Fahrt aufnehmen, weil die neue geopolitische Lage dies erfordert.
Russland fällt bis auf Weiteres als Rohstoff- und Energielieferant aus. Bei seltenen Erden will sich die EU aus der Abhängigkeit von China befreien. Als alternative Rohstofflieferanten kommen die Mercosur-Länder Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay ins Spiel.
Der ausgehandelte Vertrag zwischen Europa und Südamerika schlummerte bislang in den Schubladen, auch weil europäische Länder wie Frankreich und Irland besorgt waren wegen der südamerikanischen Konkurrenz im Agrarsektor.
Unabhängigkeit von China
Umweltschützer hatten zudem moniert, der Freihandelsvertrag würde die Regenwaldzerstörung beschleunigen. Aus Sicht von Lis Cunha, Referentin für Handelspolitik bei Greenpeace Deutschland, gehe es den südamerikanischen Staaten nur darum, ihre Agrarexporte nach Europa zu steigern. Bei den Europäern stünden Auto- und Pestizidexporte nach Südamerika im Fokus. "Der gesamte Sinn des Abkommens ist falsch."
Dem widerspricht der Unternehmenssprecher von Bayer, Matthias Berninger: "Brasilianer und Europäer sollten jetzt den Vorteil erkennen, dass eine enge Zusammenarbeit beim Handel beide Seiten weniger abhängig macht von den Launen eines großen Marktes wie China."
Das Reich der Mitte ist vor Jahren zum wichtigsten Handelspartner vieler Länder Südamerikas aufgestiegen, darunter auch der großen Mercosur-Mitgliedsländer Argentinien und Brasilien. Gleichzeitig hatte Europa dem Kontinent lange Zeit keine Priorität eingeräumt. Diese Zeiten scheinen nun vorbei zu sein.
Unternehmen wünschen mehr Planungssicherheit
Bayer-Sprecher Berninger erklärt, für den Konzern würde das Abkommen "mehr Planungssicherheit für die Agrarsparte und das Pharmageschäft" bedeuten. Seit Jahren läuft Bayers Geschäft mit Saatgut und Pestiziden in Brasilien außerordentlich gut. Doch zuletzt unter der Bolsonaro-Regierung sorgte sich das Unternehmen ganz offensichtlich um seinen Ruf, schließlich steht der lukrative Agrarsektor in Brasilien in der Kritik, mitverantwortlich für die gestiegene Amazonas-Abholzung zu sein.
Deshalb betont Berninger, Bayer wolle mit seinen Produkten Brasilien helfen, "mehr Lebensmittel auf gleicher Fläche zu produzieren und gleichzeitig die Biodiversität zu schützen". Und: "Im EU-Mercosur-Abkommen müssen auch Umweltstandards und der Regenwaldschutz festgeschrieben werden."
Nachverhandlungen für mehr Nachhaltigkeit
Für die grüne EU-Parlamentsabgeordnete Anna Cavazzini geht dies nicht ohne Nachverhandlungen: "Die bislang zahnlosen Nachhaltigkeitsstandards müssen einklagbar und verbindlich im Abkommen verankert werden."
Die Grüne sei zumindest erleichtert, dass der linke Lula da Silva die Präsidentschaftswahl gegen Amtsinhaber Jair Bolsonaro gewonnen hat. Solange Lula aber "die durch Bolsonaro geschwächten Institutionen und Gesetze zum Waldschutz nicht wieder hergestellt hat, kann es kein EU-Mercosur-Abkommen geben".
Hoffen auf schnelle Ratifizierung
Diese Art Skepsis vieler Europäer gegenüber dem Abkommen bereitet Unternehmer Carl Martin Welcker Sorgen. Der Geschäftsführer der Alfred H. Schütte GmbH hofft, dass es nach der Wahl Lulas in Brasilien schnell gehen wird mit der Ratifizierung: "Danach würde dieses Dickicht an Bürokratie und Zollerklärungen in Brasilien womöglich komplett wegfallen."
Was er meint: Wenn Welcker Maschinen für die Automobilindustrie nach Brasilien exportiert, muss er bislang hohe Zölle zahlen. "Bei Ersatzteilen rechnen wir mit bis zu 90 Prozent höheren Kosten durch die Einfuhr nach Brasilien. Das ist abenteuerlich."
Politischer Wille der EU
Dass nun doch noch eine der größten Freihandelszonen der Welt geschaffen wird, dafür setzt sich derzeit der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ein. Er hat gerade erst alle Mercosur-Staatschefs besucht und bekräftigt, dass "der politische Wille sehr stark ist", die gegenseitigen Handelsströme anzukurbeln.
Maschinenbauer Welcker fordert dafür einen deutlich schlankeren Ratifizierungsprozess: "Es ist nicht mehr zeitgemäß, wenn man das Abkommen durch jedes Regionalparlament in Belgien schleppen muss. Sowas muss schneller gehen auf europäischer Ebene." Lis Cunha von Greenpeace dagegen fordert, dass "der ganze Text neu aufgemacht und nachhaltig angelegt werden muss."
Hinter den Kulissen wird derzeit intensiv verhandelt, um 2023 das Abkommen doch noch unter Dach und Fach zu kriegen. Der Wille dazu ist in der Politik deutlich gestiegen, seit Russlands Krieg in der Ukraine dafür gesorgt hat, dass Europa wieder verstärkt nach Südamerika schaut.