Assurini verleihen Lula in Belem einen indigenen Kopfschmuck (Bild vom September 2022).

Brasiliens Präsidentschaft Dank Lula Hoffnung für den Amazonas?

Stand: 16.11.2022 09:18 Uhr

Brasiliens gewählter Präsident Lula verspricht eine 180-Grad-Abkehr von der desaströsen Umweltpolitik seines Amtsvorgängers. Doch für effektiven Umweltschutz fehlt ihm nicht nur eine Parlamentsmehrheit.

Brasilien ist zurück auf der internationalen Bühne: Bereits am Wahlabend sendete der zukünftige Präsident Lula da Silva ein Signal von globaler Bedeutung: Nach vier verlorenen Jahren unter Bolsonaro werde Umweltschutz in seiner Regierung wieder großgeschrieben, versprach er.

Brasilien ist bereit, seine Rolle im Kampf gegen die Klimakrise wieder aufzunehmen und alle Ökosysteme, insbesondere den Amazonas, zu schützen. Unsere Regierung hat es einst geschafft, die Waldzerstörung um 80 Prozent zu reduzieren. Lasst uns jetzt alle gemeinsam für null Abholzung kämpfen!

"Kriminelle Gruppen übernahmen Kontrolle"

Eine Herkulesaufgabe. Denn die Möglichkeiten des Staates, gegen Umweltverbrechen vorzugehen, wurden während Jair Bolsonaros Präsidentschaft systematisch zerstört. Gesetze wurden geschwächt, Behörden das Budget gestrichen, Chefposten mit evangelikalen Pastoren oder fachfremden Militärs besetzt - und die Ausweisung von Schutzgebieten komplett ausgesetzt.

Lula verspricht nun nichts weniger als eine 180-Grad-Wende. Um das zu untermauern, wird er auf der Klimakonferenz in Ägypten erwartet - nicht als Teil der offiziellen Delegation, versteht sich, sondern gemeinsam mit den Gouverneuren der Amazonasstaaten und im Team mit Marina Silva. Sie war von 2003 bis 2008 seine erste Umweltministerin und verantwortlich dafür, dass die Arbeiterpartei die damals massive Abholzung um mehr 80 Prozent reduzieren konnte.

Marina Silva und Luiz Lula da Silva, Arm in Arm bei einem Wahlkampfauftritt im September 2022.

Marina Silva und Luiz Lula da Silva, Arm in Arm bei einem Wahlkampfauftritt im September 2022.

"Heute sehen wir uns einer weitaus komplexeren Situation als damals gegenüber: Während der Staat geschwächt wurde, haben kriminelle Gruppen heute vielerorts die Kontrolle übernommen - über den Luftraum, über Flüsse, sie dringen selbst in indigene Schutzgebiete ein und verüben grauenhafte Verbrechen", berichtet Silva. "Wir müssen unseren Plan von damals also nicht nur aktualisieren, wir brauchen mehr Infrastruktur, mehr Investitionen, mehr Personal."

Dass Silva erneut eine zentrale Rolle in Lulas Klimapolitik spielen wird, gilt als sicher - ob als Umweltministerin oder Leiterin eines zu schaffenden Klimarats, der die Klimapolitik verschiedener Ministerien aufeinander abstimmen soll. Unter diesen wird dann wohl auch ein neues Ministerium der indigenen Völker sein. 

Wirtschaftlichkeits-Garantien für Bauern

Die Herausforderungen sind enorm. Brasilien ist heute weit hinter seine auf früheren Konferenzen versprochenen Klimaziele zurückgefallen. Dabei macht die Waldzerstörung, die unter Bolsonaro um mehr als 70 Prozent anstieg, heute rund die Hälfte der Emissionswerte des Landes aus. Verantwortlich dafür sind die Ausweitung von Rinderweiden sowie Landraub und -spekulation für anderweitige Ausbeutung von Wald und Boden.

Ein vom 1988 ermordeten Naturschützer Chico Mendes eingerichtetes Schutzgebiet, das nachhaltiges Kautschukzapfen mit dem Schutz des Waldes verbinden sollte, gehört heute zu den Territorien, in denen am meisten abgeholzt wird.

Waldschutz funktioniere nur, wenn damit auch soziale Entwicklung verbunden ist, sagt seine Tochter Angela Mendes, Direktorin des nach ihm benannten Instituts für biologische Vielfalt ICMBio. Die Situation im Schutzgebiet zeigt: Nachhaltigkeit muss sich lohnen - ohne staatliche Hilfe funktionieren solche Modelle meistens noch nicht.

"Rinderzucht oder Sojaanbau dürfen nicht die einzigen Alternativen bleiben, sich weiterzuentwickeln und den Lebensunterhalt zu verdienen", betont Mendes. "Die Kleinbauern brauchen Garantien, dass nachhaltiges Wirtschaften sich auch lohnt, dass man davon leben kann. Sie brauchen Infrastruktur, technische Unterstützung, einen aktiven Staat, der eine Bio-Ökonomie, ihre Produktion und Vermarktung fördert und in Einklang mit traditionellen Lebensweisen steht."

Konservative Parlamentsmehrheit

"Lassen Sie uns unter Beweis stellen, dass es möglich ist, Reichtum zu generieren, ohne die Umwelt zu zerstören", erklärte Lula in seiner Antrittsrede und richtete damit auch einen Apell an die internationale Gemeinschaft, mit Brasilien zusammenzuarbeiten - auf wissenschaftlicher Ebene, aber auch ganz konkret mit Geld.

Zu erwarten ist, dass Forderungen an die Industrieländer, den Schutz der Regenwälder mitzufinanzieren, mit einem von Lula regierten Brasilien an Gewicht gewinnen. Nach wie vor sind die ein Knackpunkt bei den UN-Klimagesprächen. Norwegen und Deutschland haben nun bereits angekündigt, die 2019 eingefrorenen Zahlungen aus dem Amazonas-Fond wieder aufnehmen zu wollen.

Einfach wird die von Lula versprochene Kehrtwende allerdings nicht werden. Im Parlament steht seiner Regierung eine konservative Mehrheit gegenüber, die Agrarindustrie verfügt über großes Gewicht. Umweltbelange standen da bisher nicht oben auf der Agenda.  

 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete WDR 5 am 09. November 2022 um 18:04 Uhr.