Stichwahl in Ecuador Keine Konzepte gegen die Gewalt
Während Ecuador in seiner tiefsten Krise steckt, geht das Land in die Stichwahl um das Präsidentenamt. Doch keiner der beiden Kandidaten scheint Lösungen gegen Gewalt und Kriminalität zu haben.
Daniel Noboa ist Unternehmer, 35 Jahre alt - und hat gute Chancen, heute zu Ecuadors jüngstem Präsidenten gewählt zu werden. Im August hatte er es als Überraschungskandidat in die Stichwahl geschafft, vom Schlusslicht in den Umfragen auf den zweiten Platz.
Programmatisch ist Noboa wirtschaftsliberal, hält gleichzeitig aber auch eher linke, progressive Ideen hoch: mehr Sozialausgaben, Umweltschutz, Frauenrechte, auch verspricht er "mehr Arbeitsplätze, Sicherheit, öffentliche Gesundheit und öffentlich Bildung". Seine Vize, Verónica Abad, ist allerdings eine rechte Geschäftsfrau, die als Vorbilder den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und Brasiliens Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro nennt.
Daniel Noboa lässt lebensgroße Pappfiguren von sich verteilen, am Strand fotografieren und veröffentlicht seine Playlists auf Spotify. Und er hat gute Chancen, zu Ecuadors jüngstem Präsidenten gewählt zu werden.
Noboa präsentiert sich als unverbraucht
Vor allem bei jungen Wählern scheint Noboa erfolgreich zu sein und präsentiert sich als jung und unverbraucht. "Hier müssen sich die Köpfe ändern, die Mentalität, damit es zu einem echten Wandel in Ecuador kommt", sagt etwa ein Wähler namens Gabriel Ponce: "Je mehr Erfahrung Politiker haben, desto korrupter sind sie." Auch der Wählerin Gabriela Caceres gefällt, dass Noboa jung ist: "Vor allem ist er nicht mit derselben Clique wie immer verbandelt, er ist eine Alternative, etwas Neues."
Ganz aus dem politischen Nichts kommt Noboa jedoch auch nicht. Seine Familie leitet eines der größten Wirtschaftsimperien des Landes, Kerngeschäft Bananen. Dreimal kandidierte der millionenschwere Patriarch, Alvaro Noboa, erfolglos für das Präsidentenamt.
Zuletzt 2006 - mit demselben Wahlkampfjingle wie nun sein Sohn und gegen jenen Mann, der nun als Ziehvater der Kontrahentin seines Sohns mitmischt. Luisa Gonzalez konkurriert mit Noboa in der Stichwahl um das Präsidentenamt - und liegt in den Umfragen mit ihm gleichauf.
Gonzalez gibt sich volksnah
Die 45-jährige Linkspolitikerin war eher eine Hinterbänklerin, nun will sie die erste Frau an Ecuadors Spitze werden. Gonzalez gibt sich volksnah, setzt auf soziale Themen: "Ich bin eine von euch, ich komme aus einer Pfarrgemeinde, war auf einer öffentlichen Schule, weiß, was es heißt, den öffentlichen Transport zu benutzen und als alleinerziehende Mutter ein Kind großzuziehen. Genauso werde ich auch mein Vaterland wieder aufrichten!"
Dass Rafael Correa ihr engster Berater und Mentor ist, ist für sie Fluch und Segen zugleich: Der Ex-Präsident, der seit dem Ende seiner Amtszeit in Belgien lebt, spaltet das Land. Für die einen ist er der Einzige, der dem Land Stabilität und wirtschaftliche Prosperität bescherte. Für die anderen war er ein autoritärer und korrupter Regent, der versucht, über seine Kandidatin Gonzalez sein eigenes Comeback zu planen.
Der politische Analyst Jacobo Garcia sagt, es sei klar, dass Correa Gonzalez ausgewählt habe, um gemeinsam die nächste Regierung zu koordinieren. Gonzalez müsse nun einerseits beweisen, dass sie ein eigenes Profil hat, "auf der anderen Seite profitiert sie natürlich davon, sagen zu können: Wir haben Erfahrung, das ist wichtig, in einem schwierigen Moment wie diesem".
Ecuador steckt in tiefer Krise
Denn Ecuador, das lange Zeit als recht friedliches und stabiles Land in Südamerika galt, steckt in seiner tiefsten Krise: mit wirtschaftlicher Rezession, zunehmender Armut und Ungleichheit - vor allem aber mit einer brutalen Welle der Gewalt.
Der Mord an Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio im August überschattet den Wahlkampf. Villavicencio hatte zuvor wiederholt die Verquickung von Staat und organisierter Kriminalität angeprangert. Die mutmaßlichen Täter wurden verhaftet und vergangenes Wochenende tot im Gefängnis aufgefunden.
Beide Kandidaten, Gonzalez und Noboa, haben erklärt, die Gewalt eindämmen zu wollen. Noboa tritt gar demonstrativ in kugelsicherer Weste auf. Ein wirkliches Konzept zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität haben beide jedoch nicht vorgelegt.
Laut Umfragen ist gut die Hälfte der Wähler noch unentschieden, wen und ob sie überhaupt wählen werden bei dieser Abstimmung. Sie war vorgezogen worden, nachdem der noch amtierende und völlig diskreditierte Präsident Guillermo Lasso einer Amtsenthebung zuvorkam und Neuwahlen ausrief.
Politanalyst Garcia spricht von einer Stimmung der Demokratiemüdigkeit, einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der Politik. "Die Leute haben auch genug von diesem Wahlkampf, sie wollen, dass endlich jemand damit beginnt, ihre Probleme zu lösen", sagt Garcia. "Die Leute sind erschöpft, sie wollen ihre Ruhe haben."