Gendermedizin Wie unterschiedlich Frauen und Männer Schmerz empfinden
Frauen leiden häufiger unter Schmerzen als Männer. Doch die Ursachen sind noch nicht ausreichend erforscht. Zum Teil dauert es lange bis zur richtigen Diagnose und Behandlung. Darauf machen Forscherinnen aufmerksam.
Schmerz ist schon per Definition etwas Individuelles: Ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, häufig ein Warnzeichen des Körpers. Behandelnden Ärztinnen und Ärzten bleibt nur die Aussage der betroffenen Personen, wie ausgeprägt der Schmerz ist, wo er sich zeigt, wie genau er sich anfühlt. Man kann nicht, wie bei anderen Krankheiten, andere Messwerte erheben. Dazu kommen psychische und soziale Faktoren, besonders bei chronischen Schmerzen.
Umso wichtiger ist es, dass alle Betroffenen mit ihren Schmerzempfindungen ernst genommen werden - unabhängig vom Geschlecht. Das betonen Ärztinnen beim Deutschen Schmerzkongress in Mannheim.
Migräne deutlich häufiger bei Frauen
Denn bei Frauen und Männern gibt es Unterschiede in Bezug auf Schmerzen. Zum Beispiel gibt es Kopfschmerzarten, die vor allem bei einem Geschlecht vorkommen: Clusterkopfschmerzen kommen häufiger bei Männern, Migräne bei Frauen vor.
Die Gründe dafür seien vielschichtig, erklärt Bianca Raffaelli, Fachärztin für Neurologie an der Charité Berlin. Neben genetischen und Umweltfaktoren spielten auch die Sexualhormone eine Rolle. So könnte zum Beispiel der Abfall des Hormons Östrogen bei Frauen zu Migräneattacken führen.
Dennoch sei es ihr wichtig zu betonen, dass auch Männer von Migräne betroffen sein könnten, so Raffaelli. "Die historische Sichtweise, welche Migräne ausschließlich als 'Frauenerkrankung' einordnet, ist nicht korrekt und kann für beide Geschlechter stigmatisierend wirken."
Frauen reagieren anders auf Schmerzmittel
Insgesamt deuteten Forschungsergebnisse darauf hin, dass Frauen schmerzempfindlicher seien und eine niedrigere Schmerzschwelle hätten, erklärt Daniela Rosenberger von der Universität Münster.
Die körpereigene Schmerzhemmung sei weniger effizient als bei Männern. "Ebenso scheinen Entzündungsreaktionen und die Immunantwort bei Frauen stärker oder teilweise anders ausgeprägt zu sein." Das könne mit dazu beitragen, dass Schmerzen chronisch würden und die Wirksamkeit von Medikamenten beeinflussen.
Das sieht man zum Beispiel bei Opioiden. Diese starken Schmerzmittel werden beispielsweise bei Operationen verwendet.
"Wir wissen, dass bei Frauen das Risiko für Nebenwirkungen bei starken Schmerzmitteln höher ist", so Rosenberger. Dabei gehe es zum Beispiel um Übelkeit, Erbrechen oder Schwindel. Dieses Wissen sollte bei der Behandlung einfließen, erklärt die Wissenschaftlerin und Ärztin. "Wir schauen bei uns am Haus, in welchen Kontexten es sinnvoll ist, Opioide bei Frauen zu vermeiden oder wo es Alternativen gibt."
Forschung muss Unterschiede zwischen Geschlechtern beachten
Bei einem wichtigen Aspekt sieht Rosenberger Fortschritte: Lange wurden Studien standardmäßig an Männern durchgeführt und die Ergebnisse einfach auf Frauen übertragen. "Da tut sich viel. Es gab in den letzten Jahren viele Positionspapiere und Initiativen, dass sich das ändern muss." Das gelte auch in der präklinischen Phase, also bei Studien, in denen beispielsweise ein Medikament noch nicht am Menschen, sondern zuerst an Versuchstieren getestet werden. Auch dort müssten männliche und weibliche Tiere untersucht werden.
Jedoch würden Schmerzerkrankungen, die vor allem Frauen betreffen, tendenziell weniger Beachtung in der Forschung oder bei den behandelnden Ärztinnen und Ärzten finden. Ein Beispiel sei Endometriose. Bei dieser Erkrankung wächst Gewebe, das Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter. Dies kann im Laufe des Menstruationszyklus zu starken Schmerzen führen.
Frauen: Schmerzen werden als "normal" abgetan
Doch viele Patientinnen müssen etliche Jahre warten, bis sie die richtige Diagnose und damit eine entsprechende Behandlung erhalten. "Wenn man mit Patientinnen spricht, bekommt man den Eindruck, dass Frauen mit ihren Schmerzen oft nicht ernst genommen werden", erklärt Rosenberger. Dass Endometriose-Patientinnen zum Teil wenig Gehör fänden, läge auch daran, dass Regelschmerzen als "normal" angesehen und gesellschaftlich eher belächelt würden.
Dazu kämen soziokulturelle Einflüsse, wie die unbewussten Erwartungen der untersuchenden Personen. "Zum Beispiel, dass Frauen tendenziell ausdrucksstärker oder emotionaler seien. Das kann dazu führen, dass Schmerzäußerungen von Frauen insgesamt weniger ernst genommen und auch eher als bei Männern psychischen statt körperlichen Ursachen zugeschrieben werden," erklärt die Anästhesistin Rosenberger.
Sie und Raffaelli von der Charité in Berlin sind sich einig: Es sei wichtig, sich die Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Bezug auf Schmerzen bewusst zu machen und weiter zu erforschen. Nur so könne die Behandlung für alle verbessert werden - unabhängig vom Geschlecht.