Der Schatten einer Tennisspielerin ist auf dem Tennisplatz zu sehen.

Energiedefizit-Syndrom Wenn zu viel Sport Frauen krank macht

Stand: 27.02.2023 17:45 Uhr

Wenn bei Frauen die Regel ausbleibt, sie beim Sport kaum Energie haben und immer dünner werden, kann die Diagnose RED-S-Syndrom lauten. Die Krankheit, die Freizeit- und Profisportlerinnen trifft, wird nur selten erkannt.

Von Isabel Hertweck-Stücken, BR

Die weibliche Physis steht jahrzehntelang nicht im Fokus der Sportwissenschaft, Studien werden vor allem mit männlichen Athleten durchgeführt. Da ist es nur folgerichtig, dass Störungen des weiblichen Zyklus lange Zeit übersehen beziehungsweise sogar begrüßt werden, da "störende" Begleiterscheinungen wie die Menstruation damit ebenfalls ausbleiben.

Erst in den 1990er-Jahren wird der Begriff der sogenannten "Female Athlete Triad" geprägt. Alarmierend sind sogenannte Ermüdungsbrüche bei Sportlerinnen - das Ergebnis von Knochenschäden und Osteoporose, wie man es sonst eher von Frauen nach der Menopause kennt. Forscherinnen und Forscher beschreiben das Krankheitsbild als einen Symptomkomplex, der gekennzeichnet ist von exzessivem Training in Kombination mit zu wenig Energiezufuhr, Osteoporose, also Knochenmasseverlust, und von Störungen des weiblichen Zyklus.

Jede zweite Spitzensportlerin betroffen?

Claudia Römer von der Sportmedizin der Berliner Charité beschäftigt sich seit einigen Jahren mit dem Phänomen. Denn sie sieht erschreckend oft Leistungssportlerinnen, aber auch ambitionierte Hobbysportlerinnen, die auf die eine oder andere Weise betroffen sind. Römer schätzt auf Basis von internationalen Studien, dass im Leistungssport - je nach Sportart - bis zu 60 Prozent der Athletinnen betroffen sein könnten. "Auch bei ambitionierten Hobbysportlern sehen wir sehr hohe Prozentzahlen von über 40-50 Prozent", sagt sie in der ARD-Dokumentation Wissen "Die Entdeckung der Gendermedizin".

Eine Leipziger Studie hat jüngst erhoben, wie häufig Zyklusstörungen - ein wichtiger Hinweis für die Female Athlete Triad - bei deutschen Leistungssportlerinnen tatsächlich sind. Erschreckendes Ergebnis: Über 30 Prozent der befragten Ausdauerathletinnen gaben an, betroffen zu sein.

Riskantes Energiedefizit

In der Forschung wird die Female Athlete Triad heute als eine Ausprägung des RED-S (Relatives Energiedefizit-Syndrom) eingeordnet. Verantwortlich ist ein über längere Zeit bestehendes Energiedefizit. Das heißt, die Fettreserven des Körpers werden aufgebraucht, und zu wenig neue Energie in Form von Nahrung wird zugeführt.

Das kann im Ausdauersport unbeabsichtigt eintreten, beispielsweise durch eine schnelle Steigerung der Trainingsumfänge ohne entsprechende Anpassung der Kalorienzufuhr. Oder - typisch im Freizeitsport - durch eine zu ambitionierte Gewichtsreduktion in Verbindung mit exzessivem Training und/oder kalorienreduzierter Diät.

Auch Männer können vom RED-S Syndrom betroffen sein: Bei Frauen ist das Problem allerdings viel häufiger, da der weibliche Körper schneller und empfindlicher auf das Energiedefizit reagiert.

Unterschied zur Magersucht

RED-S unterscheidet sich von Magersucht bei Sportlern (Anorexia athletica) dadurch, dass nicht die mentale Komponente ursächlich für das Krankheitsbild ist, also eine problematische Körperwahrnehmung oder suchtartiges Verhalten. Ein RED-S Syndrom muss nicht mit einer Magersucht einhergehen, da das Energiedefizit auch unbeabsichtigt entstehen kann. Die organischen Auswirkungen ähneln sich aber stark, und ein RED-S Syndrom kann auch mit einer Anorexia athletica gemeinsam auftreten. 

Energiereserven für mögliche Schwangerschaften

Warum Sportlerinnen empfindlicher auf ein Energiedefizit reagieren, kann die Endokrinologin und Gendermedizinerin Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gendermedizin an der Medizinischen Universität Wien, erklären. Sie erforscht die Unterschiede zwischen weiblichem und männlichem Stoffwechsel und stößt immer wieder auf grundlegende Unterschiede im "Energie-Management" der beiden Geschlechter.

Eine Frau joggt in der Morgendämmerung am Maschsee entlang.

Auch Freizeitsportlerinnen können von dem Problem betroffen sein.

Das macht sich nicht nur beim Effekt von Diäten und beim Sport, sondern auch bei Erkrankungen wie Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) bemerkbar. Kautzky-Willer erklärt den evolutionären Sinn dieser geschlechtsspezifischen Unterschiede so: "Generell nehmen Frauen leichter zu und haben mehr Probleme, auch Gewicht wieder zu verlieren. Wahrscheinlich weil es von der Natur so vorgegeben ist, dass die Frau einen Energiespeicher hat, als Reserve für mögliche Schwangerschaften."

Die Entwicklung der Female Athlete Triad lässt sich also so erklären: Auf ein zu radikales Abschmelzen von Fettreserven reagiert der Körper mit einer Veränderung des Hormonhaushalts - der Zyklus wird unregelmäßig, schwächer, und bleibt schließlich ganz aus. Eine Schwangerschaft ist damit nicht mehr möglich: Vor dem Hintergrund der erschöpften Energiereserven wäre das zu riskant.

Gesund Sport treiben

Wie viele Reserven der weibliche Körper für die Aufrechterhaltung eines normalen Hormonspiegels braucht, ist individuell verschieden. Sportmedizinerin Römer empfiehlt Frauen als grobe Orientierung, nicht unter 15 bis 17 Prozent Körperfettanteil zu liegen.

Das Ausbleiben des Zyklus kann schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben. Römer warnt: "Man riskiert letztendlich durch das Ausbleiben eines Zyklus, dass das Östrogenlevel zu gering ist. Und da Östrogen auch ein sehr wesentlicher Teil des Knochenstoffwechsels ist, riskiert man eine zu geringe Knochendichte."

Weitere Symptome

Neben Zyklusstörungen können auch weitere Symptome auf ein RED-S hinweisen. Für die Diagnose braucht es unter Umständen ein Netzwerk aus Spezialistinnen und Spezialisten aus den unterschiedlichsten Disziplinen. Zu den möglichen Symptomen zählen:

  • Verlängerte Regenerationszeiten im Training
  • Stagnation der Leistungsentwicklung trotz gesteigerter Trainingsintensität
  • Müdigkeit, Stimmungsschwankungen bis hin zu Depression
  • Verdauungsstörungen
  • Sehnen-und Muskelschmerzen
  • Sehnen-und Bänderverletzungen
  • Ermüdungsbrüche

Gynäkologisch erinnern einige Symptome der betroffenen Sportlerinnen an solche, über die manche Frauen nach der Menopause klagen: darunter auch vaginale Atrophien und Störungen der sexuellen Lust.

Frühe Diagnose entscheidend

Das RED-S möglichst früh zu erkennen, ist wichtig, um schwerwiegende Verletzungen wie zum Beispiel Ermüdungsbrüche zu vermeiden. Römer sieht einen großen Informationsbedarf zu dem Syndrom, vor allem im jungen Erwachsenenbereich.

Denn bis sich die Hormonachse reguliert, also ein regelmäßiger Zyklus wieder eintritt, könne es Monate, manchmal auch Jahre dauern, warnt sie. Schlimmer noch: "Die Reversibilität des Verlusts der Knochenmasse, da gibt es eigentlich gute Daten dazu, dass es nicht mehr vollständig reversibel, also umkehrbar ist."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste in der ARD-Dokumentation "Nur ein 'kleiner Unterschied'? Die Entdeckung der Gendermedizin" um 22:50 Uhr.