Gesunde Ernährung "Man kann sich umgewöhnen!"
Viele Menschen in Deutschland haben Übergewicht. Ernährungsmedizinerin Andresen erklärt, wie eine gesunde Ernährung aussieht und wie man es schafft, schlechte Gewohnheiten abzulegen.
tagesschau.de: Was muss auf einen Teller, damit es eine möglichst gesunde und ausgewogene Ernährung ist?
Viola Andresen: Ein Zauberwort ist auf jeden Fall immer: Vielfalt. Man sollte sich möglichst vielfältig ernähren und ganz viel Gemüse, Ballaststoffe essen und wenig rotes Fleisch. Das sind einige Kernthemen. Wichtig ist auch: alles selbst zubereiten, keine Fertiggerichte. So spart man sich Zusatzstoffe, Süßstoffe, isst wenig Zucker.
Insgesamt geht es darum, ein Bewusstsein für die Ernährung zu haben. Zucker zum Beispiel ist ja nicht grundsätzlich schlimm, aber natürlich haben wir einen viel zu hohen Zuckerkonsum, weil sehr viel Zucker in den Nahrungsmitteln versteckt ist. Ein Beispiel sind süße Getränke. Die sollte man wirklich minimieren.
Übergewicht in Deutschland: "Dramatische Zahlen"
tagesschau.de: Wie beurteilen Sie die Situation in Deutschland - ernähren wir uns im Großen und Ganzen gut oder eher nicht?
Andresen: Leider sprechen die Zahlen dafür, dass wir uns insgesamt nicht gut ernähren. Wir haben beispielsweise ein wachsendes Übergewichtsproblem. Etwa die Hälfte aller erwachsenen Frauen und fast zwei Drittel der erwachsenen Männer in Deutschland sind übergewichtig. Jeweils fast 20 Prozent davon sogar krankhaft übergewichtig. Das sind schon dramatische Zahlen, denn dieses Übergewicht bringt starke gesundheitliche Probleme mit sich.
tagesschau.de: Was passiert in einem Körper, wenn wir uns schlecht ernähren?
Andresen: Das größte Problem ist das sogenannte Bauchfett, hier können sich viele Entzündungsstoffe sammeln. Das heißt, der Körper bekommt viele Entzündungssignale. Das erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzinfarkte, Schlaganfälle, aber eben auch Krebserkrankungen, entzündliche und rheumatologische Erkrankungen, Typ 2-Diabetes. All das wird verstärkt durch Übergewicht und kann dramatische Folgen haben.
Viola Andresen ist Fachärztin für Innere Medizin, Ernährungsmedizin und Palliativmedizin. Seit November 2023 ist sie Leiterin des Bauchzentrums im Hamburger Medizinicum. Zuvor war sie in leitender Funktion tätig am Ikaneum, Fachinstitut für Darmgesundheit und Ernährung am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg. Krankheiten des Verdauungstrakts und Mangelernährung gehören zu den Schwerpunkten ihrer Arbeit.
Die Verteilung des Körperfetts ist entscheidend
Dazu kommt, dass die meisten Menschen im Alltag schon merken, dass sie unbeweglicher werden. Sie bekommen Gelenkprobleme, Schmerzen, Arthrose, sind schnell außer Puste, wenn sie mal Treppensteigen müssen.
tagesschau.de: Stimmt der Satz: "Wer übergewichtig ist, hat eine geringere Lebenserwartung"?
Andresen: Im Durchschnitt auf jeden Fall. Diese ganzen Krankheiten treten eben statistisch gesehen häufiger bei Übergewichtigen auf. Wobei man ganz klar unterscheiden muss: Zum einen wie ausgeprägt das Übergewicht ist. Und vor allen Dingen ist eben dieses berühmte Bauchfett, das viszerale Fett, riskant. Vor allem Frauen haben ja öfter ein paar Kilo an den Hüften sitzen - das ist gesundheitlich nicht so bedenklich. Man unterscheidet bei Körpern ja den Apfel- und den Birnentyp. Der Apfeltyp ist sozusagen der gesundheitsgefährdende und der Birnentyp ist unproblematischer.
"Lieber langsam Dinge umstellen und dann nachhaltig"
tagesschau.de: Es gibt verschiedene Arten von Diäten - bringen die etwas?
Andresen: Erfahrungsgemäß sind alle kurzfristigen Diäten allenfalls mit kurzfristigen Gewichtsabnahme verbunden, und anschließend haben wir den berühmten Jojo-Effekt. Der Körper stellt sich auf Hungerstoffwechsel ein, und alles, was wir dann anschließend zu uns nehmen, wird doppelt als Fettdepot angelagert. Das heißt, wir wollen eigentlich keine Diäten, sondern wir möchten langfristige Ernährungsumstellungen. Lieber langsam Dinge umstellen und dann nachhaltig und lang anhaltend den Lebensstil ändern - was gar nicht so einfach ist!
Da gibt es zum Beispiel diese berühmten Insulinpausen, die man nutzen kann. Zum Beispiel mit der Insulin-Trennkost. Das würde bedeuten, dass man jetzt nicht sagt "Nie wieder Pasta!", sondern dass man die Pasta mittags isst und abends auf Kohlenhydrate verzichtet. Auch den Zuckerkonsum sollte man lieber in kleinen Schritten reduzieren. Denn die Erfahrungen zeigt, dass die Menschen sich so umgewöhnen können.
Wir sind leider durch die Nahrungsmittelindustrie verdorben: Die Sachen schmecken alle so süß, da gewöhnt man sich dran. Aber man kann es sich auch wieder abgewöhnen. Und die Menschen, die das versuchen, merken nach kurzer Zeit: Mir schmeckt das gar nicht mehr, das ist mir viel zu süß! Und die reduzieren dann langfristig ihren Zuckerkonsum ganz nachhaltig.
Insulinpausen sind wichtig für den Fettabbau
tagesschau.de: Wie ist es mit Intervallfasten - kann das was bringen?
Andresen: Alle Methoden, die längere Essenspausen haben oder vor allem längere Insulinpausen, sind günstig. Insulin ist der Botenstoff, der die Fettdepots bildet und der auch das Fett in den Fettdepots hält, solange wir erhöhte Insulinspiegel haben. Und die steigen eben nach kurz wirksamen Kohlenhydraten und Zucker an. So lange die hoch sind, können wir das Fett gar nicht abbauen. Und deswegen sind alle Methoden, die das Insulin unten halten, günstig. Das kann man durch Intervallfasten machen, indem man eben einfach über viele Stunden gar nichts isst. Oder auch durch so was wie Insulin-Trennkost, wo man manche Mahlzeiten hat ohne Insulin-Ausschüttung, also zum Beispiel nur Salat und Fisch isst.
Schon Kinder sollten etwas über gesunde Ernährung lernen
tagesschau.de: Was wäre aus Ihrer Sicht wichtig, damit Deutschland in Zukunft gesünder isst?
Andresen: Ein wichtiger Schritt wäre es, dass Kinder in der Schule viel mehr über gesunde Ernährung lernen. Und ich glaube, man müsste auch die Nahrungsmittelindustrie mehr mit einbeziehen, damit sie den Zuckergehalt von Nahrungsmitteln reduziert. Und damit müsste man jetzt anfangen, denn das Anwachsen der Adipositas-Zahlen zeigt, dass wir uns in die falsche Richtung bewegen.
Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung gekürzt und redigiert.