Matthias Maurer an Bord der Internationalen Raumstation

Gesundheitsforschung im Weltraum "Ein besseres Verständnis für Krankheiten erlangen"

Stand: 05.03.2024 14:10 Uhr

Die ESA forscht im Weltraum auch zum Thema Gesundheit. Die in der Schwerelosigkeit gewonnenen Erkenntnisse seien häufig auf Patienten auf der Erde übertragbar, sagt ESA-Expertin Van Ombergen im Gespräch mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Die Europäische Weltraumagentur (ESA) ist Mitveranstalter von einem Kongress zum Thema "Gesundheit aus dem Weltraum" in Cannes. Worum geht es da konkret?

Angelique Van Ombergen: Wir wollen zeigen, welche Forschung wir im Weltraum machen und welchen Nutzen das für Anwendungen auf der Erde hat. Gleichzeitig versuchen wir, neue Industrien mit neuen Interessensgebieten zu erschließen. Ich kenne viele Unternehmen, die daran interessiert sind, im Weltraum zu forschen, etwa an medizinischen 3D-Drucken. Die Tatsache, dass es im Weltraum Schwerelosigkeit gibt, vereinfacht die Experimente.

tagesschau.de: Warum ist es so lohnend, in der Mikrogravitation, also in der annähernden Schwerelosigkeit, zu forschen?

Van Ombergen: Viel physikalische Forschung findet im Weltraum statt, weil es dort keine Schwerkraft gibt. Wir haben zum Beispiel Experimente in der Flüssigkeitsphysik, bei denen man wirklich die Kernprozesse erforschen kann, weil es keine Sedimentation gibt, Teilchen können sich nicht ablagern. Mit Blick auf die Gesundheit ist dies besonders interessant, da einige der Signalwege besser aufgeklärt werden können, da die Schwerkraft keinen Einfluss hat. In der Schwerelosigkeit kann man sehr gut gewisse therapeutische Wirkstoffe untersuchen.

Zur Person
Angelique Van Ombergen arbeitet bei der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und an der Universität von Antwerpen. Sie forscht unter anderem zu der Frage, wie der menschliche Körper in der Schwerelosigkeit funktioniert und ob er auf anderen Planeten überleben könnte.

Ein Schwerpunkt ist die Forschung

tagesschau.de: Wieviel Arbeitszeit verbringen die Astronauten und Astronautinnen auf der ISS mit Forschung?

Van Ombergen: Das nimmt einen großen Teil ihrer Zeit in Anspruch. Einerseits sind sie dazu da, die Station zu warten. Sie müssen aber auch putzen, Essen zubereiten und schlafen. Es bleibt auch Zeit für die persönliche Hygiene.

Aber der größte Teil neben diesen Aspekten ist wirklich die Forschung. Das können Experimente sein, sie können sich selbst als Versuchspersonen testen oder sich gegenseitig als Versuchspersonen testen, aber auch Forschung betreiben, bei der sie keine Versuchspersonen sind, zum Beispiel in der Physik.

Internationale Raumstation ISS

Astronauten sehen 16 Mal am Tag die Sonne untergehen, haben also keinen normalen Tag- und Nachtzyklus. Die Forschungsergebnisse aus dem Weltraum können etwa auf Schichtarbeitende übertragen werden.

Schwerelosigkeit verändert Prozesse

tagesschau.de: Was macht die Schwerelosigkeit mit der Gesundheit von Astronauten?

Van Ombergen: Im Weltraum kommt es zu zahlreichen physiologischen Veränderungen, die sich auf die Gesundheit auswirken: Wir wissen, dass es zu Muskelschwund, Verlust der Knochendichte und beschleunigter Alterung kommt. Wir wissen auch, dass die Sehkraft der Astronauten insbesondere nach Langzeitmissionen beeinträchtigt sein kann. Wir wissen oft noch nicht, ob dies etwas ist, das nach dem Flug wieder rückgängig gemacht werden kann, oder ob es sich um dauerhafte Veränderungen handelt, die auch das Herz-Kreislauf-System betreffen.

Wenn wir Gesundheitsforschung im Weltraum betreiben, können wir die Astronauten vor, während und nach einem sehr extremen Reiz testen, von dem wir wissen, dass er in vielen Fällen eine Reihe von Veränderungen in den physiologischen und biologischen Prozessen auslöst. Diese Situation ist in diesem Sinne ein ziemlicher Luxus, denn wenn wir bestimmte Patienten auf der Erde untersuchen, können wir sie nie vor, während und nach einer Krankheit testen.

Der Vorteil, den wir im Weltraum haben, kann uns also helfen, innerhalb eines Individuums einige der Schlüsselprozesse zu klären, die aktiviert werden, wenn sich Menschen an eine extreme Umgebung anpassen.

Verständnis für Krankheiten

tagesschau.de: Inwieweit helfen die Erkenntnisse aus dem Weltraum für Therapien auf der Erde?

Van Ombergen: Osteoporose oder Muskelschwund sind ebenfalls mit Krankheiten verbunden, die wir auf der Erde sehen. Wir können auch ein besseres grundlegendes Verständnis für bestimmte Krankheiten erlangen. Es kann sich um bestimmte Gegenmaßnahmen oder Behandlungen handeln, die wir im Weltraum anwenden und von denen wir wissen, dass sie wirksam sind.

Es kann auch darum gehen, bestimmte Biomarker zu erforschen. Ein Beispiel dafür ist eine Studie der ESA, in der 3D-Knochenmodelle auf der ISS untersucht wurden. Dabei wurde festgestellt, dass es einen Biomarker namens "Irisin" für Osteoporose gibt. Dieses Wissen wird nun auch im klinischen Bereich genutzt. Dies ist also die Art von Forschung, die wir im Weltraum betreiben können und die potenziell auch für die Erde von Nutzen sein könnte.

tagesschau.de: Können Sie weitere Beispiele geben?

Van Ombergen: Unsere Astronauten müssen ziemlich "autonom“ sein, wenn sie im Weltraum fliegen. Die medizinischen Technologien, die wir im Weltraum einsetzen, können wir auch auf der Erde nutzen. Denken Sie an die Telemedizin, die Medizin aus der Ferne.

Einige der Forschungsarbeiten, die wir durchführen, betreffen zum Beispiel Astronauten, die ja keinen normalen Tag- und Nachtzyklus haben, weil sie 16 Mal am Tag die Sonne untergehen sehen. Solche Erkenntnisse können auch für Menschen gelten, die in Nachtschichten arbeiten, für Menschen, die keinen normalen Tages- und Nachtzyklus haben.

Sehkraft verändet sich

tagesschau.de: Sie haben inzwischen neue Erkenntnisse zur Sehkraft von Astronauten. Was haben Sie herausgefunden?

Van Ombergen: Die nachlassende Sehkraft ist etwas, das erst in den vergangenen Jahren aufgetreten ist, da auch die Missionen im Weltraum länger geworden sind. Das ist etwas, was wir jetzt bei den Astronauten sehen, dass ihre Sehkraft tatsächlich nachlässt. Wir kennen noch nicht die genaue Ursache für diese Entwicklung.

Eine der Hypothesen ist jedoch, dass es in der Schwerelosigkeit zu einer Veränderung der Flüssigkeit im Körper kommt, das heißt, dass mehr Flüssigkeit in den oberen Teil des Körpers fließt, weil die Schwerkraft sie nicht nach unten zieht. Diese Flüssigkeitszunahme könnte auch einen höheren Druck auf den Sehnerv ausüben und so möglicherweise den Sehverlust erklären.

Es gibt auf der Erde klinische Zustände, die ähnliche Symptome zeigen. Wenn wir das eine und das andere verstehen, können wir versuchen, diese Informationen und einige der möglichen Behandlungsmethoden miteinander zu verknüpfen.

tagesschau.de: Wenn die Astronauten zurück auf der Erde sind, haben sie dann wieder ihre alte Sehkraft?

Van Ombergen: Das wissen wir noch nicht. Wir haben Tests nach dem Flug durchgeführt, und bei einigen Astronauten sehen wir selbst einige Jahre nach dem Flug noch Veränderungen. Bei anderen gibt es Fortschritte in eine gute Richtung, aber wir können noch nicht bestätigen, ob die Veränderungen im Auge wieder das Niveau von vor dem Flug erreichen werden. Das ist etwas, das wir noch besser verstehen wollen. Wenn man sich eine Langzeitmission zum Mars vorstellt, bei der die Sehkraft eines Astronauten nachlässt, könnte dies auch Auswirkungen auf den Erfolg der Mission haben.

"Wir können kein frisches Obst mitschicken"

tagesschau.de: Sie beschäftigen sich auf der ISS auch mit dem Thema Ernährung. Warum?

Van Ombergen: Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Astronauten auf der ISS gut ernährt sind. Aber auch die psychologische Komponente des Essens ist sehr wichtig. Wir alle wissen, dass wir gerne essen, dass es ein Moment ist, den wir mit Freunden, Familie und Kollegen teilen können.

Bei der Ernährung geht es also um mehr als nur um den Nährwert, den sie hat. Der Geschmack ist wichtig. Die Beschaffenheit ist wichtig. Es gibt also eine Menge Komponenten, die ins Spiel kommen. Stellen Sie sich vor, wir fliegen irgendwann zum Mars. Wir können dann kein frisches Obst mitschicken. Wir brauchen also Lebensmittel, die all diese Kriterien erfüllen, aber gleichzeitig sehr lange haltbar sind.

tagesschau.de: Die Astronauten machen auch selbst Experimente auf der ISS. Könnten Sie ein aktuelles Beispiel mit gesundheitlichem Nutzen nennen?

Van Ombergen: Eines der Dinge, mit denen wir uns in den vergangenen Experimenten beschäftigt haben, sind die antimikrobiellen Eigenschaften von Metalloberflächen und insbesondere die Verwendung von Kupfer für diese Metalloberflächen.

Das ist für die Raumfahrt sehr wichtig, denn im Weltraum, zum Beispiel auf der ISS, kann es zur Bildung von Biofilmen kommen, also Bakterienschichten. Sie können für die Ausrüstung, aber auch für die Gesundheit der Astronauten schädlich sein können.

Das Gespräch führte Ute Spangenberger, SWR