Privatisierung in der Raumfahrt "Der Himmel wird viel offener"
Mit der Sonde "Odysseus" ist erstmals ein privates Unternehmen auf dem Mond gelandet. Der Ex-Wissenschaftschef der NASA, Thomas Zurbuchen, hat das kommerzielle Mondprogramm mit entwickelt. Er spricht von einem "großen Erfolg".
tagesschau.de: Sie haben während Ihrer Zeit bei der NASA das kommerzielle Mondprogramm entwickelt. Wie froh sind Sie, dass die Mondlandung des Unternehmens "Intuitive Machines" geklappt hat? Im Januar war die Mission eines anderen privaten Unternehmens ja gescheitert.
Thomas Zurbuchen: Ich freue mich sehr. Diese Mission ist ein großer Erfolg. Als ich das Programm entwickelte, rechnete ich mit einer Erfolgsquote von 50 Prozent. Ich ging davon aus, dass nur die Hälfte aller Missionen erfolgreich sein wird. Und als die erste scheiterte, haben alle gedacht: Na gut, das sind die "anderen" 50 Prozent.
Ich bin unglaublich froh, dass diese zweite Mission funktioniert hat. Ich habe darauf vertraut, dass die Firmen gut genug sind. Aber man weiß es nicht, bis sie es probieren. Ich habe übrigens auch den Chef der Firma, dessen Mission nicht funktioniert hat, angerufen und habe ihm gratuliert.
Thomas Zurbuchen ist Astrophysiker. Er war von Oktober 2016 bis Ende 2022 Wissenschaftsdirektor der NASA. Zuvor war er außerordentlicher Professor für Weltraumforschung und Raumfahrttechnik an der University of Michigan und außerordentlicher Dekan an der Ingenieurschule College of Engineering. Im August 2023 übernahm er als Professor für Weltraumwissenschaft und -technologie die Leitung von ETH Zürich Space.
Die Sonde könnte wieder aufwachen
tagesschau.de: Die Sonde "Odysseus", die jetzt auf dem Mond ist, ist auf die Sonne für ihre Solarbatterie angewiesen. Auf dem Mond ist jetzt Nacht und zwar für 14 Tage, das hat mit der Mondrotation zu tun. Was macht die Sonde jetzt?
Zurbuchen: Die Sonde ist in den polaren Regionen des Monds gelandet und bei der Landung gab es schon fast eine Monddämmerung, weil sich der Mond in einem monatlichen Rhythmus dreht und jetzt immer mehr Schatten bekommt. Der Lander schläft ein, weil er einfach keinen Strom mehr hat.
Wir hoffen auf ein Wunder, dass er in 14 Tagen wieder aufwacht. Erst in dieser Woche ist ein anderer, japanischer Lander nach ungefähr zwei Wochen wieder aufgewacht, das war eine Riesenüberraschung.
Der Sonde fehlt die Sonne
tagesschau.de: Mondnächte sind sehr kalt. Da kann die Temperatur auf minus 160 Grad sinken. Übersteht das die Sonde?
Zurbuchen: Es ist so, dass die unglaubliche Kälte des Mondes die Elektronik oft spaltet und mechanische Systeme entzweibrechen. Es ist überhaupt nicht garantiert, dass die Sonde wieder aufwacht. Wenn es um Raumforschung geht, gibt es ein Motto. Wer nicht probiert, der nicht gewinnt. Wir probieren immer.
tagesschau.de: Warum ist die Mondsonde "Odysseus" nicht einige Tage früher gestartet? Dann hätte es doch auf dem Mond noch länger Sonne gegeben, oder?
Zurbuchen: Die Frage, wann ein Lander auf der Erde startet, hat mit vielen Dingen zu tun. Das Wetter muss gut sein und man muss bereit sein. Das Problem war, dass es in Cape Canaveral so viele Starts von anderen Missionen gab, dass man nicht früher an den Start gehen konnte. Darum hat man ungefähr drei oder vier Tage verpasst.
Aber Tatsache ist: Die Mission ist erfolgreich für die Zeit, die sie auf dem Mond ist. Es wäre schön gewesen, wenn sie früher gestartet wäre, aber da stand die Startrampe nicht zur Verfügung.
Entwicklungen der Raumforschung
tagesschau.de: Sie arbeiten inzwischen als Professor an der Schweizer Hochschule (ETH) Zürich. Haben Sie immer noch mit Raumfahrt zu tun?
Zurbuchen: Ja, an der ETH Zürich arbeiten Forschende an mehreren Weltraum-Missionen. Zum Beispiel sind sie auch an der "Insight Mission" auf dem Mars beteiligt, die Einsichten über das Innere des Planeten gegeben hat wie keine andere Mission.
Es gibt eine andere Mission, an der wir arbeiten, die eben genau diese neuen kommerziellen Firmen braucht, um auf den Mond zu gehen. Das ist ein Schweizer Roboter mit neuen Instrumenten.
Aber als erstes fokussieren wir uns auf den neuen Masterstudiengang in Weltraumwissenschaft, der diesen Herbst an der ETH startet. Die Studierenden können lernen, wie sich die Raumforschung und Technologie entwickelt, international und kommerziell.
"Es gibt neue Optionen"
tagesschau.de: Früher war die Raumfahrt eine Angelegenheit von großen Nationalstaaten. Inzwischen schreitet die Privatisierung voran. Ist das auch eine Chance, gerade für kleinere Länder und ihre Unternehmen?
Zurbuchen: Ja genau, der Himmel wird viel offener mit diesen neuen Optionen. Es wird viel demokratischer, wir können mit Firmen aus der ganzen Welt zusammenarbeiten. Es gibt übrigens auch sehr gute europäische Firmen, die Satelliten zur Verfügung stellen, an die man Instrumente anschrauben kann, die auch hier in der Schweiz und anderswo entwickelt werden. Man muss keinen ganzen Satelliten bauen.
Es gibt neue Optionen für Länder wie die Schweiz aber auch für Deutschland und andere Staaten. Zum Beispiel können Astronauten mit einer kommerziellen Firma zur Internationalen Raumstation fliegen.
tagesschau.de: Wie wird eigentlich mit den ganzen Daten und Erkenntnissen umgegangen, die die Unternehmen sammeln, die im Rahmen des NASA-Programms zum Mond fliegen?
Zurbuchen: Wir haben von Anfang an mit allen Firmen gesprochen und gesagt: Wir wollen zusammen besser werden. Die Daten sollen uns allen zur Verfügung stehen und wir wollen damit voneinander lernen.
Die Tatsache, dass jetzt Firmen auf dem Mond landen ist spektakulär. Aber sie hätten es nicht gekonnt ohne die Arbeit von der NASA vorher.
Das Interview führte Ute Spangenberger vom SWR.