Sentinel-6-Satellit
interview

Raumfahrt New Space als Chance für die Wirtschaft

Stand: 17.10.2023 16:54 Uhr

Der Bundesverband der Industrie veranstaltet am Mittwoch seinen zweiten Weltraumkongress. Matthias Wachter, der beim BDI für den Bereich Weltraum zuständig ist, sagt, New Space sei ein Wachstumsmarkt.

tagesschau.de: Herr Wachter, Sie sagen: Raumfahrt geht uns alle an. Warum?

Matthias Wachter: Viele haben das Bild, dass es bei Raumfahrt um spleenige Milliardäre, Weltraumtourismus und die Kolonisierung des Mars geht. Das gibt es alles, ist aber nur eine kleine Facette. Der eigentliche und viel größere Part der globalen Weltraum-Economy, sind datengetriebene Anwendungen. Raumfahrt ist kein Selbstzweck.

Gerade für das Industrieland Deutschland wird New Space etwa für autonomes Fahren mit exakten Positionsdaten aus dem All oder die Vernetzung von Maschinen unabdingbar sein. Weltraumsysteme, also Satelliten, stellen Daten zur Verfügung und transportieren sie. Wenn wir uns die Digitalisierung anschauen, dann gibt es eigentlich fast keinen Bereich mehr, wo Satelliten keine Rolle spielen. Wer im All nicht vorn mit dabei ist, wird künftig auf der Erde kein Technologieführer sein.

Matthias Wachter
Matthias Wachter

Matthias Wachter ist Abteilungsleiter für internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt beim Bundesverband der deutschen Industrie.

BDI-Kongress soll Aufbruch auslösen

tagesschau.de: Sie warnen, dass Deutschland und Europa bei New Space abgehängt werden, warum?

Wachter: Seit unserem ersten Weltraumkongress 2019 ist in der Raumfahrt sehr viel passiert. Die Bedeutung von Raumfahrt hat weiter signifikant zugenommen, auch strategisch militärisch, wie man im Krieg Russlands gegen die Ukraine sehen kann, wo Weltraumsysteme wie zum Beispiel Starlink sehr intensiv zum Einsatz kommen.

Das Ziel des Kongresses ist, einen Aufbruch auszulösen, Mut, Begeisterung für dieses Thema zu entfachen. Zwar hat die Bundesregierung vor wenigen Wochen eine neue Raumfahrtstrategie verabschiedet, gleichzeitig plant man im Haushalt 2024 das nationale Raumfahrtbudget von 370 auf 313 Millionen zu kürzen. Das ist eine Kürzung von über 15%, das ist ein falsches Signal. Deutschland sollte national mindestens so viel investieren wie Frankreich. Heute findet ein neues globales Spacerace statt - nicht wie das Erste zwischen den USA und der Sowjetunion - sondern diesmal vor allem zwischen den USA und China. Diese beiden Länder investieren ein Vielfaches von Deutschland in New Space. Deutschland läuft Gefahr, Fehler bei anderen Zukunftstechnologien, wie etwa bei Halbleitern, zu wiederholen. Europa hat momentan sogar temporär seinen Zugang ins All verloren.

Systemwechsel gefordert

tagesschau.de: Sie spielen auf die technischen Probleme der ESA-Trägerraketen Vega und Ariane 6 an. Wieso ist da die Politik schuld, haben nicht viel eher die Unternehmen, die die Raketen bauen, Fehler gemacht?

Wachter: Im Moment ist es so, dass die europäischen Raketen "politische Raketen" sind. Das Design der Raketen, die verwendeten Triebwerke, die Zulieferer, das wird alles politisch entschieden, von den 22 ESA-Mitgliedsländern. Es war etwa eine politische Entscheidung zu sagen, dass die neue Ariane 6 Rakete nicht wiederverwertbar ist. Die Industrie versucht anhand politischer Vorgaben diese Rakete zu bauen und zu starten und das ist aus unserer Sicht der falsche Ansatz. Wir sollten uns da stärker an den USA orientieren.

Es sollte nicht Aufgabe von Agenturen wie der ESA und Regierungen sein, das Design von Raketen festzulegen, sondern sie sollten als Kunde Raketenstarts bei privaten Unternehmen einkaufen. Die Ingenieure und Unternehmen sollten darüber entscheiden, was die beste und effizienteste Technologie ist, wie man Raketen baut und startet und nicht die Politik. Wenn wir momentan Satelliten ins All bringen wollen, dann können wir nicht mit europäischen Trägerraketen starten, während in den USA das private Unternehmen SpaceX in diesem Jahr allein 100 Mal starten wird.

"Notwendig wäre ein Systemwechsel"

tagesschau.de: Das heißt: Sie fordern eine Systemumkehr, die Staaten sollen nicht mehr die Unternehmen beauftragen, sondern bei Unternehmen einkaufen?

Wachter: Notwendig wäre ein Systemwechsel nach amerikanischem Vorbild, bei dem der Staat primär als Kunde auftritt. Die NASA kauft Fähigkeiten und Services am Markt bei amerikanischen Unternehmen ein. Aufträge sind die effizienteste und ordnungspolitisch beste Form des New Space-Markts. Das Interesse und die Fähigkeiten auf der Industrieseite sind da. Wir haben mittlerweile weit über 800 Anmeldungen für den Kongress. Ein großer Teil der Teilnehmer werden Vertreter von Start-ups sein, was eher ungewöhnlich für den BDI ist.

tagesschau.de: In welchen Bereichen könnte denn der Staat als Kunde auftreten?

Wachter: New Space ist ein Querschnittsthema und eine große Chance für den privaten und öffentlichen Sektor. Bund, Länder und Kommunen nutzen die Möglichkeiten bei der Digitalisierung viel zu wenig. Weltraumgestützte Anwendungen sind Teil der Lösung, um Ministerien, Behörden und staatliche Stellen und Institutionen effizienter und schneller zu machen. In der Raumfahrt geht es sehr oft um hoheitliche und staatliche Fähigkeiten und Anwendungen. Wenn der Kunde "Staat" sozusagen nicht existent ist oder ausfällt, dann ist das ein sehr großer Nachteil für die New Space-Unternehmen.

Weltraumbahnhof in der Nordsee?

tagesschau.de: Beim ersten BDI-Weltraumkongress 2019 haben Sie eine Initiative für einen deutschen Weltraumbahnhof in der Nordsee gestartet, um einen eigenen Zugang zum Weltraum zu bekommen. Hat sich da was getan?

Wachter: Der BDI-Präsident wird morgen in seiner Rede erstmals und öffentlich in Gegenwart des Bundeskanzlers das Startfenster für den ersten Raketenstart aus der Nordsee bekanntgeben. Anschließend wird Kanzler Scholz sprechen. Wer im All nicht vorne mit dabei ist, wird künftig auf der Erde kein Technologieführer sein.

tagesschau.de: Machen denn Weltraumstarts aus der Nordsee Sinn?

Wachter: Die Nordsee ist geografisch sehr gut geeignet, weil sie von hier aus direkt polare und sonnensynchrone Orbits erreichen können. Die Raketen fliegen ausschließlich über Wasser und im internationalen Luftraum zwischen Norwegen und Schottland, bevor sie in den Weltraum eintreten. Die Startplattform liegt in der deutschen sogenannten ausschließlichen Wirtschaftszone, eine 200-Meilen-Zone vor der Küste.

Anzahl der Satelliten wird steigen

tagesschau.de: Von dort sollen Microlauncher, also kleine und leichte Trägerraketen, starten, die Satelliten ins All bringen. Ist das wirklich ein Markt?

Wachter: Zurzeit gibt es etwa 6.000 Satelliten im All. Davon gehört etwa die Hälfte der aktiven Satelliten dem SpaceX-Unternehmen Starlink. In den vergangenen 60 Jahren sind so viele Satelliten gestartet worden wie ungefähr in den vergangenen drei Jahren. Die Prognosen, die im Prinzip jährlich nach oben korrigiert werden, gehen davon aus, dass bis 2030 jedes Jahr etwa 2.000 Satelliten ins All starten. Davon sind 90 Prozent Klein- und Kleinstsatelliten, die in polaren und sonnensynchronen Orbits positioniert werden. Und das ist genau das Segment, das aus der Nordsee bedienbar ist und kommerzielle deutsche Microlauncher abdecken können.

Das Gespräch führte Ute Spangenberger, SWR, für tagesschau.de.